Wenn drei Gründer sich treffen, gibt es viel zu erzählen und zu diskutieren. Auch und vor allem bei Brain in Zwingenberg, Pionier in der weißen Biotechnologie - und bei Uni-Ausgründungen. Einig ist man sich, dass der Weg zum Milliardenkonzern vorgezeichnet ist.
Illustre Runde: Brain-CEO Jürgen Eck, Hans-Günter Gassen, der professorale Gründungsvater, und Holger Zinke (von links), Gründer und Ex-Vorstandschef.
(Foto: Sascha Lotz)
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ZWINGENBERG - Die börsennotierte Zwingenberger Brain AG (eigentlich B.R.A.I.N. Biotechnology Research and Information Network AG) ist der Nukleus der industriellen („weißen“) Biotechnologie hierzulande. Das Unternehmen, dem eine große Zukunft vorausgesagt wird, erblickte vor 25 Jahren als Ausgründung aus der damaligen TH Darmstadt das Licht der Welt. Eine Bestandsaufnahme und ein Ausblick mit Gründungsprofessor Dr. Hans-Günter Gassen, den Gründern Dr. Holger Zinke und dem aktuellen CEO Jürgen Eck.
Heute gehören Start-ups aus dem Uni-Umfeld zum Alltag. Wie war das denn vor 25 Jahren als Pionier in dieser Gründerszene?
Gassen: Vor der Gründung von Unternehmen stand für mich zunächst einmal der Aufbau meines Lehrstuhls. Wir hatten einen Neubau, viel Platz, tolle Ideen – aber nur 20 000 D-Mark. Von der Unileitung hatten wie so etwas wie wohlwollende Neutralität. Alle waren neugierig: Was machen die denn da? Also gingen wir betteln bei Merck, Döhler und anderen. Mittel haben wir bekommen, vor allem von Röhm und ihrem Chef, der uns eingeführt hat in die elementaren Regeln des Geldverdienens. Es folgten Kooperationen mit Bayer und BASF. Wir waren aber über Verträge gebunden, mussten Arbeitszettel ausfüllen.
Nicht gerade der Wunschtraum von freiheitsliebenden Wissenschaftlern. . .
Gassen: ... deshalb begann bei uns die Diskussion: Warum sollen wir denn für andere schaffen, das können wir doch auch selbst. Was mit finanzieller Hilfe von Herrn Putsch mit 150 000 D-Mark (einst Keiper Recaro, heute ist sein Sohn Martin Putsch Brain-Großaktionär mit 34 Prozent, die Red.) gelang. In den USA ging es mit der Biotechnologie los, Heidelberg war hierzulande der Hotspot mit ersten Firmengründungen.
DIE DREI GRÜNDER
Dr. Hans-Günter Gassen, geboren 1938, war von 1973 bis zum 31. März 2004 Hochschullehrer an der Technischen Universität Darmstadt und gehörte zu den Gründern der Brain AG. Seine Fachgebiete sind die Biochemie und die Biotechnologie. Von 1986 bis 1992 war er Leiter des Forschungsverbunds „Angewandte Gentechnik“ in Zusammenarbeit mit Grünenthal, Merck und Röhm. Gassen gehörte auch zu den Mitbegründern der Firmen Genius – Wissenschaft und Kommunikation (1998), N-Zyme BioTec (1999), Esplora (2000) und Zedira (2007).
Dr. Holger Zinke (geboren 1963 in Bensheim), promovierter Biochemiker, ist Gründer der Brain AG und wurde 2008 mit dem Deutschen Umweltpreis ausgezeichnet, weil nunmehr „erstmals der vollständige Werkzeugkasten der Natur für industrielle Zwecke zur Verfügung steht.“ , wie es in der Laudatio hieß. Von 1993 bis 2000 war er Geschäftsführer und bis 2015 CEO, danach stellvertretender Brain-Aufsichtsratschef. Zinke setzte sich für die Gründung mehrerer Branchenverbände ein. Er sitzt in Beiräten von Ministerien, Unis und Industrieverbänden.
