Die Covid-19-Pandemie trifft Afrikas Safari-Industrie mit voller Wucht – und mit ihr nicht nur ganze Dorfgemeinschaften, sondern auch die Schutzgebiete.
. „Möge Gott Heilung schicken“, sagt der Massai, „so etwas haben wir noch nie gesehen.“ Gerade hält eine Heuschreckenplage Kenia in Atem. Die Hirten klagen über die Blauzungenkrankheit, die ihre Schafe dahinrafft. „Und jetzt die Seuche.“
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Ebola, Terror, Finanzkrisen – der Kenia-Tourismus hat harte Zeiten durchstanden. „Manchmal reisten kaum noch Leute ins Land“, sagt Jackson Looseyia, „dennoch kamen in die Masai Mara immer Touristen. Nun aber sind sie alle fort.“ Durch die blutigen Anschläge der Terrormiliz Al-Shabaab und Angst vor Ebola war der Tourismus in Kenia immer wieder einmal fast zum Erliegen gekommen. Nie aber ließen sich alle Safari-Begeisterten und Tierfotografen abschrecken, eines der eindrucksvollsten Naturschauspiele der Erde zu bestaunen: die große Wanderung der Gnus aus der Serengeti. Nun hat das ewige Drama vom Fressen und Gefressenwerden keine Zuschauer mehr.
„Jetzt sitzen wir zu Hause und sehen nach unseren Kühen“, sagt der Vater von fünf Kindern. „Wir stehen unter Schock.“ Looseyia ist einer der bekanntesten Safari-Guides in Kenia. Er hat Prominente und Fernsehteams zu den Raubkatzen der Savanne geführt und war selbst Ansager der BBC-Naturdoku Big Cat Live. Seit fünf Jahren hat Looseyia sein eigenes Zelt-Camp und dafür 30 Einheimische eingestellt. Jetzt müsse er ihnen die Hälfte vom Lohn kürzen und wisse nicht wie es weiter geht. In seinem Dorf Lemek leben fast alle vom Tourismus. „Wenn die Blauzungenkrankheit einem Viehhirten 500 von 1000 Schafen tötet, hat er immer noch die Hälfte. Wer aber vom Tourismus lebt, hat nun gar nichts mehr.“
Lange schien Afrika auf der Corona-Weltkarte kaum betroffen. Einzig eine schnell wachsende Zahl an Fällen in Südafrika begann ab Anfang März auch die Touristiker zu beunruhigen. Einige hatten bis dahin noch immer gehofft, Afrika würde diesmal einigermaßen glimpflich davonkommen.
Etliche Safari-Unternehmen verzeichneten in den letzten zehn Jahren teils ein zweistelliges Wachstum. Auch der südafrikanische Naturreise-Veranstalter and Beyond hatte in den letzten Jahren einen stetigen Anstieg an Gästezahlen zu verzeichnen. Seine 28 Lodges liegen im südlichen und östlichen Afrika und verbinden Luxus-Safaris mit engagiertem Naturschutz.
„Eben noch hatten wir Meetings, wie wir unsere Artenschutz-Initiativen ausbauen können“, erzählt Les Carlisle, der Leiter der Naturschutzarbeit von and Beyond. „Jetzt reden wir darüber, wie wir die nächsten zwei Jahre überleben können.“
Als am 15. März Südafrikas Präsident Ramaphosa den Katastrophenzustand ausrief, war auch den letzten Optimisten klar, dass sich die Pandemie wohl über weite Teile Afrikas ausbreiten würde. Carlisle verfolgt seither die Situation – vor allem in Südafrikas Townships – mit wachsender Sorge. „Wie sich die Lage dort weiterentwickelt, ist auch für uns entscheidend“, sagt der 60-Jährige aus Mbombela unweit des Kruger-Nationalparks. Noch sind aus den ländlichen Gegenden um die Schutzgebiete kaum Fälle bekannt. Sollte sich das Virus jedoch ungehindert in den Slums und Townships ausbreiten, wo Menschen auf engstem Raum zusammenleben, würde es wohl bald auch die entlegensten Ortschaften im Land erreichen.
