Das Geheimnis der glücklichen Finnen

Ein Haus am See – Finnland ist voll davon. Foto: Jens Etzelsberger

Sie gehören zu den glücklichsten Nationen der Welt und ernennen sogar Glücksbotschafter, um das tolle Lebensgefühl mit anderen zu teilen. Das braucht man, um happy zu sein.

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. Lautlos gleitet die „Karoliina“ in den schmalen Seitenarm des riesigen Seengebietes bei Savonlinna. Den Dieselmotor hat Timo Kukko abgeschaltet. Er klettert aus dem Steuerhaus des zwölf Meter langen Bootes, geht ganz vorne an den Bug der „Karoliina“ und lehnt sich an die Reling. Sein Blick gleitet über die Ufer, die vom hellen Grün der jungen Birkenblätter und dem dunklen Grün der Nadelbäume dominiert werden. Links und rechts von ihm sind die Bäume ganz nah, hinter ihm weitet sich der See zu einer riesigen Wasserfläche. Timo Kukko verschränkt die Arme vor der Brust und lächelt breit. Er ist ein glücklicher Finne – noch dazu einer, dem man sein Glück ansieht. Denn ein breites Grinsen ist ein für finnische Verhältnisse schon enormer Gefühlsausbruch. Und Timo Kukko legt nach. Er breitet die Arme aus und lacht das Lachen eines zufriedenen Menschen. Das Glück, das Timo Kukko empfindet, macht ihn zu einem typischen Vertreter seiner Nation. Laut Weltglücksreport zählen die Finnen schon im zweiten Jahr in Folge zu den glücklichsten Menschen der Welt. Dennoch schlägt der 52-Jährige Forstingenieur ein wenig aus der finnischen Art. Timo Kukko kommt aus Karelien, an der Grenze zu Russland. „Eine karelische Beerdigung ist amüsanter als eine westfinnische Hochzeit“, sagt er und lacht. Ein solcher Gefühlsausbruch ist selten für Finnen – außer sie besiegen bei der Eishockey-WM im Finale den Erzrivalen Russland.

Ein Haus am See – Finnland ist voll davon. Foto: Jens Etzelsberger
Timo Kukko führt Glückssuchende aufs Wasser, in den Wald und die Sauna. Foto: Jens Etzelsberger
Glückscoach Juho schätzt neben der Natur die Sicherheit, die ihm das finnische Wohlfahrtssystem bietet. Foto: Jens Etzelsberger
Glückscoach Katja vor ihrer Hütte. Foto: Jens Etzelsberger

Was Timo Kukko glücklich macht, ist aber so typisch für Finnland und seine Menschen, dass er vom Fremdenverkehrsbüro des Landes zu einem von acht Glücksbotschaftern ernannt wurde und nun Menschen aus anderen Ländern vom finnischen Glück erzählen kann. Und das ist eigentlich schnell getan. „Es ist die Natur“, sagt Timo. Doch die finnische Natur ist von einer Dimension, die in Zahlen allein nicht zu fassen ist. Mehr als 75 Prozent des Landes sind von Wald bedeckt, es gibt mehr als 180 000 Seen, auf einem Quadratkilometer Finnland tummeln sich statistisch rund 16 Menschen. In Deutschland sind es 15 Mal mehr. In Finnland geht man nicht in die Natur, man ist in der Natur, fast egal, wo man gerade ist. Selbst in der Hauptstadt Helsinki ist es nicht weit bis zum nächsten Alleebaum, Park, Wald oder See.

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Die Flüsse und Seen und die riesigen Wälder sind prägend für das kollektive Bewusstsein der Finnen. Wald und Wasser haben den Menschen Wohlstand gebracht. Der Wald bot Schutz vor Feinden, er bietet Nahrung in Form von Wild, Beeren und Pilzen. Der Wald, dem in Lusto ein ganzes Museum gewidmet ist, bietet aber auch die Einsamkeit, die der vom Grundton eher in Moll gestimmte Finne braucht und sucht. Denn Melancholie und Glück schließen sich in Finnland nicht aus, sondern gehen Hand in Hand. Wenn es gut geht, formt sich daraus der schwere, tief in sich ruhende, zufriedene und mit sich und der Welt im Reinen befindliche Nationalcharakter der glücklichen Finnen.

