Ökonomische Kernschmelze? Vielleicht später

DARMSTADT - Wenn weitere Kriege drohen, sich Immobilienblasen bilden, Geld nichts mehr wert ist, Handelskonflikte überall aufflackern und generell die Unsicherheit wächst auch durch die Klimaproblematik, dann ist die Zeit für Crash-Propheten gekommen. Deren Bücher verkaufen sich blendend. Sie sind gefragt in Talk-Shows, machen Angst zum Kern ihres Geschäftsmodells. Das zum Teil auch darin besteht, dass sie eigene Fonds verwalten. Wir sprachen mit dem Finanzprofessor Dirk Schiereck von der TU Darmstadt, um das Ganze seriös einzuordnen.

Herr Schiereck, wie ernst ist denn global die Lage?

Es gibt in der Tat eine ganze Menge von größeren Konfliktherden und globalen gesamtwirtschaftlichen Risiken und Unwägbarkeiten. Auch der immer noch unscharfe Verlauf des Brexit und die beginnenden Vorwahlen in den USA können einen Einfluss auf die Wertentwicklung an den weltweiten Aktienmärkten nehmen. Gerade wenn sich die Wiederwahlaussichten des amtierenden Präsidenten verschlechtern, könnte die US-Börse sehr negativ reagieren. Andererseits sind diese Risiken und anstehenden Ereignisse allgemein bekannt, und die Kursentwicklung an den Finanzmärkten spricht eher dafür, dass die vorherrschende Meinung eine positive Entwicklung erwarten lässt.

Monetäres Endspiel, Weltsystemcrash, Kernschmelze an der Börse: Wie bewerten Sie die Diagnose der Crash-Propheten – und deren Schlussfolgerungen?

Es ist keinesfalls ausgeschlossen, dass es in den nächsten Jahren wieder zu größeren Einbrüchen an den Finanz- und Immobilienmärkten kommt. Und es gibt Indikatoren, die durchaus besorgniserregend sind, wie etwa die starke Zunahme der Verschuldung von Staaten und Unternehmen. Das heißt aber keinesfalls, dass sich daraus ein Crash entwickeln muss. Die selbst ernannten Crash-Propheten sind zunächst einmal in den meisten Fällen Buchautoren mit dem Wunsch, an der Furcht ihrer Leser zu verdienen. Das garantiert aber keinen Weltuntergang. Die Regierungen der großen Wirtschaftsnationen haben aus der Vergangenheit gelernt. Wahrscheinlich würde beim Aufkommen einer größeren Krise der Markt mit Liquidität geschwemmt, was vor allem die Kontensparer und Anleihegläubiger treffen wird.

Geraten wird Verbrauchern die Flucht in Sachwerte jeder Art. Was halten Sie davon?

Zwar empfehlen auch zahlreiche Experten, Teile des Vermögens in Gold anzulegen. Damit sind aber regelmäßig nur kleinere Beträge des gesamten Geldvermögens gemeint. Bei der Anlage in Immobilien ist zum einen auf das gegenwärtig sehr hohe Preisniveau gerade bei guten Lagen in attraktiven Städten und die Befürchtungen der Bundesbank vor einer Immobilienpreisblase in diesem Bereich zu verweisen. Zum anderen stellt sich die Frage nach dem Anlagehorizont und damit auch nach den Wiederverkaufsmöglichkeiten und den dabei anfallenden Transaktionskosten. Für Privatanleger mit einem geplanten Anlagezeitraum unter zehn Jahren ist die Immobilienanlage auf jeden Fall als riskant und teuer einzustufen.

Wie sieht eine sinnvolle Absicherung des Ersparten aus?

Es gilt immer, den Anlagehorizont im Blick zu behalten und die erwarteten Risiken bis da hin. Je länger ich auf mein Erspartes verzichten kann, und je geringer die Wahrscheinlichkeit ist, angelegte Gelder vorzeitig auflösen zu müssen, umso attraktiver ist die breit gestreute Anlage in Aktien, etwa in Form von ETFs. Vorsicht ist dagegen bei Festverzinslichen mit vordergründig attraktiven, hohen Kupons geboten. Hier zeigt sich das Kreditausfallrisiko, das in wirtschaftlichen Abschwungphasen schnell ein kritisches Niveau erreichen kann.

Welche Rolle kann bei alldem 2020 die Aktienanlage spielen?

In 2019 sind die Aktienkurse insgesamt wesentlich schneller als die Unternehmensgewinne gestiegen. Das macht viele Experten für 2020 eher zurückhaltend. Generell gilt auch, dass eine Aktienanlage nur dann ins Auge gefasst werden sollte, wenn der geplante Anlagezeitraum länger als ein Jahr ist. Wer heute schon weiß, dass er Ende des Jahres sein Geld für anstehende Ausgaben benötigt, geht mit einer Aktienanlage ein erhebliches Risiko ein.

Verstehen Sie Menschen, die sogar ihrer Hausbank nicht mehr trauen und sich lieber zuhause einen Tresor einbauen?

Nein. Die Wahrscheinlichkeit, sein Bargeld bei einem Hauseinbruch zu verlieren, ist gerade in Deutschland viel höher als die Wahrscheinlichkeit des Verlusts von Einlagen bei einem Bankzusammenbruch. Jeder, der trotzdem seinem Tresor vertraut, möge unbedingt überprüfen, was im Einbruchsfall durch die Hausratversicherung gedeckt ist. Und bei einem gewaltsamen Hauseinbruch steht vielleicht ja nicht nur der Verlust von Bargeld im Raum.

Genügen die Sicherungssysteme, die nach der Finanzkrise 2008 geschaffen wurden, um einen Worst Case managen zu können?

Die inzwischen etablierten Sicherungssysteme haben die europäische Bankenwelt sehr viel krisenresistenter gemacht, aber einen Worst Case werden solche Systeme nie allein abfangen können. Überlegen Sie, dass allein die Rettung einer kleinen italienischen Volksbank in Bari 900 Millionen Euro gekostet hat. Wenn nicht nur viele solcher kleinen Institute gerettet werden müssten, sondern auch einige richtig große, geht das nicht allein aus den Sicherungseinrichtungen heraus. In gewisser Weise ist das auch ganz gut so, denn so weiß die Politik, dass sie alles unternehmen muss, um den Worst Case zu verhindern.

Das Interview führte Achim Preu