„Wir bieten sehr gute Inhalte, Werte und auch tollen Sport“
DHB-Sportdirektor Axel Kromer spricht im ECHO-Interview über die Popularität der Handball-Nationalmannschaft, über Fernsehzeiten und den „Geruch des Handballs“ in den Sporthallen.
Axel Kromer im Interview als DHB-Sportdirektor und als Co-Trainer bei den Olympischen Spielen 2016 in Rio de Janeiro.
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DARMSTADT - Darmstadt. Axel Kromer kennt den deutschen Handball aus allen Blickwinkeln. Als Spieler, als Vereinstrainer, als Co-Trainer der Nationalmannschaft, als Nachwuchskoordinator und seit 2017 als Sportdirektor im Deutschen Handball-Bund. Als solcher gehört er am Mittwoch zu den Gästen beim ersten „Merck-Falken-Talk“ in Darmstadt. Im ECHO-Interview spricht der 42 Jahre alte Ludwigsburger über Fernsehzeiten, harten Arbeit in den Vereinen und den „Geruch des Handballs“ in altehrwürdigen Sporthallen.
Herr Kromer, beim von der HSG Bieberau/Modau initiierten „Merck-Falken-Talk“ geht es auch um den Kampf des deutschen Handballs im Schatten des allmächtigen Profifußballs. Haben Sie in ihrer Arbeit tatsächlich das Gefühl des Schattendaseins?
Das Schattendasein ist auf keinen Fall immer präsent. Wir haben eine Zielgruppe, die wir mit sehr guten Inhalten und Werten und auch sehr tollem Sport treffen. Wir versuchen wie andere Sportarten auch, frühzeitig künftige Mitglieder für den Handballsport zu begeistern und möglichst langfristig zu binden. Letztlich ist das der gleiche Kampf, den auch der Fußball aktiv führt. Man hört ja auch, dass der Fußball etwa darunter leidet, dass dem Nationalteam Fans verloren hat.
Axel Kromer im Interview als DHB-Sportdirektor und als Co-Trainer bei den Olympischen Spielen 2016 in Rio de Janeiro. Fotos: dpa
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Die Fußball-Nationalmannschaft hatte zuletzt tatsächlich Probleme, die Stadien zu füllen. Gilt das auch für die Handball-Nationalmannschaft?
Unser Länderspiel am 4. Januar in der SAP-Arena gegen Island ist seit vier Wochen ausverkauft, was eine unglaubliche Begeisterung für das Nationalteam im Moment darstellt. Natürlich sind wir auch den Weg gegangen, den der Fußball gegangen ist, nämlich raus aus den alten Leichtathletikstadien mit alten Holzbänken und Stadionwurst. Heute sind das große moderne Arenen, die zum einen mehr Luxus bieten, aber auch teurere Infrastruktur mit sich bringen. Im Handball ist es ähnlich, dass wir eben nicht mehr in die klassischen Schulsporthallen gehen, wie es der Drittligist oder tieferklassige Mannschaften tun. Dort liegen zwar die Wurzeln des Handballs. Aber natürlich haben wir auch eine Kundschaft und nicht nur eine Mitgliedschaft. Und die Kunden erwarten eben auch große Events, die mehr als nur das reine Handballspiel mit sich bringen.
„MERCK-FALKEN-TALK“ IN DARMSTADT
Axel Kromer ist einer der Experten beim ersten „Merck-Falken-Talk“ am heutigen Mittwoch (19 Uhr) in der Darmstädter Lichtenbergschule. Zur Talkrunde mit dem Thema „Situation des Handballsports in Deutschland“ gehören zudem Jennifer Kettemann (Geschäftsführerin Rhein Neckar Löwen GmbH), Dirk Sulzmann (Leiter Kommunikation Merck), Jens-Jörg Wannemacher (Ressortleiter Sport der ECHO-Zeitungen), Michael Spatz (Spieler TV Großwallstadt) und Georg Gaydoul, der als Geschäftsführer der HSG Bieberau/Modau zu den Ideengebern der Veranstaltung gehört, mit der der Drittligist auch seiner Aufgabe als Führungskraft im Handball der Region Darmstadt-Dieburg gerecht werden will.
Gefühlt gibt es aber eine große Diskrepanz zwischen der Begeisterung während der großen Meisterschaften und dem sportlichen Alltag.
