Der Bundesliga-Profi ist nicht der einzige Promi, der in ein rheinhessisches Amateurfußballspiel in Nierstein eingebunden ist. Warum der DFB die Werbung für Schiedsrichter braucht.
Nierstein/Mainz/Freiburg. Beim 1:1 zwischen Mainz 05 und dem SC Freiburg kämpften Anton Stach und Nils Petersen am Sonntag gegeneinander um Bundesliga-Punkte. Stehen sie am Samstag wieder auf dem Platz, ziehen die Fußballer Schiedsrichter-Trikots an, tragen eine Trillerpfeife um den Hals, ein Headset am Kopf und treten als Team auf. Schiedsrichter statt Spitzenfußballer, Bezirksliga statt Bundesliga heißt es dann einen Tag lang für die Profis, die in Rheinhessen das Spiel zwischen dem VfR Nierstein und dem TSV Mommenheim (15 Uhr) je eine Halbzeit lang leiten.
Der kuriose Rollentausch hat einen ernsten Hintergrund. Der Deutsche Fußball-Bund läutet mit der Aktion das „Jahr der Schiris“ ein und schlägt Alarm, wenn es um Freiwillige geht, die in den Amateurligen noch Spiele pfeifen wollen. Wo die Zahl der aktiven Schiedsrichter in Deutschland vor einem Jahrzehnt noch bei mehr als 70.000 lag, beläuft sie sich nun noch auf 50.500. DFB-Abteilungsleiterin Moiken Wolk spricht von einem „enormen Schwund“, den die Ex-Schiedsrichterin mit Imageproblemen, mangelnder Wertschätzung, Respektlosigkeiten und skandalisiertem Auseinandersetzen erklärt. „Familien, Freunde und Schiedsrichter selbst stellen sich die Frage: Warum tust du dir das überhaupt noch an?“, schildert sie. Schiedsrichter, so habe es ein englischer Kollege mal ausgedrückt, seien in der Fußballfamilie vergleichbar mit Harry Potter: „Der gehört auch zur Familie, lebt aber unter der Treppe.“
Deniz Aytekin unterstützt Anton Stach und Nils Petersen
Mit vielen Aktionen will der DFB die Stimmung verbessern, neue Schiedsrichter gewinnen, sie in die Vereine stärker einbinden, das Pfeifen cooler machen. Dazu sollen auch Profis ran. Die freuen sich. Anton Stach von Mainz 05 sagt: „Der Perspektivwechsel ist eine riesige Sache. Ich werde mich daran gewöhnen müssen, dem Ball aus dem Weg zu gehen und ihn nicht haben zu wollen.“ Nils Petersen vom SC Freiburg, der immerhin schon mal ein F-Jugend-Spiel leitete, witzelt: „Ich werde mir erst mal eine Checkliste ausdrucken.“
Reißen alle Stricke, wenn es um die Regelkunde in der Bezirksliga geht, haben die Bundesliga-Kicker prominente Hilfe. Mit Deniz Aytekin beobachtet ein renommierter DFB-Schiedsrichter die Profis. Der erzählt, dass er einst in der Bezirksliga seine schlimmste Schiedsrichter-Erfahrung gemacht habe. Ein Spieler habe ihn nach einer 1:15-Niederlage getreten. „Ich habe trotzdem weitergemacht, weil ich den Fußball liebe und mich als Teil der Fußballfamilie empfinde.“
2021/22 wurden 911 Spiele wegen Gewalt abgebrochen
Zugleich weisen Zahlen in eine bedenkliche Richtung, wenn es um die Gangart auf manchen Plätzen geht und damit um den Ansporn, Schiedsrichter sein zu wollen. Nach dem jüngsten DFB-Lagebild sind in der Saison 2021/22 bundesweit 911 Fußballspiele wegen Gewalt oder Diskriminierung abgebrochen worden – so viele wie nie zuvor. „Die wahren Helden sind die Schiedsrichter in den Amateurligen, wo es bedenkliche Entwicklungen gibt. Alles, was dazu führt, Kollegen mehr zu wertschätzen, hilft“, freut sich Aytekin auf Aktionen, die Schiedsrichtern helfen sollen.
Respekt erwartet sich der Schiedsrichter aber auch in den eigenen Reihen, wie er klarstellt. Ex-Bundesliga-Referee Manuel Gräfe, der via Twitter gerne hart gegen Berufskollegen austeilt, sei ein „unglaublich guter Schiedsrichter“. Aber: „Pauschalkritiken, die immer wieder aus dem gleichen Jargon kommen, ermüden mich.“ Ob sich Anton Stach und Nils Petersen Kritik gefallen lassen müssen, zeigt sich wiederum erst am Samstag, wenn sie auf dem Bezirksliga-Platz stehen. Ohne Videoassistent, dafür mit Schiedsrichter-Kleidung, Karten und Pfeife. Anton Stach sagt: „Ich bin mega gespannt – und hoffe, ich habe eine klare Linie, wie ich pfeife.“