Der Molekular- und Mikrobiologe Dr. Jürgen Eck (55), der ebenfalls an der TU Darmstadt studiert und in Biochemie promoviert hat, gehört ebenfalls zum Gründerteam der Brain AG. Seit 1993 hatte Eck die Forschungsleitung bei Brain inne. Im Jahr 2000 wurde er Technologievorstand. Seit Juli 2015 hat der in Bensheim lebende Eck (geboren in Heppenheim) den Vorstandsvositz von Dr. Zinke übernommen und das Unternehmen im Jahr 2016 an die Börse gebracht. Das war dann der erste Börsengang einer Biotech-Firma in Deutschland seit 2006. (apd)
Und dann kam Brain.
Gassen: Und auf zwei Beinen: dem Arbeiten mit DNA – und mit Öffentlichkeitsarbeit. Als Gentechnologen waren wir ja „Teufelswerk“. Das erforderte qualifizierte Antworten. Man wurde aufmerksam auf uns. Und wir standen dann quasi unter öffentlichem Schutz durch den HR und das ECHO.
Herr Zinke, was vor allem hat Sie angetrieben zu gründen?
Ehrlicherweise die Unzufriedenheit mit den Arbeitsbedingungen im universitären Umfeld damals. Eine akademische Karriere war nicht attraktiv. Dagegen wurde deutlich, dass in der Industrie zunehmend etwas gebraucht wurde, was damals noch nicht so sehr verbreitet war und wir gut konnten. Wir wurden aber zunächst belehrt vom damaligen TH-Präsidenten über die Aufgaben einer öffentlich-rechtlichen Hochschule, wo kommerzielle Aktivitäten nicht geduldet werden können. Deshalb mussten wir schnell einen neuen Standort suchen, den wir in Zwingenberg dann gefunden haben. Heute wird zwar relativ häufig gegründet, aber zu wenig in Relation zu den USA. In den Staaten fließt, so der EY Biotech-Report, jedes Jahr 50 Mal mehr Kapital in die Biotech-Gründerszene als hierzulande. Wir sollten deshalb nicht in eine Art Gründerromatik verfallen.
Aber die Brain AG entwickelt sich doch ordentlich, oder?
Zinke: Ja, durchaus. Das ist eine Erfolgsgeschichte. Aber volkswirtschaftlich betrachtet eben kaum nachweisbar: der berühmte Tropfen auf den heißen Stein. Es müsste angesichts der Herausforderungen hundert Brains geben. Es gelingt den Gründern hierzulande nicht, eine relevante industrielle Größe zu entwickeln. Gründertage mit allem Drum und Dran und ein Scheck über 4000 Euro von der Sparkasse für die Existenzgründung, das genügt nicht.
Was braucht es?
Zinke: Eine gesunde Volkswirtschaft muss sich alle 20 Jahre um 20 Prozent erneuern als Faustregel. Hierzulande schreibt man alles einfach fort, was jedoch nicht funktionieren kann. Amazon beispielsweise ist 20 Jahre alt, macht 55 Prozent des Onlinehandels in Deutschland. Neckermann und Quelle, die Älteren unter uns erinnern sich vielleicht noch, die gibt es gar nicht mehr.
Eck: Wir haben es in Deutschland und Europa nicht geschafft, das Gründertum mit dem Kapital zu verbinden. Es geht nicht Hand in Hand voran, muss es aber, um Geschwindigkeit und Wachstum zu generieren. Wir denken in Prozessen und bekommen von Entrepreneur-Professoren zu hören: Ihr braucht mehr Mut. Ohne Kapital bleibt aber das meiste hängen im Gründungsprozess. Entscheidend ist: Wir müssen Gründungen wachsen lassen.
Wie zäh alles sein kann, das zeigten auch die ersten Jahre der Brain AG. Warum kam kein US-Kapital nach Zwingenberg?
Zinke: In den USA findet ein komplett anderes Spiel statt, da geht es nicht um auf 7,90 Euro verbilligte Laborfläche je Quadratmeter im Technologiepark. Da geht es um viel Geld. Wir haben damals und zu Zeiten des Neuen Marktes erkannt, soweit sind wir noch nicht. Wenn man bei Investorenkonferenzen in den Staaten als kleines Unternehmen aus Zwingenberg den dicken Max machen will, wird man schnell eingenordet.