Das liegt auf der einen Seite auch daran, dass es dem Deutschen Handball Bund gelungen ist, mit den Fernsehsendern eine Partnerschaft zu knüpfen, mit der wir in den nächsten Jahren alle großen Meisterschaften in den öffentlich-rechtlichen Kanälen präsentieren zu können. Aber ich glaube auch, dass seit dem Sommermärchen im Fußball 2006 und der Handball-WM 2007 Deutschland einfach nach großen Events lechzt und diese auch zu allen überschwappt, die nicht reine Handballer sind.
Aber wie groß ist eben auf der anderen Seite der Frust, eine wirklich attraktive Handball-Bundesliga nur schwer ins Fernsehen zu bringen?
Die Handball-Bundesliga ist mit ihrer Partnerschaft mit Sky besser denn je versorgt und damit auch sehr zufrieden. Aber es ist eben so, dass in Deutschland nicht die Mentalität Einzug gehalten hat wie in England oder USA, wo in jedem Familienhaushalt fünf, sechs verschiedene Receiver stehen. Wir Deutschen sagen, mit unserer GEZ zahlen wir schon genug für Dinge, die wir nicht nutzen und deshalb ist es bei uns so schwer, dass die Zahlen der Bezahlsender auch als Erfolg anerkannt werden. Ich selbst, der natürlich Sky hat als Handball-Interessierter, bin begeistert, wieviel Handball ich und meine Söhne schauen können. Aber dadurch gewinnen wir natürlich keine weiteren Fans, weil es keinen freien Zugang zum Handball gibt. Fans zu gewinnen, gelingt nur über die öffentlich-rechtlichen Programme.
Also doch ein bisschen ärgerlich, dass im Fußball Spiele bis zur Dritten Liga live gezeigt werden und die Handball-Bundesliga froh ist, wenn es mal eine ordentliche Zusammenfassung gibt?
Natürlich ist das ärgerlich. Aber das hat sich der Fußball auch erarbeitet. Ich kann verstehen, dass für einen Privatsender irgendein Benefizspiel zwischen einem Traditionsverein und dem FC Bayern interessanter ist, weil er damit mehr Zuschauer anzieht und mehr Geld verdienen kann. Es ist aber auch wichtig, dass die öffentlich-rechtlichen Sender die Interessen der Gesellschaft abbilden und verschiedene Sportarten zeigen, weil es das ist, was viele Menschen interessiert. Deswegen finde ich es vor allem wichtig, dass die Dritten Programme im Sonntagabend-Programm nicht auch noch zu 90 Prozent Fußball zeigen, sondern auch andere Sportarten bedienen.
Wie würden Sie die wirtschaftlichen Bedingungen derzeit bezeichnen für Profi-Handballvereine zum einen und auch Profi-Handballer?
Generell ist es so, dass die wirtschaftlichen Erfolge auch hauptsächlich bei den Spielern ankommen. Man soll nicht glauben, dass wenn Sponsoren gewonnen werden oder Ticketpreise steigen, die Vereine sich damit ein Vermögen anhäufen wollen. Deswegen geht es den Spielern aus meiner Wahrnehmung heute sehr gut. Sie müssen natürlich auch sehr viel dafür leisten. Spieler klagen zurecht oft über eine sehr hohe Belastung. Aber es ist natürlich auch so, dass durch diese hohe Wettkampfdichte die Gelder zu den Bundesligisten kommen, die diese dann an die Spieler weitergeben.
Wir bewegen uns bei der HSG Bieberau/Modau im drittklassigen Bereich. Welche Sorgen und Nöte kommen auf dieser Ebene bei Ihnen an als DHB an?
Generell ist es erst einmal so, dass die Dritte Liga eine Art Wiege des Handballs ist. Ich habe selbst schon als Trainer des Gegners in Groß-Bieberau gespielt. Es sind genau diese Bedingungen: historische Sporthallen, Tribünen und Mannschaftsbänke, die bis an den Rand des Spielfeldes reichen. Das ist dieser Geruch des Handballs, der lebt in diesen Hallen. Das ist ja auch das, was den Großteil unserer Aktiven begeistert. Ich bin selbst in einem noch viel kleineren Verein aktiv. Wenn du da in die Halle kommst, fühlst du dich wie zu Hause, das ist dein zweites Wohnzimmer. Für mich ist dieser pure und ehrliche Handball. Da gibt es nicht die stündlich gereinigten modernen Toiletten und Imbissstände. Da gibt es eben das typische Bier aus der Flasche und das von ehrenamtlichen Helfern zubereitete Mettbrötchen.
Was wirtschaftlich aber auch ein Kraftakt ist für die Vereine.
Selbstverständlich. Dritte Liga ist ja schon Leistungshandball. Wenn man überlegt, wieviele ausländische Spieler in den ersten Ligen spielen und wieviele deutsche Spieler da noch Platz haben. Dann sieht man eben, die wievieltbesten Spieler in den Ligen darunter spielen. Ich schätze mal, Groß-Bieberau hat vier Mal Training in der Woche. Das ist schon ein Nebenberuf. Das heißt, die Vereine müssen Aufwandsentschädigungen bereitstellen, um im Wettbewerb bestehen zu können. Auch durch die Reisen und die Hallenreinigungen wegen des Harzes entstehen jede Menge Kosten. Da ist es eben eine Sisyphusarbeit für die meist ehrenamtlichen Manager und Abteilungsleiter. Sie müssen Klinken putzen und bei der regionalen Wirtschaft nach Gönnern zu suchen. Marketing ist schwer messbar, welche Wirkung hat der Auftritt einer Firma mit irgendeinem Aufkleber auf dem Auto. Hat sie dadurch einen Kunden mehr? Es ist im Handball sicher einfacher, jemanden als Sponsor zu gewinnen, der eine Begeisterung für den Sport mitbringt und eine große Wertschätzung für die Menschen, die sich da engagieren.
Gefühlt lockt der Handball aber gerade in den tieferen den Klassen mehr Zuschauer als der Fußball. In unserer Region sind 200, 300 Zuschauer in einem Bezirksligaspiel keine Seltenheit, während ein Fußball-Hessenligist froh ist, wenn mal 150 Zuschauer kommen. Teilen Sie diese Beobachtung bundesweit gesehen?
Sozialisation im Sport ist ein großes Thema. In die Handballfamilien wird man sehr oft hineingeboren. Der Handballer scheidet selten komplett aus dem Verein aus. Ich habe auch einen Sohn, der Fußball spielt und da ist für mich auch zu erkennen, dass die Bindung zum Verein nicht ganz so groß ist. Ich habe auch das Gefühl, dass manche Eltern sagen: Wenn im nächsten Verein die Trainingszeiten etwas besser passen, dann gehe ich eben da hin. Im Handball ist die Bindung größer, man sozialisiert die nächste Generation in den Verein einfach rein.
Sie sind selbst auch als Jugendtrainer aktiv. Wie groß oder vielleicht auch klein sind die Sorgen um den Handball-Nachwuchs?
Ich weiß, dass wir tagtäglich an diesen Aufgaben arbeiten, im DHB, in den Landesverbänden und natürlich in den Vereinen. Aber das sind keine Sorgen. Wir kennen die Aufgaben, dass wir uns da wirklich aktiv um die Akquise kümmern müssen. Dass wir etwa mir Aktionen etwa an den Schulen neue Kinder werben oder Jugendliche zurückholen zum Handball. Wir haben vor Kurzem eine Ehrenamtskampagne gestartet, in der Nationalspieler den Ehrenamtlichen danken. Die Vereine können diejenigen nennen, die sich in ihrer Wahrnehmung nach am allermeisten für die Mitglieder eingebracht haben. Wir können sicher immer mehr machen, aber wir sind da gut aufgestellt und der Begriff Sorge wäre mir an dieser Stelle zu negativ behaftet.
Hört sich nach weniger Sorgen an als an der Basis oft rauszuhören sind?
Nein, wir kennen aber unsere Aufgaben. Wir haben Medaillen gewonnen und die Hallen sind voll. Da könnten wir die Füße hochlegen und genießen. Aber wir müssen genau jetzt, wo wir das Potenzial auch haben, weiterinvestieren und sagen: Sowohl die Mitgliedergewinnung ist ein wichtiger Baustein für die nächsten Monate und Jahre, aber auch der Leistungssport. Die Mitgliederzahlen entwickeln sich immer dann am besten, wenn auch der Spitzenhandball erfolgreich ist. Wenn die Nationalmannschaft 2007 und 2016 Medaillen gewinnt, dann merkt man das im Nachgang, dann kommen mehr junge Menschen, die muss man natürlich auch binden und man muss den Vereinen dabei helfen. Das geht nicht dann, wenn die Sorgen groß sind, sondern man muss vorausschauend sein und sagen: Jetzt können wir uns das gerade erlauben und Kampagnen starten, um unsere Ziele zu erreichen. Nämlich den Mitgliederschwund, den es im Sport im Allgemeinen gibt, vom Handball einfach fernzuhalten.