Kolumne von Wortpiratin Mara Pfeiffer: Kränkungen überwinden, den Verein über alles stellen
Liest man sich die aktuellen Kommentare zu den 05ern durch, so fällt doch auf, dass die Namen Christian Heidel und Thomas Tuchel recht häufig fallen. In der Regel geht es um Rückholfantasien.
Von Mara Pfeiffer
Fans des FSV Mainz 05 in der Opel Arena.
(Archivfoto: Sascha Kopp)
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MAINZ - Kränkung als Motiv des menschlichen Handelndes ist ein Thema, das in der Psychologie einen festen Platz hat. Viele zwischenmenschliche Schwierigkeiten lassen sich darauf zurückführen. Kränkungen sind immer subjektiv, das bedeutet, sie lassen sich nicht objektiv messen. Wovon sich der eine gekränkt fühlt, lässt die andere vielleicht völlig kalt und umgekehrt.
Dennoch gibt es verschiedene Ereignisse, die in den meisten Menschen Kränkung hervorrufen, zum Beispiel, vom Partner hintergangen zu werden. Auch Trennungen verursachen Kränkungen, weil sie am Selbstwertgefühl nagen und Wunden schlagen in die Seele des Verlassenen. Was das Thema besonders kompliziert macht, ist die Tatsache, dass Kränkung häufig verschwiegen wird. Um keine Schwäche zu zeigen, lächeln Menschen das unangenehme Gefühl weg. Die Verletzung wird nicht behandelt, bricht deshalb in ähnlichen Situationen wieder auf und die kumulierte Wut trifft dabei nicht selten den völlig Falschen.
In der Regel geht es dann um Rückholfantasien
Ja, sind wir denn hier bei „Psychologie heute“, wird sich der eine oder andere Leser leicht verwundert fragen. Nein. Liest man sich aber die Kommentare zur aktuellen Situation unseres Lieblingsvereins durch, so fällt doch auf, dass die Namen Christian Heidel und Thomas Tuchel nach wie vor recht häufig fallen. In der Regel geht es dann um Rückholfantasien, ab und zu ist auch Wut darüber im Spiel, dass der Don dem Verein den Rücken gekehrt hat, ohne sein festes Versprechen, vorher alles zu ordnen, was zu ordnen ist, tatsächlich eingelöst zu haben.
Was läuft aktuell schief zwischen Verein und Fans, diese Frage beschäftigt alle Parteien. Wenn wir nicht aufpassen, haben wir die offenen Gräben am Ende der Saison zwar inspiziert, haben Bodenproben genommen und uns über deren Beschaffenheit ausgetauscht, aber letztlich die notwendigen Antworten nicht gefunden. Wenn die Situation noch länger so bleibt, wie sie sich aktuell darstellt, müssen wir die Antworten vermutlich in der kommenden Saison in der 2. Liga suchen. Das wäre für Mainz vielleicht auch nicht das Ende der Welt, aber so kampflos, wie es momentan den Anschein macht, sollten wir das Privileg der 1. Liga nicht abschenken.
Gerade ist die oben beschriebene Kränkung als Motor im Handeln aller Beteiligten deutlich spürbar. Aber wo haben diese Kränkungen ihren Ursprung? Schauen wir auf die Fans und die Frage, wann hat die 05-Wagenburgmentalität Brüche erfahren, ist die Antwort eindeutig: als zunächst Thomas Tuchel und später Christian Heidel gegangen sind.
Wurde der Abgang von Tuchel noch achselzuckend abgeschüttelt, nach dem Motto, der weiß es nicht besser, hat der von Heidel bei vielen Fans eine tiefe Wunde hinterlassen. Zumal etliche verletzende Trennungsfaktoren darin Platz fanden: die Heimlichtuerei, das Rumgedruckse, die zeitweiligen Notlügen, das Herauszögern und die Erkenntnis, es gibt eine(n) Neue(n). Damit nicht genug, folgte mit den Verwerfungen rund um Harald Strutz Trennung Nummer drei. Die war zwar letztlich von Teilen der Fans gewollt, und doch, dass er am Ende scheinbar nicht um seine Rolle kämpfte, dass auch er nicht gleich die Karten offen auf den Tisch legte, tat in der ohnehin aufgeladenen emotionalen Gemengelage ihr Übriges.
