Griechenland war bisher kaum von der Pandemie betroffen. Doch der erhoffte Gästeansturm blieb bisher aus – auf Kreta und Kos genau wie auf den kleineren griechischen Inseln.
. Von der Terrasse ihres Blue Palace Resorts blickt Agapi Sbokou übers Ägäische Meer hinüber zur Insel Spinalonga. Das Felseneiland war einst eine der letzten Leprakolonien Europas. Bis Mitte der 1950er-Jahre versuchte man hier, die Seuchenkranken von den Gesunden fernzuhalten. Heute ist Spinalonga ein beliebtes Ausflugsziel für Kreta-Urlauber.
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Vom Blue Palace kann die Hotelbesitzerin im Sommer sonst immer zusehen, wie Segel- und Motorboote zu Dutzenden das vorgelagerte Inselchen umschwirren. In diesem Jahr sind es deutlich weniger. Sbokou leitet gemeinsam mit ihrer Schwester Costantza die Phaea Resorts auf ihrer Heimatinsel. Kreta hat bisher nur vereinzelte Covid-19-Fälle verzeichnet. Dennoch sind die Touristen im Juli nur zögerlich zurückgekehrt. „Wir haben im Blue Palace aktuell eine Belegungsrate von 20 bei 82 Prozent im letzten Jahr“, sagt Sbokou. Das luxuriöseste der fünf Phaea Resorts wird sonst vorwiegend von Briten und Amerikanern gebucht. Der deutschsprachige Markt entwickele sich aber gerade ziemlich gut und Last Minute-Buchungen nähmen zu.
„Machen wir uns aber nichts vor“, sagt Sbokou, „das ist ein Sommer, in dem wir kein Geld machen werden.“ Viele Hotels auf Kreta haben gar nicht erst geöffnet, andere versuchen, Gäste mit Rabatten zu locken. „Es ist unrealistisch zu sagen, es bestünde keine Gefahr“, sagt Agapi Sbokou, „wir haben weltweit eine unsichere Lage. Dennoch sind wir, wenn wir uns alle an die bestehenden Maßnahmen halten, ziemlich zuversichtlich, dass wir den Sommer hier genießen können.“
Griechenland ist bisher sehr viel glimpflicher durch die Krise gekommen als die meisten anderen Mittelmeerländer. Insgesamt etwa 5000 bestätigte Covid-19-Fälle und rund 200 Tote verzeichnet das Land aktuell. Das sind Zahlen, die in Spanien und Italien in manchen Regionen von einer einzigen Stadt übertroffen werden.
Doch mit der schrittweisen Öffnung für ausländische Urlauber steigt die bereits abgeflaute Coronawelle der offiziellen Statistik in den letzten Wochen wieder an. Während im Mai und Juni die Zahl der bestätigten Neuinfektionen nur vereinzelt über 20 am Tag lag, stieg sie Ende Juli stetig auf über 70 und erreichte am ersten Augustwochenende 110 – einen Rekordwert seit Ende des Lockdowns am 4. Mai. Die meisten neuen Fälle wurden bisher jedoch nicht in Touristenzentren nachgewiesen. Viele Griechen verfolgen die Entwicklung mit Sorge.
Anfang Juli wurde eine Reihe an Neuinfektionen auf Touristen aus Serbien und Bulgarien zurückgeführt. Einige der griechischen Nachbarstaaten hatten bis Juni ebenfalls recht geringe Fallzahlen, in den letzten Wochen aber deutliche Anstiege verzeichnet. Einreisen aus Nachbarländern, die nicht zur EU gehören, sind inzwischen untersagt. Rumänen und Bulgaren müssen einen negativen Coronatest vorlegen.
Griechenland sei „absolut und zu hundert Prozent“ ein sicheres Reiseland, sagte Tourismusminister Harry Theocharis unlängst. Den jüngsten Anstieg der Zahlen führt er auf eine erhöhte Testrate bei der Einreise zurück. „Das bereitet uns kein Kopfzerbrechen.“ Das Land habe durch umfassende Hygienemaßnahmen und strikte Vorgaben bei den Grenzkontrollen die Situation unter Kontrolle. Seit dem 1. Juli müssen Einreisende spätestens 24 Stunden vor Abflug ein Online-Formular mit persönlichen Angaben ausfüllen. Die Daten werden mit einem Algorithmus ausgewertet und die Passagiere erhalten vorab einen QR-Code. Dieser entscheidet darüber, ob der Einreisende bei der Ankunft getestet wird. Wer ohne den Code einreist, muss mit einem Bußgeld von 500 Euro rechnen.
