Der Rettungswagen kommt von hinten angerauscht – mit Einsatzhorn und Blaulicht. Doch was tun, wenn kein Platz ist zum Ausweichen? Die Verhaltensregeln im Überblick
SÜDHESSEN. Die Straßenverkehrsordnung schreibt grundsätzlich vor, dass Rettungskräfte mit gleichzeitig eingeschaltetem Blaulicht und Einsatzhorn freie Fahrt haben. Aber was passiert, wenn im Rückspiegel plötzlich ein Kranken- oder ein Polizeiwagen mit Blaulicht und Sirene auftaucht und kein Platz vorhanden ist, um auszuweichen? Darf dann das Tempolimit gebrochen werden?
So ist es denkbar, dass in einer Baustelle nur eine einzige Spur befahrbar ist und von hinten ein Rettungsfahrzeug im Einsatz angebraust kommt. Dann ist es einem Vorausfahrenden möglicherweise unmöglich, Platz zu machen. Darf der dann beschleunigen und die zulässige Höchstgeschwindigkeit überschreiten, um die Rettungskräfte nicht aufzuhalten? Laut Straßenverkehrsordnung (StVO) darf er das, wenn (zum Beispiel) ein Krankenwagen gleichzeitig Blaulicht und Einsatzhorn eingeschaltet hat, ihm also signalisiert wird, schnellstmöglich Platz machen zu müssen.Wenn sich Retter und Verkehrsteilnehmer nicht mehr aus dem Weg gehen können, so gibt es nach dem Crash nicht selten ein weiteres Aufeinandertreffen – dann vor Gericht.
Standstreifen nicht für „Normalos“ – Auf einer Autobahn wurde wegen eines Unfalls eine Rettungsgasse gebildet. Ein Autofahrer wechselte auf die rechte Fahrspur, wobei er die durchgezogene Linie des Standstreifens „überfuhr“. Er stieß mit einem von hinten kommenden Polizeifahrzeug zusammen und forderte später Schadenersatz. Allerdings vergeblich. Er konnte nicht mit dem Argument durchdringen, die Polizei hätte die Rettungsgasse nutzen müssen. Der Unfall ist allein dadurch verursacht worden, so das Oberlandesgericht Frankfurt am Main, dass der Pkw-Fahrer beim Wechsel vom mittleren auf den rechten Fahrstreifen über die Begrenzungslinie hinaus auf den Seitenstreifen geraten ist. Es stellte sich ferner heraus, dass die Polizisten mit mäßiger Geschwindigkeit – 45 bis 50 km/h – unterwegs waren, das Blaulicht eingeschaltet hatten und dennoch nicht vom Pkw-Fahrer bemerkt worden sind. (AZ: 1 U 248/13)
Mit „größtmöglicher“ Sorgfalt die Vorfahrt missachtet – Grundsätzlich sind Bundeswehr, Bundespolizei, Feuerwehr, Katastrophenschutz, Polizei und Zolldienst von den Vorschriften der Straßenverkehrsordnung „befreit“, soweit das zur „Erfüllung hoheitlicher Aufgaben“ dringend geboten ist. Fahrzeuge der Unfallforschung (eingesetzt unter anderem von Technischen Universitäten und Medizinischen Hochschulen) gehören hingegen nicht dazu. Das war in einem vom Oberlandesgericht Celle zu entscheidenden Fall von Bedeutung, weil eines dieser Fahrzeuge mit hoher Geschwindigkeit trotz roter Ampel in eine Kreuzung eingefahren war und dort mit einem Pkw zusammenstieß. Der Fahrer des Unfallforschungswagens wurde für voll schuldig befunden, da er kein Vorrecht vor den anderen Verkehrsteilnehmern geltend machen konnte. (AZ: 14 U 158/10)
Zusammenstoß mit Blaulichtwagen – Eine Autofahrerin wollte gerade links abbiegen, als sich von hinten ein Rettungswagen mit hoher Geschwindigkeit näherte. Während sie ihren Blinker gesetzt hatte und auf die Abbiegespur gefahren war, kam es zum Zusammenstoß mit dem Blaulichtfahrzeug, dessen Fahrer sich ebenfalls zum Überholen entschieden hatte. Bei der Klärung der Schuldfrage lehnte die Frau die Verantwortung ab. Die Richter des Landgerichts Saarbrücken hatten hierfür allerdings kein Verständnis.
So hätte die Vorausfahrende einerseits rechts ranfahren müssen, andererseits habe sie gegen das Gebot der doppelten Rückschaupflicht verstoßen. Da in dem vorliegenden Fall der Einsatzwagenfahrer aufgrund der besonderen Eile von den Vorschriften der Straßenverkehrsordnung befreit war und er nicht von einer fehlenden Wahrnehmung seitens der vorausfahrenden Autofahrerin ausgehen konnte, traf ihn kein Mitverschulden. (AZ: 13 S 61/11)
Von Maik Heitmann