31 Jahre hinter Gittern – ein Ex-Gefängnisleiter erzählt

Die Justizvollzugsanstalt Diez in Rheinland-Pfalz.
© Joachim Bach

Norbert Henke hat lange in rheinland-pfälzischen Justizvollzugsanstalten gearbeitet. Im Interview spricht er über Jugendarrest, Arbeitspflicht und Integrationskurse.

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Herr Henke, wenn Sie nach 31 Berufsjahren den Zustand des Strafvollzugs in Deutschland skizzieren würden – wie würde das aussehen? 

Die Gefangenen sind bei uns bunt gemischt untergebracht – Ersttäter mit mehrmals Rückfälligen, Drogensüchtige mit Gefangenen ohne Suchtproblematik – und dadurch wird unnötig Arbeitszeit der JVA-Mitarbeiter vergeudet. Denn die Sicherheitsmaßnahmen richten sich nach dem schwächsten Glied – also den eher problematischen Inhaftierten, die vom Resozialisierungsziel weit entfernt sind. Man sollte deutlich mehr zwischen den einzelnen Gefangenen differenzieren. Es gibt viele Häftlinge, die relativ unproblematisch sind und denen man mehr Freiheiten innerhalb der Anstalt geben könnte – und die Gefangenen könnten sich dann auch verstärkt selbst versorgen. Das soll auf keinen Fall heißen, dass Gefängnisse Hotelcharakter erhalten sollen. Aber es ist Teil des Wiedereingliederungsgedankens, dass die Häftlinge ihr Leben in den Griff bekommen. Das funktioniert nur, wenn die Verhältnisse im Vollzug den Lebensumständen in Freiheit ein bisschen angenähert sind.

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Was müsste Ihrer Einschätzung nach verbessert werden, um dem Resozialisierungsgedanken des Strafvollzugs mehr Rechnung zu tragen?

Die Möglichkeiten für den offenen Vollzug und der Wiedereingliederung werden nicht ausgeschöpft. Die Mitarbeiter sind mittlerweile sehr oft mit Dokumentation und Bürokratie beschäftigt, Psychologen teils mit dem Verfassen ausführlicher Stellungnahmen. Das ist sicher alles sinnvoll – aber bei knappem Personal fallen dann andere Aufgaben und Voraussetzungen für eine Wiedereingliederung weg, wie beispielsweise Arbeitsmaßnahmen oder Behandlungsangebote für die Gefangenen. Eine erfolgreiche Wiedereingliederung ist ja nicht nur im Interesse der Gefangenen, sondern auch der beste Schutz für potenzielle Opfer.    

Buchcover von „31 Jahre hinter Gittern. Ein ehemaliger Anstaltsleiter erzählt.“
Buchcover von „31 Jahre hinter Gittern. Ein ehemaliger Anstaltsleiter erzählt.“
© Omnino Verlag

Sie schreiben, Gefängnisse können „nicht der Reparaturbetrieb der Gesellschaft“ sein. Sind die Erwartungen von Politik und Bürgern an den Strafvollzug zu hoch?

Ich bin der Auffassung, dass das gesetzliche Vollzugsziel der Wiedereingliederung im Mittelpunkt stehen sollte. Es ist nicht die Aufgabe der Justizvollzugsanstalten, die mit der Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe beabsichtigten Strafzwecke der Vergeltung und Abschreckung zielgerichtet zu verfolgen und zusätzlich mit Leben zu füllen. Die Gesellschaft und teilweise auch die Politik erwarten hingegen Widersprüchliches vom Strafvollzug: Einerseits werden Strafe und Abschreckung durch den Freiheitsentzug als zentrale Aufgabe der Gefängnisse betrachtet. Andererseits wird erwartet, dass die Resozialisierung erfolgreich ist und die Gefangenen als wertvoller Teil der Gesellschaft entlassen werden. Aber die Möglichkeiten der Anstalten, