Zwei besonders anrührende Beispiele, wie die schon 40 Jahre dauernde Graswurzelpartnerschaft mit Rheinland-Pfalz lebendig gehalten wird.
Kigali. Es ist erst nicht vorgesehen, dass Twikure Mubukene das Wort ergreift. Die vermeintlich wichtigen Leute sollen heute reden: der Bürgermeister, der Pfarrer, der Regionalgouverneur. Sprechen über das Projekt, mit dem die diskriminierte ruandische Minderheit der Batwa aus ihren meist elenden Lebensbedingungen herausgeholt werden. Sie sprechen zu der Delegation aus Rheinland-Pfalz, mit deren Hilfe das Sozialprojekt finanziert wird.
Doch Twikure Mubukene hat sich ihren feiertäglichen Überwurf heute nicht angelegt, um mit ihren Stammesangehörigen nur eine farbige Kulisse abzugeben. Sie hat ihren Leuten klargemacht, dass sie für sie sprechen möchte. Und sie hat die Organisatoren unmittelbar vor dem Festakt gebeten, dass sich die Batwa selbst für die Unterstützung aus Deutschland bedanken möchten. Ihre Dankesrede wird zum bewegendsten Moment dieses sonnigen Morgens in den abgelegenen Bergen im Norden Ruandas nahe der ugandischen Grenze.
„Sie haben uns ein neues Leben beschert“
Die kleine, etwa 40-jährige Frau stahlt eine Würde und Fröhlichkeit aus, die so gar nicht zum sozialen Status ihrer Volksgruppe passt, die in Ruanda fast so etwas wie Unberührbare sind. „Sie haben uns ein neues Leben beschert“, sagt Mubukene zu den Gästen aus Deutschland: „Dafür werden wir Ihnen immer dankbar sein. Gott beschütze Sie alle.“ Die Batwa sind ursprünglich ein Volk von Sammlern und Jägern, das im Grenzgebiet zwischen Uganda und Ruanda ein ebenso autarkes wie armseliges Dasein im Regenwald fristete. Entweder wurden die Wälder ihrer angestammten Gebiete in den vergangenen Jahrzehnten gerodet. Oder sie wurden zwangsumgesiedelt, um der Artenvielfalt und der ausgedünnten Tierpopulation in den verbliebenen Regenwäldern Ruandas eine Chance auf Erholung zu geben.
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Wegen ihrer Kleinwüchsigkeit, mit der sie über Jahrtausende an ihren Lebensraum angepasst waren, sind die Mitglieder dieses Regenwaldvolks leicht zu identifizieren. Das begünstigt ihre Diskriminierung in den Städten und Dorfgemeinschaften, in die es sie nach ihrer Vertreibung verschlagen hat. Wenn sie überhaupt mal Arbeit bekommen, werden die Batwa noch stärker als andere Tagelöhner ausgebeutet.
Umschulung auf landwirtschaftliche Arbeit
In dem landwirtschaftlichen Sozialprojekt im Gicumbi-Distrikt, das mit finanzieller Unterstützung der Graswurzelpartnerschaft zwischen Rheinland-Pfalz und Ruanda entwickelt worden ist, werden die Batwa, die traditionellen Speerjäger, zu Bauern „umgeschult“. In Manyagiro, ihrem kleinen Dorf 2300 Metern Höhe, wurden rund 200 Batwa angesiedelt. Insgesamt profitieren bisher an die 1600 Menschen von dem Projekt.
In den fruchtbaren Bergen in Äquatornähe ist die landwirtschaftliche Befähigung der erste Schritt zur Überwindung ihrer Verelendung und Diskriminierung. Peu a peu haben die zähen Menschen in den Hügeln um ihr Dorf die für ganz Ruanda typischen Terrassen angelegt: Um die Steillagen besser zu bewässern, um die Erosion des fruchtbaren Bodens aufzuhalten und um effektiver Bohne und Kartoffeln anzubauen, die hier „irische Kartoffeln“ heißen, wenn es sich nicht um die angestammten Süßkartoffeln handelt.
In dem auf Dauer selbst tragenden Projekt bilden landwirtschaftliche Fachleute die Batwa zu Bauern aus, die sich unter Anleitung als cooperative Gemeinschaft organisiert haben. Saatgut und landwirtschaftliche Werkzeuge werden ihnen gestellt.
„Vater Theophile“, ist der lokale katholiche Priester, der das Projekt mit vorangetrieben hat. Er macht deutlich, wie nachhaltig die Projekte wirken, mit denen die Batwa in der Region eine neue Lebensgrundlage gefunden haben: „In der Gemeinschaft schaffen es die Menschen nicht nur, ihre Versorgung zu verbessern. Sie schaffen es nun auch, gemeinschaftlich Vorräte für schlechtere Zeiten anzulegen und einen Teil ihrer Ernte auf die Märkte zu bringen.“ Mit diesem von Jahr zu Jahr steigenden Überschüssen haben viele von ihnen erstmals Zugang zu Geld, mit denen sie andere grundlegende Bedürfnisse wie ordentliche Kleidung und Schuhe befriedigen können.
Begünstigt wird die Integration der Batwa durch die Politik, mit denen das autoritär geführte Ruanda die Entwicklung auch der abgelegensten Regionen vorantreibt. Ähnlich dem frühen chinesischen Modell wird generalstabsmäßig zunächst die Elektrifizierung des Landes vorangebracht. Parallel dazu werden fortlaufend neue Schulen errichtet, um die Schulwege der Kinder zu verkürzen.