Was passiert, wenn es schlecht läuft, ist an der recht hohen Selbstmordrate abzulesen, die so im offensichtlichen Widerspruch zu den glücklichen Menschen steht. Und eigentlich auch im Widerspruch zur Grundausrichtung der finnischen Gesellschaft, die jedem Finnen die gleichen und besten Chancen bieten will, die jeden einlädt und niemanden ausschließt, die den Begriff des Bürgers als „Geborgenen“ und dessen gesellschaftliche Teilhabe in geradezu idealistischer Weise interpretiert. Beispielhaft ist das an der neuen Bibliothek „Oodi“ (Ode) in Helsinki zu sehen, die sich Staat, Stadt und Bürger zum 100. Geburtstag der Nation im Jahr 2017 geschenkt haben. Der riesige, fast 100 Millionen Euro teure Bau, wirkt im Eingangsbereich wie ein hölzerner Wal, der die Besucher verschluckt. Doch Oodi, eine von 37 Büchereien in Helsinki, ist nicht nur als Bücher- und Mediensammlung konzipiert, sondern als „Wohnzimmer“ der Bürger. Und so finden sich dort nicht nur Bücher, sondern Versammlungsräume, Werkräume, ein Musikstudio, Computerarbeitsplätze, Leih-Tabletts, Nähmaschinen, Bannerdrucker, 3D-Drucker, ein Spielplatz für Kleinkinder.

Die Wohlfahrt, die der Staat seinen Bürgern angedeihen lässt, geht aber noch weiter und hat direkten Einfluss auf das Glücksgefühl der Finnen. Für Juho Juutilainen, einen weiteren finnischen Glücksbotschafter, ist es das gute Gefühl, im Notfall aufgefangen zu werden, das einen Großteil seines finnischen Glücks ausmacht. Um existenzielle Nöte muss er sich bei seinen Streifzügen durch die Wälder einfach nicht sorgen. Und selbst wenn er die staatlichen Unterstützungsleistungen nie in Anspruch nehmen muss, sorgen diese über eine niedrige Kriminalitätsrate täglich indirekt für sein Wohlbefinden. „Das Glück kommt durch die Sicherheit“, sagt er.

Glückscoach Katja, Studentin und Yoga-Lehrerin, führt ihre Gäste in ihre Gartenhütte nahe Helsinki. Rund 400 bunte Holzhäuschen stehen mitten im hügeligen Wald. Keines der Häuschen darf größer als 14 Quadratmeter sein und jeder hält sich daran. Es gibt keinerlei Zäune und nirgendwo den Versuch, sich durch besonderen Protz vom Nachbarn abzuheben. Der Finne hat sich in vielen Lebensbereichen dafür entschieden, auf den Wettbewerb und das Immer-mehr zugunsten des Wohlbefindens zu verzichten. Katja stört es nicht, dass sie zum Duschen in die Gemeinschaftsdusche und jeden Tropfen Wasser aus der Zapfstelle heranschleppen muss. Warum auch, wenn es dafür zu den Bäumen, die sie so gerne umarmt, nur ein Schritt und zum Meer nur ein kurzer Spaziergang ist. Auf den Felsen am Ufer sitzend versinkt sie dann in ihrer Atemmeditation.

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Wie stark die Bindung der Finnen zu ihrem Land ist, wie sehr die Natur sie prägt, zeigt auch das Beispiel von Saimi Hoyer. Als Supermodel war sie auf den Catwalks von Mailand, Paris, New York, London und Tokio unterwegs. Ihr Lebensglück hat sie aber in der großartigen Landschaft des finnischen Seengebietes gefunden, wo sie in Punkaharju das älteste noch existierende Hotel Finnlands betreibt und viele Gelegenheiten für das Pilzesuchen findet. Es ist eine weitverbreitete Leidenschaft in Finnland, aber nichts gegen das Saunieren. Geschätzt 2,3 Millionen Saunen gibt es in dem Land. Sie stehen in Wohnungen, Häusern und Hotels, in den Städten und an den Stränden, finden sich als Hütten im Wald, oder werden mal schnell als Zeltsauna in der Natur aufgebaut, hängen in Helsinki am Riesenrad, fahren als Boot auf dem Meer. In der dampfenden Hitze der Sauna schmiedet der Finne das Band der Gemeinschaft jedes Mal aufs Neue. In der egalitären Fast-Nacktheit der Badehose und des Bikinis wird nicht nur der Körper gereinigt, sondern auch die Seele. Gemeinschaft und Gleichheit, diese beiden prägenden Aspekte der finnischen Seele, werden hier exemplarisch erfahren. Und wenn zum Abkühlen auch noch einer der unzähligen Naturseen in der Nähe ist, dann ist das Finnenglück perfekt.