Unternehmen im Gespräch: Kocagöl Group in Rüsselsheim

Teambesprechung auf der Baustelle: Arbeitshandschuhe trägt Kocagöl heute selten.

Neubau, Ankauf und Projektentwicklung: Die Kocagöl Group deckt in Rüsselsheim viele Leistungen ab.

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RÜSSELSHEIM. Eine schwarze Ledercouch hinter einem Tisch, dessen Glasplatte in goldglänzendes Metall eingefasst ist, darauf ein Tellerchen mit türkischem Gebäck und eine Vase mit verschnörkeltem Blumenmuster. Wer die Büroräume der Kocagöl Firmengruppe in Rüsselsheim betritt, den empfängt der Charme des Heimatlands von Mehmet Kocagöl (52). Da darf ein türkischer Mokka, der so stark ist, dass "der Löffel drin stecken bleibt", nicht fehlen. Von hier aus führt der Bauunternehmer sein kleines Familienimperium.

Zur Kocagöl Group gehören drei Unternehmen, welche die ganze Bandbreite des Bauwesens abdecken - mit Neubau, Sanierung, Ankauf und Projektentwicklung, Verkauf und Vermietung. Schwerpunkt ist der Bau und die Vermarktung von Wohnimmobilien im ganzen Rhein-Main-Gebiet. Zu den aktuellen Projekten gehören drei Reihenhäuser in Liederbach, vier Doppelhaushälften in Nauheim und ein Studentenwohnheim in Darmstadt mit 124 Zimmern. Manchmal wechseln die Immobilien vor Fertigstellung den Besitzer, wie ein Kunst-Kultur-Hotel in Raunheim, das Kocagöl im Projektstatus weiterverkaufte.

Die Unternehmensgruppe will möglichst viele Leistungen aus eigener Hand erbringen. "Ich bin ein Mensch, der gerne eigene Entscheidungen trifft", sagt der Chef. Auf andere Leute angewiesen sein, das kostet oft Zeit und Mühe, die will man sich möglichst sparen. Unterstützung bekommt er von Sohn Fathi und demnächst steigt Schwiegertochter Semra als Architektin mit ein. Früher war sie Deutschlehrerin an einem Gymnasium, doch Kocagöl überredete sie sonntags beim gemeinsamen Familienfrühstück, die Branche zu wechseln und noch einmal ein Architekturstudium zu absolvieren. Damit läuft die Planung der Gebäude künftig wohl auch in Eigenregie. Zudem habe die Schwiegertochter als Architektin mehr Optionen als im Schuldienst, könne sich sogar selbstständig machen, so Kocagöl.

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Damit kennt er sich aus - denn der Rüsselsheimer ist ein echter Selfmade-Man. Er hat es vom Arbeiter zum Unternehmer gebracht. Heute gehören Anzug und weißes Hemd zur Arbeitskleidung - als er vor 1992 aus der Türkei nach Deutschland kam, war es noch der Blaumann. Kocagöls Vater war damals bei Opel beschäftigt, wurde krank, und der Sohn musste aus der Türkei zur Unterstützung anreisen. Fünf Jahre arbeitete Kocagöl am Frankfurter Flughafen als Flugzeugreiniger, bis er eine unbefristetete Aufenthaltserlaubnis bekam und sich selbstständig machen konnte. 1997 gründete er eine Verputzerfirma, lieh sich eine Verputzermaschine und legte mit zwei Kollegen los. Nach Dienstschluss am Flughafen ging es vier Stunden auf die Baustelle, ein halbes Jahr lang. Dann konzentrierte sich Kocagöl auf seine Baufirma, erweiterte das Angebot und verband das Beste aus zwei Kulturen.

Türkischer Mut, deutsche Disziplin

"Dazu musste ich Mut haben", sagt er. Das sei typisch türkisch, aber ohne die deutsche Disziplin hätte es wahrscheinlich nicht geklappt. "Am Bau gibt es immer Probleme. Ich will sie positiv angehen, Lösungen finden und Erfolg haben", sagt Kocagöl. Eine Ausbildung hat er bis heute nicht. Man könne sich die Dinge auch anders beibringen, auf der Baustelle mitarbeiten, mitlernen und sich als Ausländer auf deutsche Standards einstellen. Dass man hierzulande die Fenster vor dem Streichen abklebt, habe ein Arbeiter schnell gelernt. Kocagöl beschäftigt einen Bauleiter, einen Polier, einen Meister aber nicht. Die 13 Mitarbeiter sind - typisch Bau - international: Deutsche, Türken, Rumänen, und die Sekretärin stammt aus Russland.

Der Bauboom macht sich in zweifacher Hinsicht bemerkbar. Zum einen ist der Arbeitsmarkt leergefegt, "wir suchen zum Beispiel Elektriker, Heizungs- und Lüftungsbauer, aber es gibt einfach keine". Zum anderen werden in der Region nur noch wenige Baugrundstücke zum Kauf angeboten, das treibt die Preise hoch. "Die Bodenrichtwerte in Rüsselsheim liegen bei 300 bis 400 Euro pro Quadratmeter, aber dafür bekommen Sie kein Grundstück", sagt der Bauunternehmer. Immer öfter werde im Bieterverfahren verkauft. Aufgrund der hohen Nachfrage ziehen zudem die Kosten für Material und Leistungen wie etwa vom Statiker an. "Wir können einfach nicht mehr günstig produzieren", sagt Kocagöl und spricht damit für die ganze Branche. Das Wort Konkurrenz gebraucht er aber nicht gern. "Wir Betriebe sollten uns eher gegenseitig unterstützen, damit wir auch größere Projekte stemmen können." Ein Ende des Booms ist nicht abzusehen. Nach Berechnungen des Statistischen Bundesamts lagen die Umsätze im Bauhauptgewerbe im ersten Quartal 2019 um 11,9 Prozent über dem Vorjahreszeitraum. Allein im März gab es ein Plus von 18,8 Prozent über alle verwandten Wirtschaftszweige. Um an Grundstücke und Personal zu kommen, können Kontakte helfen. Davon hat Kocagöl viele - auch durch sein ehrenamtliches Engagement. So war er in Rüsselsheim lange Vorsitzender des deutsch-türkischen Gewerbevereins und seit Kurzem sitzt er in der Vollversammlung der Industrie- und Handelskammer Darmstadt Rhein Main Neckar. Hier will er sich für die Unternehmer im Kreis Groß-Gerau einsetzen, aber auch für die mit Migrationshintergrund. Er hält Kontakt zum Deutschen Industrie- und Handelskammertag in Berlin und zu den Außenhandelskammern in Istanbul und Ankara.

Und schlägt dabei eine Brücke zwischen Kulturen, wie es für Rüsselsheim typisch ist. Neben dem Baugeschäft steht eine Kirche, an deren Sanierung Kocagöl mitgearbeitet hat. In der Ladenzeile gegenüber liegt neben dem deutschen Friseur mit 60er Jahre Flair eine Shisha-Bar. Ob er sich eher als Deutscher oder als Türke fühlt? "Ich bin Rüsselsheimer", sagt Kocagöl und lacht.

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Von Anja Ingelmann