„In meiner Generation sind viele von uns gar nicht zur Schule gegangen“, sagt die rund 40-jährige Twikure in ihres Dankesrede: „Heute geht sogar schon ein erstes Kind unserer Gemeinschaft studieren.“ Es ist nur eines von vielen Projekten der Graswurzelpartnerschaft von Rheinland-Pfalz mit Ruanda, die die Delegation von Ministerpräsidentin Malu Dreyer zum 40-jährigen Bestehen in den vergangenen Tagen besucht hat. Seite 1982 sind insgesamt 2200 Projekte angestoßen und gefördert worden - über das gesamte Land verteilt und fast alle als Hilfe zur Selbsthilfe. 40 rheinland-pfälzische Kommunen, 180 Schulen und 40 Vereine und Stiftungen haben sich bisher in diese ungewöhnlihe Partnerschaft eingebracht. Fast alle Themen der Entwicklung des Landes werden dabei berührt: Bildung und Gesundheitsversorgung, Sozialprojekte und Wissenschaft, Handwerk und Landwirtschaft, Umweltschutz und Sport. Mainz-05-Präsident Stefan Hofmann nahm bei der Delegationsreise erste Sondierungen für eine Entwicklung des Fußballs in Ruanda auf. Bei diesen Partnerschaften fließen deutlich geringere Summen als bei der staatlich finanzierten Entwicklungspolitik. Dafür schlägt jedes der Projekte eine Brücke zwischen den jeweils beteiligten Partnern der in jeder Hinsicht so weit voneinander entfernten Länder.
Besuch kürzlich eingeweihter Gedenkstätte
Ein ebenso bewegendes Projekt, das die Delegation von Ministerpräsidentin Dreyer und Landtagspräsident Hendrik Hering besucht, ist die erst vor kurzem eingeweihte Gedenkstätte an der Sekundarschule in Nyange, circa zwei Fahrstunden von der Hauptstadt entfernt. Gedenkstätten zum großen Trauma Ruandas, dem einhundert Tage währenden Genozid an den Tutsi, dem kleineren aber seinerzeit privilegierten Bevölkerungsteil, gibt es in allen größeren Städten. Eine Million Menschen – neben Tutsi auch gemäßigte Hutu – kamen bei dem Völkermord ums Leben. Knapp zwei Millionen Menschen flohen vor dem das ganze Land erfassten Massenmorden in benachbarte Länder.
Die Ausstellung in der Schule in Nyange, die mehrere ehemalige Schulklassen umfasst, ist durch Spenden der Stadt Mainz ermöglicht worden. Genau 25 Jahre, nachdem Hutu-Kämpfer die Schule überfielen, wurden sieben Schülerinnen und Schüler getötet, weil sie sich dem Völkermord widersetzten.
Phanuel Sindayiheba ist einer der Überlebenden von damals. In bewegenden Worten lässt der heute 45-jährige den Wahnsinn des damaligen Rassenkrieges wieder aufleben. Es war der 18. März 1997, als Hutu-Rebellen die Oberschule auf dem Berg stürmten. Zunächst knallten Schüsse durch die Fenster der damaligen fünften und sechsten Klasse der Sekundarschule, in die sich die Schüler verschanzt hatten. Die mit Gewehren und Macheten bewaffneten Angreifer forderten die Schüler auf, sich aufzustellen: „Tutsi rechts, Hutu links“, lautete das Kommando. Die 22-jährige Chantal traute sich als erste, sich dem Befehl zu widersetzen: „Hier gibt es keine Hutu und Tutsi. Wir sind alle Ruander.“ Ein legendäres Bekenntnis, das heute Staatsdoktrin in Ruanda ist. In der benachbarten Klasse wiederholte sich die Szenerie. Weitere Schüler stellten sich den Angreifern mit den gleichen Worten entgegen. Sieben von ihnen kamen ums Leben - durch gezielte wie durch wahllose Schüsse.
Phanuel überlebte den Anschlag trotz einer schweren Schussverletzung an der linken Schulter. Über ein halbes Jahr lag er im Krankenhaus. Später holte er den Schulabschluss nach und studierte. Sein ganz persönliches Trauma des Völkermordes aber holt ihn bis heute ein: „Obwohl ich wie ganz wenige später in den Genuss einer psychologischen Betreuung kam“, berichtet er sichtlich angefasst.
In der von den Mainzern finanzierten Ausstellung werden die Schüler, die sich den Befehlen zur Rassentrennung widersetzt hatten, als nationale Helden gefeiert. Ihre kurzen Leben werden ebenso nachgezeichnet, sowie die Ausstellung den Ursachen des Rassenhasses auf den Grund geht.
Im letzten Saal der Ausstellung werden alle möglichen Formen von Diskriminierung angesprochen und zurückgewiesen: Gegen Frauen, gegen Behinderte, gegen Albinismus und auch gegen alltägliches Mobbing. „Wir müssen von Beginn an gegen jede Form von Diskriminierung und Gewalt einschreiten“, mahnt Phanuel Sindayiheba. Ein Satz, den Malu Dreyer, der Staatsgast aus Deutschland, aufgreifen wird. Um zu ergänzen: „Rheinland-Pfalz und die Stadt Mainz sind stolz darauf, dass auch mit unserer Unterstützung die Erinnerung an die mutigen Schülerinnen und Schüler von damals wach gehalten wird.“