Bürgermeister im Ahrtal fühlen sich vom Land allein gelassen
Mehr als ein Dutzend Bürgermeister berichten vor dem Untersuchungsausschuss in Mainz von den ersten Wochen nach der Flut und den Momenten, in denen sie Hilfe vermisst haben.
Mainz. Bei der Bewältigung der tödlichen Flutkatastrophe an der Ahr waren die Gemeinden nach Aussage ihrer Bürgermeister zunächst auf sich allein gestellt. Gut ein Dutzend Verwaltungschefs berichteten am Freitag im Landtags-Untersuchungsausschuss, wie sie in Eigenregie versuchten, mit Hilfsangeboten von Feuerwehr, Bundeswehr, Freiwilligen und Technischem Hilfswerk, die verheerende Lage zu bewältigen. Unterstützung der Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion (ADD) habe auf sich warten lassen, so die mehrfach geäußerte Kritik.
Kein Strom, kein Wasser, kein Handynetz: „Wir sind in einer Nacht ins komplette Mittelalter zurückversetzt worden“, sagte der ehemalige Bürgermeister des Weinorts Mayschoß, Hubertus Kunz, in Mainz. „Wir mussten uns selbst helfen.“ So oder so ähnlich drückten sich auch Bürgermeister anderer Gemeinden aus, die vor dem U-Ausschuss aussagten.
Kein Anruf vom Land oder vom Landkreis Ahrweiler
Er habe sich anfangs „allein gelassen gefühlt“, sagte der parteilose Bürgermeister von Sinzig, Andreas Geron. Einen Anruf vom Land oder vom Kreis Ahrweiler habe er zunächst nicht erhalten. Neben der Gefahrenabwehr habe er abends „völlig erschöpft“ noch im Internet gegen Fake-News kämpfen müssen. Er hätte sich eine „zentrale Öffentlichkeitsarbeit“ und schnelle Unterstützung gewünscht – etwa Mitarbeiter der ADD.
Den ersten Kontakt mit dem Kreis Ahrweiler habe er am Freitag oder Samstag nach der Katastrophe mit mindestens 134 Toten gehabt, berichtete Geron. Bei dem Besuch habe er auch erstmals erfahren, was in der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag (14./15. Juli 2021) über die Stadt Sinzig hinaus geschehen war.
„Jede Stunde ein neues Problem”
In den ersten Tagen nach der Katastrophe gab es „jede Stunde ein neues Problem und man muss sofort handeln und entscheiden“, sagte der Jurist. „Paragrafen waren da ohne Bedeutung.“ Er kritisierte, dass die Einsatzkräfte aus der Blaulichtfamilie alle zwei bis drei Tage komplett ausgewechselt worden seien. Dies habe „einen halben Tag Einarbeitung, einen halben Tag Übergabe und nur einen Tag richtig Arbeiten“ bedeutet.
„Eine Aufsichtsbehörde kann keine Krise bewältigen“, meinte Kunz aus Mayschoß über die ADD. Diese Landesbehörde habe mit Bürokratie „alles verkompliziert“ und nicht einmal jemanden in jeden Ort geschickt, um mit den örtlichen Krisenstäben Kontakt aufzunehmen. „Die Krise muss von unten bewältigt werden. Da macht jeder, was er kann.“ Er habe zunächst auch Unterstützung der Verbandsgemeinde Altenahr und der Kreisverwaltung Altenahr vermisst, mache ihnen aber keinen Vorwurf. „Die waren selbst total überfordert, traumatisiert und geschädigt.“
Lage verbessert sich Mitte August
Ortsbürgermeister Alfred Sebastian aus Dernau sagte, er habe in den ersten drei Wochen keinen Kontakt zur ADD gehabt, zum ersten Mal in seinem Leben über Rücktritt nachgedacht und mit anderen einen Brandbrief an Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) geschickt. Die Lage habe sich aber in der zweiten Augustwoche mit dem Arbeitsbeginn des Vor-Ort-Beauftragten der Landesregierung, Günter Kern, verbessert.
Scharfe Kritik an der ADD kam aus der größten Stadt Bad Neuenahr-Ahrweiler: „Wir haben selber organisiert“, sagte Bürgermeister Guido Orthen (CDU) und nannte Wasser, Strom und Abwasser als Beispiele. Nach der Übernahme der Einsatzleitung durch das Land (ADD) sei seine Verwaltung völlig ignoriert worden. Seine Stadt sei „übernommen worden“, habe man ihm bei der ADD zunächst gesagt, dann aber bei der Bewältigung der Probleme vieles völlig übersehen. Seinem mehrfach geäußerten Wunsch nach einem Verbindungsmann zur Technischen Einsatzleitung sei auch nicht erfüllt worden.
Von 17 Brücken baut das Land eine
17 Brücken habe die Stadt durch die Flut verloren. Das Land habe eine einzige aufgebaut, erzählte er. Beim Rest haben das THW und anderen Hilfsorganisationen untersützt.
Von zunächst teils unkoordinierter Hilfe am tatsächlichen Bedarf vorbei, berichtete der Bürgermeister der Verbandsgemeinde Adenau, Guido Nisius. Viele seiner Kollegen lobten im Untersuchungsausschuss aber die Unterstützung der vielen professionellen und freiwilligen Helfer und betonten, dass es ohne sie nicht gegangen wäre. Horst Gies, Erster Kreisbeigeordneter von Ahrweiler und Landtagsabgeordneter der CDU, fand jedoch: „Die wirklichen Macher und Helden sind die Bürgermeister und Ortsvorsteher“, die die Orte zusammengehalten hätten.