Hörverlust nach Impfung: „Wurde nicht ernst genommen“

26.06.2023, Rheinland-Pfalz, Mainz: Eine Zahnärztin (vorne l) äußert sich im Flur des Landgerichts im Anschluss an die Verhandlung um einen möglichen Impfschaden im Zusammenhang mit dem Corona-Vakzin von Astrazeneca vor TV-Kameras. Als Grund für ihre Klage gibt die Frau nach Angaben des Gerichts Hörschäden im Nachgang der Impfung im Jahr 2021 an. Sie verlangt in dem Zivilprozess ein Schmerzensgeld, das nicht unter der Summe von 150 000 Euro liegen soll. Foto: Arne Dedert/dpa
© Arne Dedert/dpa

Eine Mainzer Zahnärztin kämpft vor dem Landgericht für Schmerzensgeld von Astrazeneca. Lange fühlte sie sich mit ihrem möglichen Impfschaden alleingelassen.

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Mainz. Als die 42-Jährige am 5. März 2021 nach ihrer Impfung mit Astrazeneca im Überwachungsraum des Mainzer Impfzentrums saß, spürte sie zunächst ein Kribbeln im Ringfinger, dann in der ganzen Hand. Drei Tage später war sie mit einem Mal auf dem rechten Ohr taub, hatte Symptome eines leichten Tinnitus und ein Druckgefühl auf dem Auge. Heute ist klar, dass dies keine vorübergehenden Beschwerden waren. Der komplette Hörverlust auf dem rechten Ohr besteht nach wie vor, genauso wie das Taubheitsgefühl im Gesicht bis hinter die Augen. Vor dem Mainzer Landgericht kämpft sie nun um Schmerzensgeld in Höhe von mindestens 150.000 Euro. Prozessbeginn war am Montag, begleitet von großem Medieninteresse. Denn der Prozess gegen Astrazeneca ist bislang der erste Gerichtstermin in der Region gegen einen Hersteller von Corona-Impfstoffen. Allerdings werden in den kommenden Wochen und Monaten weitere folgen.

Ich wurde mit Astrazeneca geimpft. Behandelt mich wie einen Schlaganfall-Patienten.

DK
Die Klägerin nach ihrer Einweisung ins Krankenhaus

Für die 42-jährige Mainzerin war schon damals, im März 2021, klar, dass ihr Hörverlust mit der Impfung zusammenhing. Der Hals-Nasen-Ohren-Arzt überwies sie in die Mainzer Universitätsklinik. „Im Krankenhaus habe ich gleich gesagt: Ich wurde mit Astrazeneca geimpft: Behandelt mich wie einen Schlaganfall-Patienten“, sagt die Klägerin. Sie sei damals in der HNO-Klinik der Mainzer Universitätsmedizin aber überhaupt nicht ernst genommen worden. „Man fühlt sich alleingelassen“, blickt sie auf die Zeit nach der Impfung zurück.

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Als die Mainzer Zahnärztin in der Klinik lag, liefen bereits die ersten Meldungen, dass es nach Impfungen mit Astrazeneca, insbesondere bei jüngeren Frauen, in seltenen Fällen zu Hirnvenenthrombosen gekommen sei. Am 15. März 2021 wurden die Impfungen mit Astrazeneca in Deutschland sogar für drei Tage ausgesetzt, um eine Prüfung der Europäischen Arzneimittel-Kommission (EMA) abzuwarten. Am 18. März wurden sie fortgesetzt, nun sollten sich aber vor allem nur noch Personen über 60 Jahren mit dem Impfstoff impfen lassen. „Es gab da schon ein rechtes Chaos bei Astrazeneca, und wir sind da ganz in zeitlicher Nähe zur Impfung der Klägerin“, erklärt ihr Anwalt Joachim Cäsar-Preller. Die Gegenseite betont hingegen, dass der Impfstoff bis heute zugelassen sei.

Richterin Susanne Gast ist bewusst, dass es sich um einen ganz besonderen Prozess handelt. Viel Zeit habe sie sich genommen, um sich in die Unterlagen einzulesen. Trotzdem stellt sie klar, dass sie medizinischer Laie ist und im Zweifel weitere medizinische Gutachten notwendig würden. Falls der Prozess tatsächlich weitergeht. Denn ebenfalls könnte passieren, dass die Klage aus Rechtsgründen abgelehnt wird. Zentral ist dabei für die Richterin die Frage, ob der Nutzen der Impfung damals gegenüber den möglichen Risiken überwogen habe.

Anwälte von Astrazeneca sprechen von „Hörsturz“

Der Argumentation der Rechtsanwälte von Astrazeneca will die Richterin aber ebenfalls nicht ganz folgen. Diese sprachen auch im Gerichtssaal immer wieder von einem „Hörsturz“, den die Klägerin erlitten habe. So wie es in den ärztlichen Unterlagen der HNO-Klinik in Mainz gestanden habe. Und die passierten deutschlandweit nicht weniger als 330.000 Mal im Jahr. Richterin Gast verweist allerdings auf das Kribbeln in den Fingern und das Taubheitsgefühl im Gesicht: „Das gehört nicht unbedingt zu einem Hörsturz dazu“, stellt sie klar. Auch die Klägerin bringt das Festhalten am Begriff „Hörsturz“ in Rage: „Ich habe keinen Hörsturz, sondern einen kompletten Hörverlust auf dem rechten Ohr. Damit ist ein Hörsturz, der reversibel ist, überhaupt nicht zu vergleichen“, betont sie.

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Lange war die Mainzerin krankgeschrieben, vonseiten der Berufsgenossenschaft der Ärzte sei die Taubheit auf dem rechten Ohr inzwischen außerdem als Impfschaden anerkannt worden. Im Herbst will die Ärztin nun wieder mit einer Wiedereingliederung starten. Sie betont, dass sie vor der Impfung keinerlei gesundheitliche Probleme hatte: „Ich war ein kerngesunder Mensch, nehme keine Medikamente und habe drei Kinder ohne Betäubung zur Welt gebracht. Ich bin belastbar!“

Außergerichtliche Einigung wurde abgelehnt

Erleichtert ist sie daher nach dem Gerichtstermin, dass die Richterin ihre Argumente angehört habe. „Wir müssen uns auf einen steinigen, langen Weg einstellen“, meint ihr Anwalt Cäsar-Preller. Eine außergerichtliche Einigung hatte Astrazeneca im Vorfeld abgelehnt. Cäsar-Preller rechnet damit, dass eventuell erst in zwei bis drei Jahren das Thema Impfschäden abschließend vom Bundesgerichtshof geklärt werden könnte. Am 21. August ist aber erst einmal der nächste wichtige Termin im Mainzer Prozess. Dann will die Richterin entscheiden, ob die Klage abgelehnt wird oder weitere Gutachten eingeholt werden.