Unternehmen im Gespräch: Alcan Systems GmbH in Darmstadt
Von Achim Preu
Leiter Wirtschaftsredaktion Südhessen
Alcan Systems aus Darmstadt will Antennenmarkt revolutionieren. Foto: Andreas Kelm
Jetzt teilen:
Jetzt teilen:
DARMSTADT - Hunger wird zwar hie wie da gestillt. Aber doch ganz unterschiedlich. Vorne an der Gräfenhäuser Straße in Darmstadt auf die Schnelle beim weltbekannten Bulettenbrater. Oder wenn man von dessen Parkplatz das dahinter liegende, etwas versteckte, Bürogebäude ansteuert. Dann freilich geht es um Innovationen, um anspruchsvoll-nachhaltige Kost. Und dies technologisch auf einem Niveau, das globale Erfolgschancen zu eröffnen scheint und auf der strategischen Speisekarte vieles stehen hat, was Investoren eigentlich das Wasser im Mund zusammenlaufen lassen sollte.
Von Satelliten Daten absaugen
Von der angemieteten Etage im vierten Stock samt großer Dachterasse will das Darmstädter Start-up Alcan Systems GmbH (Abkürzung für Advanced LC ANtenna) nämlich nach den Sternen greifen. Oder genauer: Von der zunehmenden Zahl an Satelliten mit seinen revolutionären Flüssigkristall-Antennen Daten absaugen fürs schnelle Internet, fürs autonome Fahren oder ganz banal zum Empfang des Wunsch-TV-Senders. Kern des Ganzen ist eine neuartige Technologie, die letztlich im flachen Design eines LC-Displays daherkommt und unter dessen spiegelnder Oberfläche sich elektronisch steuerbare Flüssigkristalle tummeln. Diese richten sich blitzschnell und automatisch zum jeweiligen Satelliten hin aus. Die Fummelei mit mechanischen Antennen entfällt, der Verschleiß ebenso.
Diese grundsätzliche Idee verfolgen zwar auch andere. "Wir glauben jedoch, unsere Technologie ist besser", so Firmengründer und CEO Dr. Onur Karabey (34) mit Blick auf den US-Wettbewerber "Kymeta", hinter dem die Microsoft-Legende Bill Gates steht. Deshalb sind dort die Voraussetzungen insbesondere von der Finanzseite andere. Denn obwohl auch hier der Markstart noch nicht erfolgt ist, stehen schon 220 Millionen Dollar Wagniskapital zur Verfügung. Da nehmen sich die 7,5 Millionen Euro, die Alcan eingesammelt hat, ziemlich bescheiden aus. Aber die Firmen, die mit im Boot sind, haben durchaus Gewicht und Substanz - auch durch die Kombination: vom Flüssigkristall-Weltmarktführer Merck, fast in Alcan-Sichtweite zuhause, stammen die für die Antennen nötigen speziellen Liquid Crystals. Zu den Partnern zählt zudem die Luxemburger Firma SES. Der europäische Betreiber der Astra-Satelliten realisiert über eine Tochter Internet in entlegenen Gegenden. Hinzu kommt die Firma SPC, Beteiligungsgesellschaft eines chinesischen Displayherstellers. Ein Drittel der Anteile halten diese Adressen derzeit. 65 Prozent liegen bei den Gründern. Neben Karabey sind das der Alcan-Finanzchef Esat M. Sibay (48), Dr. A. Burak Olcen (39) sowie Professor Dr. Rolf Jakoby (59).
Weil vieles, was hierzulande erdacht wurde, später irgendwo auf der Welt ökonomische Erfolge feierte, nur eben nicht in Deutschland, soll es bei Alcan anders laufen. Mit einem örtlichen Ökosystem im Hintergrund, das als nahezu ideal erachtet wird. Vor allem durch die Expertise der TU Darmstadt, dort wo die Technologie ihre Wurzeln hat, wo alles begann und wo der ehemalige Doktorand Karabey zusammen mit Professor Jakoby die Idee hatte, eine Firma daraus zu machen. "Was hier entwickelt wurde, das soll auch hier bleiben", so der mit einer Deutschen verheiratete Familienvater Karabey.
