Mainz 05 steckt zum ersten Mal seit Jahren wieder im Abstiegskampf. Und die Wortpiratin leidet mit, hüpft aufgeregt im Block mit und sitzt emotional totalst hinüber vor dem...
MAINZ. Ich weiß ja nicht, wie es Ihnen damit geht, aber mich macht dieser Abstiegskampf total fertig. Ganz ehrlich, ich hatte komplett verdrängt, wie das ist. Dabei habe ich doch in der heimischen Fußballerliebe, die in den Farben getrennt, in der Sache aber vereint ist, in den letzten Jahren mehrfach mit dem Herzmann und seinen Rothosen gezittert. Und hätte schwören können, den Liebsten in Sachen Fußball leiden zu sehen, ohne etwas tun zu können, ist fast schlimmer als eigene Abstiegsangst.
Aber Irrtum, denn es gibt einen entscheidenden Unterschied: Strauchelt ein fremder Verein, kann frau mit knirschender Wut auf das saublöde Team reagieren. Dem Mann tröstend den Nacken kraulen. Und mit einer gewissen Distanz ausrechnen, wie gut die Wahrscheinlichkeit in Sachen Klassenerhalt ist. Ja, auch das ist sehr, sehr emotional. Aber im Rückblick erkenne ich an, es bleibt eben doch eine Furcht über Bande, wenn die Liebe nicht dem betroffenen Verein gilt, sondern dem Mann, dessen Herz für die fremde Elf schlägt.
Mit weit offenem Herzen im Block
Nun aber steckt Mainz zum ersten Mal seit Jahren so richtig in der Klemme und was dabei im Vergleich zum Co-Abstiegskampf einfach nicht aufkommen will, ist die notwendige Wut. Die nämlich würde einen hilfreichen Abstand schaffen, Herztüren schließen, Schutz gewähren. Stattdessen hüpfe ich mit weit offenem Herzen im Block oder sitze emotional völlig blank vor dem Fernseher, wenn die Jungs auf dem Rasen antreten, um jene im Abstiegskampf derart wichtigen Punkte zu ergattern. Wie aber soll man einem Haufen von Teilzeitmainzern trauen, wo man selbst dem eigenen Verein die ewige Liebe geschworen hat? Wieso entscheidet am Ende deren Leistung darüber, in welcher Liga ich in der kommenden Saison bin? Und könnte bitte bis Ende Mai jemand die Leute um mich herum wegräumen, die nicht verstehen, warum mich dieser Abstiegskampf so betrifft und Sätze sagen wie: „Es ist doch nur Fußball!“
Argh!
Als Frau hört man ja von Kindesbeinen an, es gibt unzählige Arten von Hormonen, mit denen man im Verlaufe eines weiblichen Lebens in Berührung kommen kann: Menstruation, Pille, Schwangerschaft, Wechseljahre, ganz nach eigenem Lebenslauf eben. Aber vor diesen üblen, geschlechterübergreifenden Abstiegsangsthormonen, da warnt einen natürlich niemand. Karl, mei Drobbe, irgendwas muss doch gegen diesen Zustand dauernder Unruhe helfen...
Voller zärtlicher Zuneigung
Da torkelt man also wochenlang so durch die Tage und deren Fußballberichterstattung, fühlt sich vom Team komplett im Stich gelassen und verachtfacht kurzfristig den üblichen Schoko- (tags) und Bierkonsum (abends), wähnt sich auf dem Weg in die Zweite Liga und rafft nur mit sehr viel Mühe und Not den eigenen Kampfgeist zusammen, weil, muss ja. Und dann stochern die Buben erst die öden Hauptstädter aus dem Stadion und luchsen den Bayern dann in München einen Punkt ab, der im Rückblick der entscheidende Big Point sein könnte.
Unfassbar, welch Gefühlsknotenstau da plötzlich platzt. Ganz ehrlich, ich bin immer noch komplett aufgelöst. Und so voller zärtlicher Zuneigung für dieses Team, weil, alles im Herzen echte, lebenslange 05er. Und für die fantastischen Fans. Für den Verein sowieso. Jetzt bitte dieses Level halten, weiterkämpfen und am Samstag den nächsten Dreier einfahren. #Mainzbleibt1
Mara Braun ist freiberufliche Journalistin und Autorin. Unter anderem von "111 Gründe, Mainz 05 zu lieben" (mit Christian Karn). Homepage: www.marabraun.de Mara Braun bei Twitter: Wortpiratin
Von Mara Braun