Was hat danach geholfen?
Zinke: Der Deutsche Umweltpreis, den wir 2008 bekommen haben. Mit Henkel wurde ein Waschmittelenzym entwickelt, das es erlaubt, Textilien bei 40 statt bei 60 Grad zu reinigen. Dadurch werden 1,2 Millionen Tonnen des Treibhausgases Kohlendioxid in Deutschland jährlich eingespart. Aus Gegenwind wurde Rückenwind.
Eck: 1994 wurde der Anwendungswert der Biotechnologie ausschließlich bei Pharma gesehen („rote“ Biotechnologie, die Red.). Die Projektion auf Industrieanwendungen in der Chemie- oder Konsumgüterindustrie war damals nicht kapitalmarktfähig. Die Relevanz der Brain ist mit der Sichtbarkeit der Anwendungen erst greifbar geworden. Und jetzt, als börsennotiertes Unternehmen, hat sich das geändert. Wir haben Investoren aus der ganzen Welt. Darunter US-Kapital. Und die Nachfrage ist ungebremst. Viele Investoren steigen heute bei Firmen aus, deren Produkte zu über 30 Prozent auf fossilen Rohstoffen basieren; das spielt uns zusätzlich in die Karten. US-Unternehmen würden an unserer Stelle klotzen. Vielleicht sind wir zu zurückhaltend, nicht laut genug.
Neben Digitalisierung ist Bioökonomie ein Megatrend. Ist das in der Politik angekommen?
Zinke: Immerhin hat die Bundesregierung einen Bioökonomierat berufen, dem ich seit 2012 angehöre. Und es gibt eine nationale Forschungsstrategie 2030 – seit 2010. Sowie eine Politikstrategie von fünf Ministerien. Die Industrie glaubt in der Breite aber nicht an den Standort, was durch das jüngste Urteil des EUGH zur Genschere CRISPR-Cas unterstrichen wird. Wir sind nicht Teil des Problems, sondern zentraler Teil der Lösung. Es wird nicht gelingen über den Automotive-Fokus diese Volkswirtschaft zu erneuern.
Gassen: Medizin ist genauso angefeindet worden, hat aber ihre Erfolge nachgewiesen. Und ist deshalb akzeptiert, etwa durch Insulin.
Zinke: Geschaut wird nach Großforschungszentren, wohin überwiegend die Fördermittel fließen. Aber über noch so schöne Forschungsergebnisse gelingt der Durchbruch nicht. In den USA gab es ja auch keinen E-Mobilitätsgipfel und Forschungsprogramme zur Entwicklung eines Tesla.
Wo geht die Reise denn hin mit der Bioökonomie, erleben wir den Durchbruch per Big Bang?
Gassen: Was nicht gesehen wird, ist das Durchsickern von Technologien. Dass bestehende Verfahren laufend in kleinen Schritten verbessert werden.
Eck: 2010 wurden 12,5 Prozent der globalen Umsätze der Chemieindustrie mit Verfahren der Biotechnologie erzielt. 2016 waren es schon 355 Milliarden. Und 2020 soll jeder fünfte Euro aus Bioökonomie-Prozessen kommen.
Zinke: Bioökonomie ist unvermeidlich. Verbrauchern ist nicht bewusst, dass Waschmittel biotechnologische Produkte sind. Sieben der zehn meistverkauften Pharmaprodukte sind gentechnisch hergestellt.
Was wünschen Sie sich für die Brain AG in den kommenden 25 Jahren, was wird Brain sein?
Eck: Wir werden ein Mega-Player in der industriellen Bioökonomie sein. Und das mit Milliardenumsätzen.
Zinke: Wenn man als ein Pionierunternehmen 50 Jahre nach Gründung kein Milliardenunternehmen ist, hat man etwas verkehrt gemacht.
Gassen: Brain wächst nicht mehr allein durch Innovationen. Sondern auch durch kluge Akquisitionen. Es geht um Problemlösungen. Das belohnen auch Kapitalgeber.