Walter Gropius gründete 1919 das Bauhaus als Kunstschule in der thüringischen Stadt. Dort kann man die Anfänge der Strömung so intensiv wie nirgendwo bis heute erleben.
. Weimar ist Idylle: Gassen mit Kopfsteinpflaster, Knusperhäuschen mit Giebeldächern, hübsche Villen aus Gründerzeit und Jugendstil und der weite Landschaftspark an der Ilm mit dem Gartenhäuschen des Geheimrates. Aber Weimar ist nicht nur die Stadt der Klassik, wo man allenthalben über Goethe, Schiller und weitere berühmte Zeitgenossen stolpert. Weimar wirkt wie ein unters Brennglas gelegter Schauplatz deutscher Geschichte.
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Vor 100 Jahren stand die Stadt im Zeichen des Umbruchs. Der deutsche Kaiser war gerade erst ins Exil gegangen, die Verfassung der jungen Republik hier im Nationaltheater verabschiedet worden, als im April 1919 das „Staatliche Bauhaus Weimar“ seinen Betrieb aufnahm. „Das Bauhaus ist nicht einfach vom Himmel gefallen und in Weimar gelandet, sondern erwuchs aus einer nahezu 100-jährigen Vorgeschichte, deren bedeutendste Etappe die Klassik ist“, so Hellmut Seemann, Präsident der Klassik Stiftung Weimar.
Die Moderne hat also Vorläufer. „Sie beginnt mit dem Abriss der Stadtmauer im 18. Jahrhundert“, erklärt Christian Eckert beim Stadtrundgang. Eckert absolvierte von 2001 bis 2007 sein Kunststudium an der hiesigen Universität. Heute ist er hauptberuflich dort beschäftigt und bringt in seiner Freizeit die Ideen des Bauhauses Einheimischen und Gästen näher.
Mit seiner Gründung zog das Bauhaus in die Räume der Großherzoglichen Kunsthochschule und Kunstgewerbeschule. Henry Van de Velde hatte von 1904-1915 einen Bau im „geometrischen Jugendstil“ geschaffen. Die Formensprache entwickelte sich bald noch radikaler. Das Bauhaus schuf nie Gesehenes in Kunst und Architektur. „Formmeister“ entwarfen in demokratischem Schaffensprozess mit ihren Studenten lichtdurchflutete würfelförmige Häuser im Stil der „Neuen Sachlichkeit“, auch „International Style“ genannt. Teppiche mit geometrischen Mustern und Möbel aus Leder und Chrom entstanden. Schnörkellose Gebrauchsgegenstände wie Geschirr oder Leuchten wurden gefertigt. Klangvolle Namen fanden sich unter den Dozenten: Lyonel Feininger, Paul Klee und Wassily Kandinsky etwa.
Noch heute wird das Design des Bauhauses als hochmodern empfunden. Und die Hochschule vor Ort heißt längst wieder „Bauhaus-Universität“. Man kann hier Architektur, Urbanistik, Bauingenieurwesen, Medienwissenschaft und Gestaltung studieren. Noch immer auch gibt es Werkstätten an ihrem angestammten Platz hinter riesigen Fenstern aus Industrieglas.
Studenten führen interessierte Besucher auf „Bauhaus-Spaziergängen“ durch ihre Universität. „Die frühe Weimarer Zeit war das Experimentierfeld des Bauhauses“, sagt Sven Müller, der ebenfalls hier seinen Abschluss gemacht hat. Nach wie vor einzigartig ist die Verbindung von Theorie und Praxis. In der Metallwerkstatt baut Student Stefan Licheri an einer E-Gitarre aus reinem Edelstahl, die leichter als herkömmliche Instrumente ist. Der Erfinder will sie zum Patent anmelden. Werkstattleiter Rainer Reisner steht ihm dabei zur Seite. „Hier bleibt man immer jung“, begeistert sich Reisner für seinen Arbeitsplatz.
