Hohe Energiekosten allein können die enorme Inflation nicht erklären. Wir zeigen, wo entscheidende Preistreiber sitzen und warum uns Bäckereien und Handel vor Schlimmerem bewahren.
Wiesbaden. Dass die teure Energie das Haushaltsbudget auffrisst, ist bekannt. Daten des Statistischen Bundesamtes zufolge lagen die Energiepreise im November trotz der Entlastungsmaßnahmen um 38,7 Prozent über dem Niveau des Vorjahresmonats. Aber auch bei einem anderen großen Posten des Familienbudgets steigen die Preise deutlich stärker als die Gesamtinflationsrate, die im November im Vergleich zum Vorjahresmonat zehn Prozent betrug. So legten Nahrungsmittel mit 21,1 Prozent mehr als doppelt so stark zu. Doch innerhalb dieser Kategorie gibt es große Unterschieden.
Wo steigen die Preise vergleichsweise moderat?
Der „Sonderauswertung Nahrungsmittel“ des Statistischen Bundesamtes zufolge hat sich zum Beispiel Tee mit 6,3 Prozent vergleichsweise moderat verteuert. Obst schlug ebenfalls um rund sechs Prozent auf. Fertiggerichte kommen auf ein Plus von 8,3 Prozent. Bei Gemüse liegt die Teuerungsrate bei 21 Prozent, Fleisch und Eier kletterten um knapp 20 Prozent. Fisch und Meeresfrüchte legten um rund 18 Prozent zu. Aber es gibt auch große Preistreiber. Zum Beispiel pflanzliche Speiseöle mit einem Aufschlag von satten 82 Prozent.
Warum ist Geflügel derart teuer geworden?
Bei Fleisch treibt Geflügel die Preise. Es verteuerte sich um rund 38 Prozent. Nach Angaben von Wolfgang Schleicher, dem Geschäftsführer des Zentralverbandes der Geflügelwirtschaft, schlagen sich in der energieintensiven Branche die hohen Energiepreise besonders nieder. „Darüber hinaus sind Futtermittel um rund 40 Prozent im Preis gestiegen.“ Und nicht zuletzt verknappt eine Krankheit das Angebot. „Die Vogelgrippe kommt nicht mehr saisonal, sondern sie ist quasi permanent eine Bedrohung. Und gibt es in einem Betrieb einen positiven Befund, muss der Bestand gekeult werden“, so Schleicher.
Wie begründet die Milchindustrie die hohen Preise?
Unter den Milchprodukten sticht mit einem Preisplus von 42,3 Prozent Butter hervor. Auch Milch ist erheblich teurer geworden. Fettarme Frischmilch um rund 35 Prozent, haltbare Milch um gut 44 Prozent. Bei Käse und Quark beläuft sich der Anstieg auf 37,6 Prozent. Im Milchsektor spielen zwei Sonderfaktoren eine Rolle, die zu einer Reduzierung des Angebotes führen und so, neben den Energie-, Logistik- und Verpackungskosten, die Preise für Milchprodukte zusätzlich treiben.
„In diesem Sommer produzierten die Bauern weniger Milch, weil unter der großen Trockenheit die Qualität des Futters stark gelitten hat“, sagt Eckhard Heuser, Hauptgeschäftsführer des Milchindustrieverbandes. Darüber hinaus gäben wegen der hohen Kostensteigerungen insbesondere kleinere Milchbetriebe auf oder fänden keinen Nachfolger. „Dennoch ist Milch nach wie vor günstig zu haben, kostet der Liter H-Milch im Angebot zum Teil weniger als ein Euro“, betont Heuser.
Wenn wir einfach alles abgenickt hätten, was die Konzerne fordern, wären die Preiserhöhungen in unseren Läden doppelt so hoch wie sie jetzt sind.
Welches Produkt gehört zu den Inflationsspitzenreitern?
Auch Bäckereien müssen sich viel Kritik anhören, da ihre Preise laut Statistik um 21 Prozent gestiegen sind. Dieses Plus relativiert sich, wenn man sich die Teuerung elementarer Rohstoffe anschaut. So gehört Mehl mit einem Preisplus von knapp 47 Prozent zu den „Spitzenreitern“. „Das Bäckerhandwerk steht im starken Wettbewerb mit der Backindustrie, also den abgepackten Backwaren in den Supermärkten und der Tiefkühl-Aufbackware in den SB-Theken und Tankstellen. Aufgrund dieses Wettbewerbsdrucks muss jeder Handwerksbäcker Fingerspitzengefühl bei der Kalkulation beweisen, um keinen Umsatzverlust und keine Wettbewerbsverschiebung zuungunsten des traditionellen Bäckerhandwerks zu erleiden“, sagt Peter Haarbeck, Geschäftsführer des Verbandes der Getreide-, Mühlen- und Stärkewirtschaft.
Darüber hinaus sei Mehl zwar die wichtigste Zutat, aber eben nur ein Kostenblock von vielen. Entscheidend sei, welche Kontrakte und Beschaffungswege die Bäckereien hätten, betont Haarbeck. „So gibt es Betriebe, die dank langjähriger Verträge von den steigenden Kosten weniger stark betroffen sind. Andere Betriebe hat die Kostenexplosion mit voller Wucht erwischt, sie mussten ihre Kalkulation deutlich stärker anpassen.“
In welchem Maße hat sich Zucker verteuert?
Dass abseits der Rohstoffe andere Einflussfaktoren eine große Rolle spielen können, zeigt auch der Blick in die Süßwarenindustrie. So ist Zucker laut Statistischem Bundesamt mit einem Aufschlag von 49 Prozent mit der größte Preistreiber - weil unter anderem Zuckerrüben deutlich teurer geworden sind. Schokolade dagegen schlug um knapp zehn Prozent, alle anderen Süßwaren um 5,3 Prozent auf. „Wir sind als Unternehmen recht effizient aufgestellt und können einen Teil dieser Kosten absorbieren, indem wir unsere Produktivität steigern“, betont zum Beispiel der Süßwarenkonzern Mondelez (Milka, Oreo, Toblerone). Auch Haribo gibt „lediglich einen Teil der tatsächlichen Kostensteigerungen weiter“.
Eine maßgebliche Rolle spielt offenbar der Handel, der sich laut Rewe-Chef Lionel Souque enormen Forderungen der Hersteller ausgesetzt sieht: „Wir können und wollen die Preise nicht so stark erhöhen, wie die Industrie das fordert. Die Menschen haben nicht so viel Geld.“ Bereits im Jahr 2022 habe Rewe durch hartes Verhandeln die Umsetzung von mehr als der Hälfte der Preisforderungen der Hersteller verhindert. „Gerade internationale Konsumgüterhersteller versuchen auch in der aktuellen Situation noch, ihre Gewinnmargen zu erhöhen“, sagte Souque. Das führe zu Konflikten und manchmal auch zu Regallücken. „Aber wenn wir einfach alles abgenickt hätten, wären die Preiserhöhungen in unseren Läden doppelt so hoch, wie sie jetzt sind.“