Nächstes Kapitel, Neuwahl. Johannes Kaluza als Rebound, also der Neue, den man sich mit ein bisschen zu viel Begeisterung und zu wenig Köpfchen angelt, weshalb solche Beziehungen in aller Regel zum Scheitern verurteilt sind. An dem man nun mitschuldig ist, was irgendwie auch nervt, aber es war ja niemand da, um einem unter die Arme zu greifen, weil, genau, alle sind gegangen, man wurde gleich mehrfach verlassen, oh, wie weh das tut. Klingt konstruiert? Ist es aber nicht. Die Mainzer Fanseele hat ein gut zweijähriges Beziehungsdrama hinter sich, das in die aktuelle Lage stark hineinwirkt, weshalb es aufgearbeitet werden muss.
Gespür für Fans fehlt noch
In unserer Situation hätte lediglich eine Saison der absoluten Höhenflüge versöhnlich gewirkt. Die Idee, mit Sandro Schwarz einen echten Mainzer Bub zu engagieren, war prima, aber weil es eben die Geschichten mit Kloppo und Tuchel gibt, sind die Erwartungen dadurch explodiert. Schröder, der ja immerhin noch von Heidel eingearbeitet wurde, sollte möglichst neben den sportlichen Voraussetzungen auch noch dessen Gespür für die Fans mitbringen, dass er davon weit entfernt ist, verursachte direkt die nächste Kränkung. Die Aktion in Hoffenheim, gefolgt vom offenen Brief, hat das Fass, in dem es schon lange rumort, explodieren lassen. Die Szene ist erzürnt, vermisst Wertschätzung. Alle Fans vermissen irgendwie irgendwas, jeder ist sauer, niemand will es am Ende gewesen sein, wenn uns allen der Laden um die Ohren fliegt.
Im Verein selbst ist man überrascht und überfordert. Und an einigen Stellen sitzt auch da die Kränkung tief, nach dem Motto, wir reißen uns hier den Boppes auf, um den Laden zusammen zu halten, um das Schiff durch die raue See zu lenken, und was ist der Dank? Gemaule. Dabei ist die enge, vertrauensvolle, ergebnisoffene Kommunikation, die zur DNA des Vereins gehört, verlorengegangen. Zugleich wird der Blick immer nach hinten gerichtet, wird von allen die gute, alte Zeit beschworen, seien es Fans, Trainer oder Führung. Die Mannschaft klemmt dabei in einem Vakuum, die Spieler verstehen den Anspruch nicht, der da an sie herangetragen wird – schön zu beobachten war das bei der Verwirrung von Emil Berggreen, als er im Flutlicht aufs Hoffenheim-Spiel angesprochen wurde und irritiert antwortete, das sei doch lange her, man habe in Berlin auf dem Platz die Antwort gegeben, wieso nun wieder Hoffenheim.
Gemeinsames Ziel: Klassenerhalt
Aber wer sollte den Spielern auch erklären, was die Mainzer Art ist, wenn all jene, die sie in der ersten Reihe über Jahrzehnte geprägt haben, nicht mehr da sind?
Gerade steckt der Karren tief im Dreck. Und wenn jeder nur die persönliche Verletztheit vor sich herträgt, bekommen wir ihn nicht heraus. Das bedeutet nicht, dass die Verletzungen nicht ihre Berechtigung haben. Es bedeutet nur, dass sie aktuell zurückgestellt werden müssen, um das gemeinsame Ziel Klassenerhalt zu erreichen. Dafür ist jeder gefordert. Nur, wenn wir alle an einem Strang ziehen, bleiben wir in der 1. Liga.
Dieses Bekenntnis brauchen wir. Es muss von allen kommen, ohne als Freifahrschein zu gelten, sprich: Gespräche müssen parallel auch stattfinden. Die Verantwortlichen im Verein, die Szene, alle Fans und jeder, dem der Verein am Herzen liegt, muss sich in dieser Situation einbringen. Daneben muss wieder so offen und auf Augenhöhe miteinander geredet werden, wie das in Mainz einfach Tradition hat – aber ohne den nostalgischen Blick zurück, sondern mit dem Mut und Willen, aus den alten Zeiten losgelöst Konzepte und Wege für die Zukunft gemeinsam zu finden und zu erschließen. Bei all dem muss der Verein wieder dort stehen, wo er unverhandelbar hingehört: über allem.