Die jungen Wilden von damals waren bei den Weimarer Bürgern nicht gut gelitten. Man empörte sich über die „seltsamen Vögel“. Darunter waren auch Frauen in Hosen und mit kurzen Haaren. Oder die Anhänger des Formmeisters Johannes Itten, der mit rasiertem Kopf und in einer Art fernöstlicher Mönchskutte gekleidet seine Studenten antreten ließ, um in öffentlichen Grünanlagen Frei- und Atemübungen zu machen. Und erst die seltsamen Laternenumzüge und die exaltierten Feste, zu denen man mit selbst gestalteten, futuristisch anmutenden Kostümen kam. Die Bauhäusler wurden zum Bürgerschreck und ungezogenen Kindern pflegte man zu drohen: „Wer nicht brav ist, kommt ins Bauhaus!“
In Wirklichkeit kam die Schreckenszeit, als das Bauhaus verjagt war. In Weimar ließen die Nazis ein monströses „Gauforum“ bauen, richteten 1926 hier den ersten Reichsparteitag aus. Nur wenige Kilometer von Weimar entfernt, auf dem Ettersberg, wurde später das KZ Buchenwald errichtet. Rund 56 000 Menschen fanden dort den Tod.
Bereits 1924 hatte eine Koalition aus Rechtskonservativen und Nationalsozialisten bei den Wahlen in Thüringen die Mehrheit erlangt. Die neuen Machthaber hungerten das Bauhaus durch Mittelkürzungen aus. 1925 wurde es nach Dessau vertrieben. Doch bereits 1923, zwei Jahre vor dem Wegzug, stand die Förderung der Schule auf dem Spiel.
Walter Gropius trat die Flucht nach vorn an und richtete statt des geforderten Rechenschaftsberichtes die „1. Internationale Bauhausausstellung“ aus. Sie machte die Designer aus Weimar weltbekannt. Eigens für die Schau wurde sogar ein Wohnhaus errichtet, das „Haus am Horn“. Im Zentrum des Gebäudes findet sich ein überhöhter Raum als Treffpunkt der Bewohner, die Funktionsräume liegen in variabler Aufteilung rund herum. An alles war gedacht: Hochmoderne Wärmedämmung aus Torf in den Außenwänden, eine Einbauküche mit Bauhaus-Vorratsgefäßen, drehbare Fenster. Das Anwesen ist nach umfangreicher Restaurierung wieder für Besucher geöffnet. Nur einen Steinwurf entfernt findet sich Goethes Gartenhäuschen. So nah kommen sich Klassik und Bauhaus zuweilen. Wer nach Weimar will, sollte viel Zeit für Besichtigungen einplanen. Da ist die nach dem verheerenden Brand von 2004 wieder auferstandene Rokoko-Seligkeit der Herzogin Anna Amalia-Bibliothek. Da sind die Wohnhäuser von Goethe und Schiller. Da ist das „Neue Museum Weimar“, das gar nicht neu ist, sondern bereits 1863-1869 als Großherzogliches Museum im Stil der Neo-Renaissance errichtet wurde. Es wurde im Zweiten Weltkrieg teilweise zerstört, um die Jahrtausendwende wieder aufgebaut und nun mit völlig neuer Konzeption wieder eröffnet. Das gelungen umgesetzte Ziel: die „Wegbereitung der Moderne“ und den ideengeschichtlichen Ursprung der Designrevolution des Bauhauses zu zeigen. Vor allem Van de Velde und die Maler der „Weimarer Schule“ werden hier glanzvoll inszeniert.
Wirklich neu ist das gerade erst eröffnete Bauhaus Museum Weimar, das sich zwischen dem ehemaligen Gauforum und dem Weimarhallenpark erhebt. Der Bau der Berliner Architektin Heike Hanada ist ein monolithischer Klotz aus hellgrauem Beton, der an einen Luftschutzbunker denken lässt. Nur rückwärtig vom Park aus gesehen erscheint dieser Brutalismus gemildert. Vor allem, wenn die Nacht fällt und milchweiße Lichtbänder die fast fensterlose Fassade illuminieren. Im Inneren sind mehr als 1000 Exponate der Designrevolution des Bauhauses zu sehen. Die von Peter Keler 1922 geschaffene Kinderwiege ist eines der Prunkstücke der Schau. Die Wiege des Bauhauses steht also in Weimar. Wortwörtlich.
So oder so wird dieses Jahr in Weimar gefeiert. 100 Jahre Weimarer Republik. 100 Jahre Bauhaus. Das Motto dazu lautet: die Welt neu denken. Das tat man in Weimar schon immer. Im Guten wie im Schlechten.
Von Claudia Diemar