Die ersten Coronafälle tauchten in der reichen weißen Oberschicht Südafrikas auf. Schnell war jedoch klar, dass sich das Virus über Hausangestellte, Putzhilfen und Supermarktkassierer rasch in die Viertel der Ärmsten übertragen würde. Die Pandemie könnte in einem der sozial ungleichsten Länder der Welt dramatische Folgen haben. Zuletzt verzeichnete die Johns-Hopkins-Universität fast 1750 Covid-19-Infizierte in Südafrika, inzwischen sollen 13 Menschen an einer Infektion gestorben sein. (Stand: 08. April, 1749 bestätigte Fälle).
Die offiziellen Fallzahlen in Südafrikas Nachbarländern werden immer noch im ein- und zweistelligen Bereich angegeben. Viele gehen jedoch davon aus, dass die wahren Zahlen deutlich höher liegen. In den auch bei Deutschen beliebten ostafrikanischen Safari-Ländern Kenia und Tansania sieht es ähnlich aus.
Inzwischen sind die Grenzen fast überall für Ausländer geschlossen – oder Einreisende werden zu einer Quarantäne zwangsverpflichtet. Die maroden Gesundheitssysteme könnten einer sich ausbreitenden Pandemie sicher nicht viel entgegensetzen. Hilfsorganisationen stellen sich bereits auf das Schlimmste ein. Einige warnen schon jetzt, dass ein wirtschaftlicher Zusammenbruch mit wuchernder Armut und Hunger in Folge mehr Opfer fordern könnte, als das Coronavirus selbst.
Für viele Länder im südlichen und östlichen Afrika ist der Naturtourismus eine der größten Devisenquellen und in der Umgebung von Schutzgebieten oft der wichtigste Arbeitgeber. Bleiben Camps und Lodges leer, leiden zuerst die umliegenden Dorfgemeinschaften.
„Der Tourismus ist für die meisten Schutzgebiete überlebenswichtig“, sagt Jamie Gaymer. Der Kenianer ist der Vorsitzende des Verbands für Nashornschutz auf Privat- und Gemeindeland. Mit Unterstützung der Artenschutz-Organisation „Save the Rhino International“ überwacht er einen großen Teil der Bestände des Landes. Nachdem über Jahre afrikaweit die Nashorn-Wilderei grassierte, wuchs die Zahl der Tiere in Kenia in den letzten vier Jahren wieder zaghaft. Das Coronavirus könnte nun eine neue Bedrohung darstellen. „Noch gehen wir keinerlei Kompromisse bei den Sicherheitsvorkehrungen ein“, sagt Gaymer, „aber niemand kann sagen, wie lange es so weiter geht.“
Auch auf andere Arten könnten bedrohliche Zeiten zukommen. In Ruanda und Uganda sorgen sich Naturschützer um die Berggorillas, deren Zahl zuletzt wieder auf etwa 1000 angewachsen ist. „Gorillas gehören zu unseren nächsten Verwandten und sind anfällig für viele Atemwegserkrankungen des Menschen“, sagt Winnie Eckardt, Primatologin des Dian Fossey Gorilla Funds. Derzeit sei allerdings unklar, ob Covid-19 auch auf Menschenaffen übertragen werden könne.
Trotz allem können Naturschützer der Krise zumindest vorerst auch Positives abgewinnen. „Schutzgebiete wie die Serengeti oder der Ngorongoro-Krater, die unter starkem Druck durch den Tourismus stehen, können plötzlich wieder durchatmen“, sagt Carlisle. Er hofft auch, dass der Handel mit Wildtierprodukten durch die Pandemie nun langfristig geächtet wird. Dem Schuppentier, das zuletzt die Aufmerksamkeit der Wissenschaft als möglicher Überträger von Covid-19 auf sich zog, mag dabei eine Schlüsselrolle zukommen. „Es ist das meistgehandelte Wildtier überhaupt“, sagt Les Carlisle, der dem seltenen Tier ein eigenes Schutzprojekt gewidmet hat. Für die Art könnte Corona gar eine gute Nachricht sein.
Auch Jamie Gaymer kann trotz der Krise Hoffnungsvolles berichten. Erst letzte Woche wurde ein Nashornkalb im Ol Jogi-Reservat geboren, in dem der Artenschützer hauptsächlich arbeitet. Welche Rolle das Coronavirus wohl im Leben des Neugeborenen spielen wird? Einen Namen hat es im Moment noch nicht. „Den vergeben wir immer erst nach drei Monaten“, sagt Gaymer, „dann ist der Nachwuchs nicht mehr so verwundbar und er hat hoffentlich das Gröbste überstanden.“
Von Win Schumacher