Wie blickt die arabische Welt auf die WM in Katar?

aus WM in Katar

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Ein Fan aus Katar hält vor dem Spiel ein Fanschal in Händen.

Diskussionen über die „One-Love”-Kapitänsbinde bestimmen die WM-Stimmung hierzulande. Wie blickt die arabische Welt abseits von Katar auf das Turnier im Emirat?

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Doha/Mainz. Nein, die Weltmeisterschaft werde er nicht aktiv verfolgen, sagt Nadim Rai gleich zu Beginn. Rai stammt aus Syrien, ist glühender Fußball-Fan. 2015 kam er aus seiner Heimat Syrien über die Balkanroute nach Deutschland, lebte in Koblenz (Rheinland-Pfalz). Kürzlich zog Rai, mittlerweile deutscher Staatsbürger, zum Studium nach Münster (Westfalen).

Syrischer Fußballfan fiebert normalerweise mit Italien

„Ich kann mit der WM nichts anfangen, weil weder das syrische noch das italienische Nationalteam dabei sind“, schildert er. Die italienische Nationalmannschaft? Das muss er erklären. „Es war die Generation um Del Piero, Nesta, Cannavaro, die mich in ihren Bann gezogen hat“, schildert der 26-Jährige. „Viele Fußballfans in Syrien, wo ich aufgewachsen bin, fiebern mit der deutschen, italienischen oder brasilianischen Nationalmannschaft, weil unsere Nationalelf sich noch nie qualifiziert hat.“ Er sei zum Beispiel auch Fan der AS Rom - neben seinem Heimatverein Hutteen SC.

„Ich hatte immer eine Flagge, eine Mischung aus der italienischen und meines syrischen Heimatteams, die ich während der WM aus dem Fenster gehängt habe. So haben viele Fans das gehandhabt“, erzählt er. Das war, bevor in Syrien ein blutiger Bürgerkrieg ausbrach und Rai sein Land verließ.

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Die Bilder von Fanmärschen deutscher, englischer oder brasilianischer Fans sieht er daher zwiegespalten. „Wenn sich herausstellt, dass die Teilnehmer bezahlt werden, dann ist das natürlich zu verurteilen. Aber es ist der falsche Ansatz, nach dem Aussehen zu urteilen“, sagt er deutlich. „Als Italien 2006 Weltmeister geworden ist, haben wir in meiner Heimat Latakia auch einen Fanmarsch gestartet und den Titel gefeiert.“ Und noch etwas: „Wir bemängeln die Situation der Gastarbeiter in Katar zurecht. Aber wenn man sich dann darüber lustig macht, dass diese mal Luft schnappen und ihre Leidenschaft für den Fußball zum Ausdruck bringen, passt das nicht zusammen.“

Nadim Rai ist Fußballfan aus Syrien. Inzwischen lebt er in Münster.
Nadim Rai ist Fußballfan aus Syrien. Inzwischen lebt er in Münster. (© Rai)

Rai ist ein gefragter Interviewpartner

Nadim Rai ist ein gefragter Gesprächspartner dieser Tage. Er spricht Klartext und weiß wie kaum ein anderer die arabische Sicht auf die WM zu erklären. Der Fußballfan sagt: „Es gibt viele Fans, die das Turnier feiern, weil es in der arabischen Welt stattfindet. Es gibt zwei Sichtweisen. Die arabisch-nationalistische Sicht, und die andere, in der es heißt, das ist eine WM in einem islamischen Land, die müssen wir unterstützen.“

Er sehe das anders, erklärt er. Das Turnier biete keinen Mehrwert für die 22 arabischen Nationen, sondern lediglich für drei, vier Länder. Neben Gastgeber Katar nennt der Student die Vereinigten Arabischen Emirate, Saudi-Arabien und Oman. „Die Hotels in Dubai sind voll, auch in Teilen Saudi-Arabiens. Und Tausende Arbeitskräfte aus dem vergleichsweise armen Oman sind als Ordner nach Katar eingeflogen worden. Der Rest hat nichts vom Turnier.“

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Mit dieser Rede hat er sich selbst ins Aus geschossen.

NR
Nadim Rai Fußballfan aus Syrien, über Fifa-Boss Gianni Infantino

Vor Turnierbeginn hatte Fifa-Präsident Gianni Infantino in einem eineinhalbstündigen Monolog die Europäer kritisiert, ihnen Heuchelei im Umgang mit Katar vorgeworfen. Bei vielen arabischen Fußballfans sei die Rede gut angekommen, beobachtet Rai. Er findet dagegen: „Mit dieser Rede hat er sich selbst ins Aus geschossen“, sagt Rai und bezeichnet sie als „scheinheilig“. Interessant aus seiner Sicht war, dass der Sender BeIN (Anm.: katarischer Sportsender) die Rede nicht wortwörtlich übersetzt habe. Als Infantino sagte, ‚Ich bin homosexuell‘, sei das in etwa so übersetzt worden, dass alle Menschen in Katar willkommen seien. „Der staatliche katarische TV-Sender verdreht also die Tatsachen.“

Für Wirbel sorgte auch der US-Journalist Grant Wahl, der mit einem Regenbogen-Shirt zunächst nicht ins Stadion gelassen wurde. Der katarische Akademiker Dr. Nayef bin Nahar twitterte dazu: „Ich bin als Katarer stolz darauf, was passiert ist. Ich weiß nicht, wann die Menschen im Westen verstehen, dass ihre Werte nicht universell sind. Es gibt andere Kulturen mit anderen Werten, die ebenso respektiert werden sollten“, so der Katarer. Auch Rai beobachtet, dass in arabischen Medien vor allem „weniger valide Argumente“ wie beispielsweise die Diskussion um den Termin im Winter in der deutschen Debatte aufgegriffen und kritisiert werden.

„Themen wie Nachhaltigkeit und Menschenrechte spielen in der Diskussion um die WM im arabischen Raum eine untergeordnete Rolle“, beobachtet Rai.