Der Südhesse Markus Rühl war einer der bekanntesten Bodybuilder der Welt und ist heute als Geschäftsmann erfolgreich.
GROß-BIEBERAU. Vor ein paar Jahren war er schon fast weg. Weg aus der Heimat, weg aus Südhessen. Markus Rühl wollte unbedingt nach Kanada auswandern und als Geschäftsmann durchstarten. Mehrere Wochen weilte der Bodybuilder dort, lernte angesehene Unternehmer kennen, die ihm ein lukratives Angebot machten. Mehrere Shops für Nahrungsergänzungsmittel sollte er leiten – genau sein Ding, nachdem er 2010 seine Karriere als Profi-Bodybuilder beendet hatte. Jeder in der Szene kannte damals den Koloss aus Roßdorf, der einst in aller Herren Länder auf der Bühne gestanden hatte. Er war Entertainer, begeisterte sogar die verwöhnten Fans in Übersee. Rühl und die große, weite Welt – das schien perfekt zu passen. Doch der heute 49-Jährige entschied sich gegen die Offerte. „Eigentlich nur, weil niemand mein Fitnessstudio übernehmen wollte“, erinnert sich Rühl. Fast sieben Jahre ist das mittlerweile her. Eine lange Zeit, in der in seinem Leben viel passiert ist. Wenig später lernte Rühl seine heutige Frau kennen, seine Tochter kam zur Welt und er baute ein Haus in Groß-Bieberau. Von der großen, weiten Welt träumt er heute nur noch selten.
Ende der 1990er-Jahre war Rühl in die Bodybuilder-Weltspitze vorgestoßen. Bei den prestigeträchtigsten Events wie etwa „Night of Champions“ oder „Mr. Olympia“ überzeugte er die Jury immer wieder, feierte zahlreiche Top-Platzierungen und Siege. Die Amerikaner liebten den sympathischen Blonden, den sie als „The German Beast“ vermarkteten. Und Rühl machte die Show mit. Immer wieder inszenierte er sich spektakulär zu den Liedern der Metal-Band Rammstein. Und er drehte unterhaltsame Videos, in der er zum Beispiel in einem knappen Tank-Top durch einen Supermarkt schlendert und die Blicke auf sich zieht. „Es war eine tolle Zeit“, sagt Rühl. „Ich bin aber sehr glücklich mit meinem Leben, das ich mir in den letzten Jahren aufgebaut habe.“ Seine mittlerweile fünf Jahre alte Tochter und seine Frau machen ihn mächtig stolz. Und er kann den Leuten sagen, dass er ein erfolgreicher Unternehmer ist. Rühl betreibt einen Online-Shop für Sportbekleidung und Nahrungsergänzungsmittel, aus der Fitnessstudio-Branche hat er sich zurückgezogen. „Wir haben mittlerweile elf Mitarbeiter, agieren europaweit und produzieren selbst Nahrungsergänzungsmittel“, erzählt der gelernte Kfz-Mechaniker und Bürokaufmann. Seine jüngste Kreation: Eiweißpulver mit Biergeschmack. „Wir haben in drei Tagen zwei Tonnen verkauft. Das verkaufen andere Hersteller in sechs Monaten.“
Natürlich trainiert Rühl immer noch regelmäßig, nach drei Jahrzehnten als Bodybuilder kann er darauf nicht verzichten. „Ich liebe das Training einfach“, sagt der glühende Anhänger von Fußball-Zweitligist SV Darmstadt 98, der mit Ex-Spieler Marcel Heller befreundet ist. Als Jugendlicher schnürte er in Roßdorf selbst die Fußballschuhe, ehe er als 19-Jähriger erstmals ein Fitnessstudio betrat, weil er nach einer Knieverletzung seine Muskulatur stärken wollte. Doch das individuelle Training faszinierte ihn viel mehr als die Teamsportart Fußball, weil er dabei seine Neigung zur gnadenlosen Selbstdisziplin besser ausleben konnte. Als Profi-Bodybuilder hatte Rühl einen Körperfettanteil von lediglich drei Prozent bei einem Gewicht von knapp 130 Kilogramm. So viel wiegt er auch heute noch. „Ich habe aber zwölf bis 15 Kilogramm Muskeln verloren und bin ein bisschen dicker geworden“, berichtet der Südhesse. Aber natürlich ist er auch mit fast 50 Jahren noch fitter als die meisten jungen Männer, die in Fitnessstudios Gewichte heben. „Es geht jetzt nicht mehr um die Optik, sondern darum, dass mir das Training gesundheitlich etwas bringt“, betont Rühl. Fünfmal pro Woche trainiert er am frühen Vormittag, ehe er sich seinem Online-Shop widmet. Und nebenbei gibt er seine Erfahrungen an junge Bodybuilder weiter. Fitnessstudios buchen ihn für Seminare, in denen er unter anderem über Motivation und Selbstdisziplin spricht. Und er dreht immer wieder Videos, die er bei YouTube hochlädt und jeweils bis zu vier Millionen Mal geklickt werden. „Im Bodybuilding wird heute vieles zu kompliziert gemacht. Ich versuche einfach zu erklären, worauf es ankommt“, erklärt Rühl.
Die Videos sind für den Südhessen aber kein Ersatz für seine Auftritte als Bodybuilder. Den Entertainer spielte er vor allem, weil das dazugehört habe. „Von Natur aus bin ich eigentlich eher ein introvertierter Mensch und mag es, alleine zu sein.“ Was als Bodybuilder natürlich nur selten möglich ist. Jahrelang hatte er kaum Privatsphäre, lebte aus dem Koffer, bereiste mehr als 60 Länder und hetzte von Auftritt zu Auftritt. „Mir ging es aber immer um den Sport“, betont Rühl, der nach seinem Triumph bei der deutschen Meisterschaft im Jahr 1997 ins Profilager wechselte. „Manchmal vermisse ich die alten Zeiten sehr.“ Aber eben nur manchmal. Denn seine Sicht auf die Welt hat sich verändert.