Schluss mit den Discountzinsen. Am Immobilienmarkt deutet sich eine Wende an. Was das für Objekte und Interessenten in der Rhein-Main-Region bedeutet.
FRANKFURT / MÜNCHEN. Als wäre Bauen nicht schon teuer genug durch Kapazitäts- und Lieferengpässe sowie fehlendes Bauland. Als hätte der zehnjährige Immobilienboom, getrieben durch Discountzinsen und Anlagenotstand, die Preise für die eigenen vier Wände nicht bereits in teilweise astronomische Höhen getrieben. Und nun kommt noch eine massive Verteuerung der Kredite obendrauf. Also jener Hypothekenzinsen, welche lange die steigenden Hauspreise weniger schmerzhaft erscheinen ließen, sodass Wohneigentum für viele erschwinglich blieb. Dieser Effekt hat sich nun ins Gegenteil verkehrt. Historisch betrachtet ist Baugeld zwar weiter günstig, weit weg von acht bis neun Prozent in den 70er und 80er-Jahren.
Traum vom Eigenheim könnte platzen
Der Traum vom Eigenheim freilich könnte für viele dennoch platzen, bei denen finanziell auf Kante genäht wurde. Und damit dem Markt die Käufer ausgehen, die Preise deutlich sinken.
Fakt ist: Die Konditionen für zehnjährige Standardkredite haben sich seit Dezember von 0,9 Prozent auf zuletzt über 2,5 Prozent erhöht, bei 15 Jahren über drei Prozent – der schnellste Anstieg seit 1980, so die Frankfurter Finanzberatung FMH. Tendenz weiter steigend. Wer beispielsweise 300 000 Euro finanziert über zehn Jahre bei drei Prozent Tilgung, der zahlt nun – so der Immobilienverband IVD – statt 1000 Euro 1400. In zehn Jahren 48.000 Euro mehr. Und Zinssätze von vier Prozent in diesem Jahr seien keine Schwarzmalerei, „sondern sehr realistisch“, so FMH.
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Michael Neumann, Chef des Kreditvermittlers Dr. Klein, rechnet mit einem langsameren Zinsanstieg ab Juli und einem Niveau von etwa drei Prozent bis Silvester. Wer das passende Objekt gefunden hat und noch schnell auf den Zug aufspringen will, wird deshalb jetzt aktiv. Was offenbar viele tun, weil das Leben Tag für Tag teurer wird und die Inflationsrate die „Acht“ kratzt. Ähnliches gilt auch bei Anschlussfinanzierungen über sogenannte Forward-Darlehen, bei denen man sich den aktuellen Zins von heute für die Zukunft sichert gegen einen kleinen Aufschlag.
Käufergruppen dürften aus dem Markt fallen
Das Geschäft boomt. Solche Vorzieheffekte hat auch Michael Voigtländer festgestellt, Immobilienfachmann am Institut der deutschen Wirtschaft (IW). In der zweiten Jahreshälfte werde man jedoch eine „Wende“ sehen, denn mehr und mehr Käufergruppen dürften aus dem Markt fallen, sagt er.
Spannend: Was ist mein Haus eigentlich wert?
Das sieht auch Ifo-Experte Ludwig Dorffmeister so. Bislang ist jedoch keinerlei Kaufzurückhaltung festzustellen, so eine Stichproben-Umfrage bei Banken aus der Region und bei Maklern. Und dabei dürfte es wegen des Nachfrageüberhangs bleiben. Wie eine IW-Studie feststellt, sei Kaufen zudem oft günstiger als Mieten – wobei der Vorteil nun schwindet, falls die Mieten nicht wie die Zinsen weiter klettern. Michael Mahr, Vorstandssprecher der Volksbank Darmstadt-Südhessen spricht von einer „ungebrochenen Nachfrage.“ Er erwarte zwar eine Abflachung, aber keinen Einbruch. Statt Doppelhaushälfte dann eben die Eigentumswohnung. Markus Rusam, Chef des Immobiliencenters der Sparkasse Darmstadt, bestätigt die sehr große Nachfrage nach Immobilien und verweist auch auf Kapital durch Erbschaften und die Auszahlung von Lebensversicherungen.
Stefan Mitropoulos, Ökonom bei der Landesbank Helaba, prognostiziert, dass höhere Zinsen den Preisauftrieb bei Immobilien spürbar dämpfen werden. Preiseinbrüche erwartet er jedoch nicht. Das günstigere Umland könnte aber an Attraktivität gewinnen. Zumindest wenn Homeoffice weiterhin ausgeprägt möglich ist und die dafür nötige Telekommunikations-Infrastruktur den Ansprüchen genügt.
Experten der Deutschen Bank sehen den Aufwärtszyklus zwar auch auslaufen bis 2024, jedoch nur mit einer „verhaltenen Preiskorrektur.“ Was angesichts des Wohnungsmangels und des weiterhin hoch angesiedelten Wunsches nach dem eigenen Häuschen ein nachvollziehbares Szenario ist. Vor allem in wirtschaftlich stabilen Zuzugsregionen wie Rhein-Main und solchen im Dunstkreis von Frankfurt und seinem Flughafen.
Warnung vor Blasenbildung
In den vergangenen Jahren sind die Immobilienpreise immer schneller gestiegen – trotz aller Warnungen vor einer Blasenbildung. Bundesweit mussten 2021 für Wohnungen und Häuser im Schnitt elf Prozent mehr bezahlt werden als in den zwölf Monaten zuvor. Was sich 2022 fortgesetzt hat. Nach Angaben des Pfandbriefverbands vdp lagen die Preise für selbstgenutztes Wohneigentum im ersten Quartal 2022 um 12,5 Prozent höher als vor Jahresfrist. Die Notenbanken, so auch die EZB, die lange die Märkte mit Liquidität geflutet haben, müssen auf die ausufernde Inflation nun aber reagieren. Zumal eine Lohn-Preis-Spirale droht. Eine Leitzinserhöhung, die erste seit 2011, wird deshalb im Juli erwartet.
Doch die geldpolitische Kehrtwende kann nur ganz behutsam erfolgen, auch weil die Konjunktur labil ist. Das heißt: Die Inflation bleibt erst einmal hoch. Für alle, die ein Haus oder eine Wohnung finanzieren wollen, ist das doppelt bitter. Denn sie müssen nicht nur höhere Zinsen zahlen, auch die Baukosten gehen weiter durch die Decke. Hypothekendarlehen sind zwar von der Zinsentscheidung der EZB weitgehend unabhängig. Sie werden langfristig über Pfandbriefe refinanziert. Deren Zinsen orientieren sich an der Renditeentwicklung der zehnjährigen Bundesanleihe. Und die zieht in Zeiten hoher Inflationsraten deutlich an. Und mit ihnen die Bauzinsen.
Von Achim Preu