Entega-Vorstandschefin Marie-Luise Wolff über ihre...

Spart nicht mit Kritik an der Klima- und Energiepolitik hierzulande: Marie-Luise Wolff, die Chefin des Versorgers Entega. Archivfoto: Hirtz
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Das Management der Energiewende und der konsequente Einstieg in die Mobilitätswende werden in der kommenden Legislaturperiode von hoher Priorität sein. Dass sich dabei der...

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DARMSTADT. Klima- und Energiepolitik haben im Bundestagswahlkampf nur eine untergeordnete Rolle gespielt. Aber ganz gleich, wer die kommende Bundesregierung bilden wird: Politische Fragen mit hoher Priorität werden in der kommenden Legislaturperiode das Management der Energiewende und der konsequente Einstieg in die Mobilitätswende sein. Dass sich dabei der kommunale Darmstädter Versorger Entega zu Wort meldet, ist folgerichtig. Denn das Unternehmen ist die Energiewende längst regional angegangen, noch ehe sie nach der Katastrophe von Fukushima in Berlin verordnet wurde.

Klimaziel Berlins gerät aus den Augen

Angesichts von Temperatur- und Starkregenrekorden im Frühsommer hierzulande, dauerhaft über 40 Grad Celsius in Südeuropa, verheerenden Waldbränden in Portugal und einer kaum je da gewesene Hurrican-Saison reicht es nach Angaben von Dr. Marie-Luise Wolff, Vorsitzende des Vorstandes der Entega AG, nicht aus, mit dem Finger auf US-Präsident Trump zu zeigen. Dabei droht das von Bundeskanzlerin Angela Merkel jüngst bestätigte Ziel, die Treibhausgase bis 2020 um 40 Prozent gegenüber 1990 zu verringern, "sich zum reinen Lippenbekenntnis zu zersetzen". Denn geschehen sei in den vergangenen Jahren wenig: Die Energiewende stagniere und in die Mobilitätswende wurde noch gar nicht eingestiegen. Nach neuen Zahlen des Energiewende-Thinktanks Agora sind die CO2-Emissionen in Deutschland im ersten Halbjahr 2017 sogar wieder gestiegen - was vor allem am Anstieg des Individualverkehrs liegt.

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"Wenn die deutsche Politik ihre eigenen Klimaziele noch ernst nimmt, müssen sich die Strom- und Wärmeerzeugung in den kommenden Jahren genauso radikal verändern wie die Ziele für Energieeffizienz vor allem bei Gebäuden. Und wir brauchen endlich den Einstieg in eine echte Mobilitätswende", so Wolff. Dafür müssten die politischen Rahmenbedingungen von der neuen Bundesregierung umgehend gesetzt werden - bestenfalls schon im Koalitionsvertrag.

Der Anteil der Erneuerbaren Energien an der Stromversorgung ist in Deutschland in den vergangenen 15 Jahren von neun auf über 38 Prozent gestiegen. "Gleichzeitig haben sich die CO2-Emissionen in diesem Zeitraum aber kaum verringert", so die Entega-Chefin weiter. Die Schuld werde oft bei den Braunkohlekraftwerken gesucht - nur hielten sich ihre Betreiber exakt an die Regeln des sogenannten Marktes. Im Ergebnis stehen hochmoderne, effiziente und klimafreundliche Gaskraftwerke still wie das in Darmstadt, während die alten, CO2-schweren Meiler weiter laufen. "Schuld daran ist vor allem das Versagen des Handels mit CO2-Verschmutzungsrechten, also ein politisch induziertes Instrument gerade zur CO2-Vermeidung", führt Wolff aus.

Die eigentlich gute Idee sollte dafür sorgen, dass die Atmosphäre nicht weiter als billige CO2-Deponie missbraucht werde. Das Gegenteil sei der Fall. Ein Zertifikat erlaube den Ausstoß von einer Tonne CO2 und koste um die fünf Euro - was viel zu wenig sei. Wolff: "Denn derzeit sind als Zugeständnis an die Verschmutzer rund drei Milliarden Zertifikate zu viel im System, um den Preis künstlich gering zu halten". Experten hatten von Anfang an einen Preis von mindestens 30 Euro gefordert, um wirkliche Anreize für Klimaschutzmaßnahmen und in der Folge eine signifikante Verringerung des CO2-Ausstoßes zu schaffen.

Nach Meinung von Marie-Luise Wolff muss die neue Bundesregierung gemeinsam mit der EU die Rahmenbedingungen des Zertifikatehandels endlich so verändern, dass der CO2-Ausstoß mit realistischen Kosten belegt wird. Dazu hat das EU-Parlament beschlossen, die Zahl der Zertifikate jährlich um 2,2 Prozent zu verringern. Das jedoch sei viel zu wenig. Klimaexperten erwarten spürbare Effekte erst dann, wenn die Verringerung bei mindestens fünf Prozent liegt. Auch der französische Vorschlag eines CO2-Mindestpreises sollte in Betracht gezogen werden, um die Malaise zu beenden.

Bis die EU so weit ist, sollte die neue Bundesregierung sich in ihrem Koalitionsvertrag auf einen Weg verständigen, wie sie den CO2-Ausstoß in Deutschland konsequent ins Verhältnis zu den Auswirkungen auf das Klima setzen will. Gegebenenfalls sei als Übergangsmaßnahme eine CO2-Abgabe sinnvoll, so Wolff.

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Von Achim Preu