Wie Sportler Herausforderungen in der Krise meistern
Sportpsychologe Frank Hänsel empfiehlt Athleten eine positive Haltung. Denn im Umgang mit der Corona-Krise könnte der Sport einen gewissen Vorteil haben.
Von Volker Bachmann
Sportredakteur
Neue Trainingsformen und "flexible Beharrlichkeit" sind nun gefragt, um die sportlichen Ziele in der Corona-Krise nicht aus den Augen zu verlieren. Foto: Imago
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SÜDHESSEN - Was tun, wenn auch Plan B nicht mehr funktioniert? Ja, wenn letztlich gar nichts mehr zu gehen scheint, kein Ziel mehr gilt? In dieses Dilemma hat die Corona-Krise viele Bereiche des gesellschaftlichen Lebens gestürzt, auch den Sport. Olympische Spiele, internationale Meisterschaften, nationale Turniere, der ganze Spielbetrieb - alles vertagt, oft für unbestimmte Zeit. "Ich würde dennoch versuchen, ein konkretes Ziel ins Auge zu fassen, das eine gewisse Wahrscheinlichkeit hat", empfiehlt Frank Hänsel, Sportpsychologe an der TU Darmstadt, den betroffenen Athleten und Trainern.
Das Ziel könne etwa ein Wettkampf im Spätsommer oder Herbst sein. Dieser könnte dann Motivation, Perspektive und Sinn im Leistungsstreben bieten. Auf dem Weg dorthin helfe, so Hänsel, vielleicht am ehesten "der paradoxe Begriff der flexiblen Beharrlichkeit". Zumal nach dem allgemeinen Stillstand auch eine eher vorsichtige Annäherungsphase an den Wettkampfbetrieb einzuplanen ist. "Es geht nicht von Null auf Hundert". Dabei sei es angebracht, die Ziele weiter beharrlich zu verfolgen, aber auch zuzulassen, sie anzupassen, wenn es die Umstände erfordern. "Eine Gratwanderung, die man immer wieder neu aufnehmen muss."
Variabilität besonders herausgefordert
Der Sport könnte allerdings im Umgang mit der Krise einen gewissen Vorteil haben, obwohl für viele Spitzenathleten der Fokus ihres Lebens verloren gegangen ist. "Denn der Sport lebt ohnehin mit einem hohen Risikopotenzial", so Hänsel, der auch Athleten sportpsychologisch betreut. Abweichungen vom Idealfall gibt es immer wieder. Verletzungen, Krankheiten, Trainerwechsel, schlechte oder veränderte Trainingsbedingungen. Diese Unvorhersagbarkeit kenne man. "Deswegen haben viele auch variable Pläne, mit denen sie arbeiten. Hier ist aber die Variabilität nun sehr herausgefordert", sieht der Sportwissenschaftler im allgemeinen Stillstand und der erzwungenen Wartehaltung doch eine andere Dimension.
LEHRE FINDET DERZEIT DIGITAL STATT
Frank Hänsel leitet am Institut für Sportwissenschaft der TU Darmstadt den Bereich Sportpsychologie, Forschungsmethoden, Sportmanagement. Auch der 60-jährige Professor muss an der Universität mit großen Einschnitten durch die Corona-Krise zurechtkommen. Die Forschung stehe still, die Lehre finde digital statt, teilt er aus dem Homeoffice mit. "Sporttheorie, das kann man so einigermaßen machen, aber in der Sportpraxis ist das natürlich nicht möglich." Aufsetzen neuer Strukturen und Geschäftsprozesse, Regeln der Krisenkommunikation bestimmten die vergangenen Wochen an der TUD.
"Die Mitarbeiter sind stark verunsichert, die Studierenden sind stark verunsichert", fasst Hänsel die Situation zusammen, die auch in anderen Bereichen allgegenwärtig scheint.
Bei Verletzungen gebe es Experten, die unterstützen. Auch der eigene Einsatz in einer Reha lässt Betroffene im Glauben, das Geschehen im gewissen Maß beeinflussen zu können. Corona ist aber nun eine Sache, "die noch weniger beeinflussbar ist". Die einzige greifbare Vorgabe sei, "dass man sich an Regeln hält, die andere, schwächere Menschen schützen sollen".
Unsicherheit ist nur allzu menschlich
Die daraus resultierende Unsicherheit sei etwas allzu Menschliches, das man nicht nur im Sport sehe, sagt der Psychologe. "Der Mensch strebt grundsätzlich nach Kontrolle und Vorhersagbarkeit. Wir möchten also gerne wissen, was mit uns passiert. Wir möchten den Eindruck haben, das zu kontrollieren." Zuversicht und mentale Stärke lassen sich daraus ableiten. "Die große Aufgabe ist nun, für sich Möglichkeiten zu finden, diesen Eindruck von Sicherheiten wieder herzustellen." Aktiv mit der Situation umzugehen, heißt dazu Hänsels weiterer Ratschlag. "Selbst erkennen, was macht mir jetzt den Stress, diese Unvorhersagbarkeit, die Unkontrollierbarkeit." Dann lasse sich über Rituale, Gewohnheiten und neue Regelmäßigkeiten auch Stabilität gewinnen.
Zuvor gelte es noch, "einen Reset" zu machen und sich neu aufzustellen. "Das heißt, ich muss Abstand nehmen können von den alten Zielen und darf denen nicht lange nachtrauern. Man darf nicht verharren und nicht starren, auf das, was man sonst getan hat oder jetzt fehlen mag."
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Das ist sicher leichter gesagt als getan. Daher scheint sportpsychologisches Training gefragter denn je. Ein Vorteil hat da natürlich derjenige, der schon auf systematischer Praxis aufbauen kann. Denn wenn man in so einer krisenhaften Situation sei, weiß Hänsel, dann ist der Einstieg schwierig. Andererseits hätten Sportler jetzt mehr Zeit und Möglichkeiten, neue Dinge auszuprobieren. "Andere Kommunikationswege, andere Trainingsformen, zu denen gehört unter anderem das mentale Training. Das wäre sicherlich eine Empfehlung." Abbau des Stresslevels und Entspannung sind Vorbedingung.
Einen Vorteil haben Athleten, die die Krise nicht als Bedrohung, sondern mehr als Herausforderung empfinden. "Die Frage ist, kann ich positiven Gewinn daraus ziehen, zuversichtlich damit umgehen", erklärt Hänsel. Athleten des Typs, der Antrieb aus der Hoffnung auf Erfolg schöpft, tun sich dabei leichter. "Die anderen haben Furcht vor Misserfolg und versuchen eher Fehler zu vermeiden", sagt Hänsel und ergänzt: "Weiterentwicklung hat aber auch damit zu tun, Fehler zu machen und zuzulassen."
Die Vorstellung und Visualisierung des nächsten Wettkampfs sollte vor allem auch die Aussicht enthalten, "dass es allen anderen genauso geht wie mir, dass das nächste Turnier für alle das Gleiche bedeutet: nämlich aus einer schwierigen Trainingssituation in den Wettkampf geschickt zu werden".