Ahrflut: Hat das Innenministerium Beweise zurückgehalten?

Ein zerstörtes Auto liegt in der Ahr in dem Ort im Kreis Ahrweiler am Tag nach dem Unwetter mit Hochwasser.  Archivfoto: dpa

Das Haus des rheinland-pfälzischen Innenministers Roger Lewentz (SPD) hat offenbar einen Lagebericht der Hubschrauberstaffel erst jetzt an den U-Ausschuss gegeben – Monate zu spät.

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MAINZ. In der Affäre um die monatelang verschwundenen Hubschraubervideos zur Ahrflut gibt es neue Vorwürfe. Wie aus einem internen Schriftverkehr zwischen der rheinland-pfälzischen Landesregierung und dem Landtag hervorgeht, der dieser Zeitung vorliegt, sind offenbar nicht nur die brisanten Luftaufnahmen lange Zeit verschwunden gewesen – sondern auch ein schriftlicher Lagebericht der Hubschrauberpiloten, der noch in der Flutnacht im Juli 2021 an das Innenministerium geschickt wurde. Dieser schriftliche Lagebericht belastet den sowieso schon stark angeschlagenen Innenminister Roger Lewentz (SPD) zusätzlich.

Der Lagebericht, der dieser Zeitung ebenfalls vorliegt, dokumentiert, dass die Hubschrauberpiloten gegen 1 Uhr nachts das Innenministerium schriftlich, per Mail darüber unterrichtet hatten, dass es die komplette rheinland-pfälzische Ahr entlang, von der Mündung bei Sinzig bis zum Ort Schuld am Oberlauf, zu einem Hochwasser mit „dramatischen Auswirkungen“ gekommen sei. „Zahlreiche Häuser“ stünden „bis zum Dach“ unter Wasser. Menschen auf ihren Häusern würden mit Taschenlampen „SOS“-Signale senden. Und: Den Feuerwehren sei es nicht mehr möglich, aufgrund der „starken Strömung“ die gefluteten Häuser anzusteuern. Wie vergangene Woche öffentlich wurde, waren in der Flutnacht diese Informationen auch telefonisch an Innenminister Lewentz weitergegeben worden.

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Dokumente hätten weitergegeben werden müssen

Lewentz hingegen hatte bei seinen zwei Vernehmungen vor dem Untersuchungsausschuss des Landtages und bei seinen Stellungnahmen in der zurückliegenden Woche immer ausgesagt, dass er während der laufenden Flut nur über „punktuelle Ereignisse“ informiert worden war. Er habe kein vollständiges Lagebild gehabt – und sei davon ausgegangen, dass die Einsatzkräfte vor Ort ihrer Arbeit nachgingen.

Wie nun aus dem internen Schriftverkehr zwischen Landesregierung und Landtag hervorgeht, soll der Lagebericht, der Lewentz’ Aussagen widerlegt, erst vor wenigen Tagen in den Beweisakten des U-Ausschusses eingegangen sein – obwohl er dort eigentlich seit Monaten hätte vorliegen müssen. Aus dem Lagebericht wird dazu erkenntlich, dass in der Flutnacht die schriftlichen Schilderungen der Piloten zum einen das Innenministerium, zum anderen auch andere Stellen der rheinland-pfälzischen Hubschrauberstaffel und des zuständigen Polizeipräsidiums erreicht hatten. Als der U-Ausschuss im Februar sämtliche Dokumente zum Komplex „Lagebild“ angefordert hatte, hätte dieser Lagebericht spätestens dann in den Beweisakten eingehen müssen, in mehrfacher Ausführung. Sowohl vom Innenministerium als auch von der Hubschrauberstaffel. Wieso dieses zentrale Beweisdokument aber von gleich zwei rheinland-pfälzischen Behörden zunächst nicht weitergegeben wurde und jetzt erst auftaucht, nach Bekanntwerden der brisanten Hubschrauberaufnahmen, ist nun die große Frage. Der Verdacht der bewussten Zurückhaltung oder gar der Vertuschung steht im Raum.

Das Innenministerium erklärte auf Anfrage dieser Zeitung, der schriftliche Bericht habe Minister Lewentz in der Flutnacht nicht vorgelegen. Er sei in der Nacht um 0.53 Uhr per E-Mail im Lagezentrum eingegangen. Die Vorlage des Dokuments beim U-Ausschuss hätte zum 30. Dezember 2021 erfolgen müssen, so das Ministerium. Die Frage, wieso das nicht geschehen ist, ließ das Ministerium unbeantwortet.

Weiter teilte das Ministerium mit, ob der Bericht bereits von einer anderen Stelle vorgelegt worden sei, könne letztlich nur der Untersuchungsausschuss feststellen. Der Kenntnisstand des Ministers zum damaligen Zeitpunkt sei breit öffentlich bekannt.

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Video in Archiven verschwunden

Bereits bei den damals angefertigten Hubschraubervideos ist es nach der Flut zu mysteriösen Fehlern gekommen (wir berichteten). Wie vor zwei Wochen öffentlich wurde, hat die Polizei zwischen 22 und 23 Uhr am Flutabend eine flächendeckende Katastrophe von der Luft aus dokumentiert. Diese Videos sollen laut Innenministerium anschließend angeblich aufgrund eines internen Dokumentationsfehlers bei der Polizei für mehr als 14 Monate in den Archiven der Behörde verschwunden sein. Lediglich einem Beweisantrag des U-Ausschusses war es zu verdanken, dass die Videos vor Kurzem doch noch ihren Weg in die Öffentlichkeit fanden.

Seitdem steht Innenminister Lewentz massiv unter Druck. Trotz der dramatischen Szenen in den Videos bleibt Lewentz öffentlich bei seinem Kurs, dass er auf den Videos keine Katastrophe erkennen könne – obwohl die Bilder etwas anderes zeigen. Mit Menschen auf Häusern, die im Dunkeln verzweifelt Piloten um Rettung anleuchten. Mit einem Auto, das mit eingeschaltetem Scheibenwischer von den Fluten mitgerissen wird. Die neuen Verdächtigungen bezüglich des verschwundenen Lageberichts dürften Lewentz’ Situation nun weiter verschärfen.

Unmittelbar nach Bekanntwerden der neuen Vorwürfe forderte die CDU-Landtagsfraktion Aufklärung von Innenminister Lewentz. Dirk Herber, CDU-Landtagsabgeordneter und Obmann im U-Ausschuss, sagte, es sei ein „ungeheuerlicher Skandal“, dass dem U-Ausschuss neben den Videos bislang auch der Einsatzbericht der Polizeihubschrauberstaffel nicht vorgelegen habe. „Der Bericht wäre für die Zeugenbefragungen der vergangenen Monate entscheidend gewesen. Bis zum September waren dem Untersuchungsausschuss weder der Aufklärungsflug noch der Bericht bekannt. Ein Umstand, für den die Landesregierung die Verantwortung trägt.“