Längst nicht alle Griechen, die vom Tourismus leben, geben sich so selbstsicher wie ihr Minister. „Wir verfolgen alle gebannt die Statistiken zur Pandemie“, sagt Mari Daskalantonakis, Geschäftsführerin von Grecotel, der größten griechischen Hotelkette. „Die Situation in Griechenland ist im Moment sehr gut. Doch wir werden sehr vorsichtig sein. Wenn sich etwas ändert, werden wir reagieren.“ Bereits jetzt hat Grecotel wie die meisten Hotelketten strenge Hygieneregelungen eingeführt. Das Personal wird regelmäßig auf Covid-19 getestet. Von den 32 Hotels der Kette hat bisher lediglich die Hälfte geöffnet, unter anderem zwei von sieben auf Kreta. Die Grecotels auf Rhodos und Kos werden wohl in diesem Jahr nicht mehr öffnen.
„Wir haben nur ein Viertel bis ein Fünftel des Umsatzes, den wir normalerweise im Juli haben müssten“, sagt Michael Karavás vom Münchner Griechenland-Spezialisten Attika Reisen. „Die Leute wollen fliegen. Aber es herrscht eine Unsicherheit bei den Kunden, was die Flüge und Hotelöffnungen betrifft.“
Hotels und Restaurants müssen eine Reihe staatlich verordneter Hygiene- und Abstandsregeln einhalten. Für ihre Mitarbeiter und für Reiseführer herrscht eine weitgehende Maskenpflicht. Sie gilt auch für Touristen in öffentlichen Verkehrsmitteln, Taxis und auf Fähren, seit Neuestem auch in allen geschlossenen Räumen.
Griechenlands Tourismusbranche hatte zunächst gehofft, davon zu profitieren, dass viele Sommerurlauber zögern, in diesem Jahr nach Italien oder Spanien zu fliegen. Doch der Ansturm auf das Land blieb bisher aus. „Der Trend geht noch stärker zu den kleineren, weniger bekannten Inseln wie Paros, Skopelos, Alonnisos und Karpathos“, sagt Karavás. Dort fühlten sich die Urlauber sicher.
„Wenn hier irgendwo jemand hustet, weiß es am nächsten Tag die ganze Insel“, sagt Michalis Reissis über die Situation auf Karpathos. Der 36-Jährige organisiert mit Karpathos Travel als einer von nur drei lokalen Veranstaltern Touren auf seiner Heimatinsel. „Gerade jetzt ist es etwas ganz Besonderes, hier zu sein“, sagt er, „man ist an manchen Stränden ganz allein. In diesem Sommer kann man auch den Inselalltag wirklich authentisch erleben.“ Die Insel ist ein Rückzugsort für seltene Tierarten, wie Eleonorenfalken, Delfine und die bedrohten Mittelmeermönchsrobben. Für sie alle dürfte eine Auszeit vom allsommerlichen Touristenandrang sehr gelegen kommen.
Im Nordpindos-Nationalpark, Griechenlands Schutzgebiet mit der größten Landfläche, war es in den letzten Wochen besonders still. „Auch sonst herrscht hier außer in der Vikos-Schlucht nur wenig Andrang“, sagt Nikolaos Kyriazis, Forsttechnologe und Nationalpark-Sprecher. In der Gegend gingen die Meinungen in der Bevölkerung zur Rückkehr der Touristen auseinander, sagt er. Manche fürchten einen Anstieg an Neuinfektionen, andere die wirtschaftlichen Folgen durch die Flaute. Er hofft, dass Griechenland-Urlauber in diesem Sommer statt des alljährlichen Cluburlaubs auf Kreta oder Kos einmal ganz andere Seiten des Landes erkunden. „Wir haben hier die größte Schlucht der Welt. Touristen können auf den Spuren von Bären, Wölfen und Balkangämsen wandern. Wo ist das sonst schon möglich?“
Von Win Schumacher