Start erfolgt 2018 auf dem Wohnmobil-Markt
Alcan will 2018 mit einer Antenne für Wohnmobile starten. Am besten auf dem Caravan Salon in Düsseldorf Ende August. Gespräche mit führenden Wohnmobilherstellern laufen, das Marktpotenzial ist groß. Denn Camper wollen vor allem eines: feiern und abends heimische TV-Programme schauen, ohne ständig die Antennenschüssel neu ausrichten zu müssen. Oder überall problemlos im Netz surfen. Für die Eigenheime auf Rädern werden pro Jahr allein auf dem europäischen Markt ungefähr 50 000 herkömmliche Antennen verkauft; die vollautomatischen zum Preis von 1500 bis 5000 Euro. Das könne Alcan besser und günstiger, heißt es. Und später sollen Autos, Züge, Flugzeuge und Schiffe mit diesen leichten und leistungsstarken Flüssigkristall-Antennen unterwegs sein. Finanzchef Sibay (48), Wirtschafts-Ingenieur mit türkischem und englischem Pass, zuvor bei der Großbank HSBC tätig, bei der Citigroup und Accenture, hält einen Umsatz von 100 Millionen Euro in drei bis fünf Jahren für möglich - und danach rasch mehr. Denn das Marktvolumen dürfte in zehn Jahren über zehn Milliarden weltweit liegen.
Mit Alcan als Hauptanbieter, versteht sich, was entsprechend leistungsfähige Partner auf der Produktionsseite erfordert. Das könnten Elektronikhersteller sein oder Auftragsfertiger für Autobauer. Am besten aus der Region. Noch ist keine Entscheidung gefallen. Eine Testfertigung läuft, die Zeit drängt. Und wie steht es um die Angst vor Plagiatoren? Eine Reihe von Patenten gibt es, weitere sollen folgen. Denn Erfolg lockt nun mal wie Licht die Motten an. Aber letztlich erfolge der entscheidende Wertschöpfungsschritt im Zusammenbau, der alles andere als trivial sei. Den glaubt man kontrollieren zu können.
Weil autonome Automobile immer mehr Wohnmobilen mit Lounge-Charakter ähneln und als PC auf Rädern dem Fahrer stufenweise Aufgaben abnehmen, sei die PS-Branche der nächste logische Schritt. Sibay träumt davon, dass jeder Pkw - immerhin 100 Millionen werden pro Jahr global produziert - eine Antenne "von uns hat". Dazu braucht es selbstredend neben entsprechenden Kapazitäten das nötige Kapital - weshalb die Umwandlung in eine AG sowie ein Börsengang in Frankfurt bereits ins Auge gefasst wurden.
Momentan hilft eine virtuelle Aktie im Rahmen eines Beteiligungsprogramms sich für Fachkräfte attraktiv zu machen. Aber Antennen-Spezialisten sind dünn gesät - und wenn es sie gibt, locken Namen wie Bosch und andere mit einem sicheren Auskommen. 13 Mitarbeiter, meist Doktoranden, hat man derzeit an Bord, der Aufbau kommt jedoch langsamer als geplant voran. 2019 aber sollen im Darmstädter Hauptquartier 50 Experten tätig sein.
Einen Freifahrtschein zum Erfolg, den gibt es nicht, so Sibay, der um die Befindlichkeiten von Geldgebern weiß. Aber die Chance, dass Alcan eine große Story schreiben kann, ist vorhanden - und wird von einem fünfköpfigen, mit namhaften Experten besetzten neuen Aufsichtsrat unterstützt. Das hier eingebrachte Netzwerk neben viel Know-how und Erfahrung hilft dem Vernehmen nach immens. Alle sechs Wochen trifft man sich zum Austausch. Damit das große Ziel näher rückt: Globale Marktführerschaft mit einer revolutionären Technik aus Darmstadt.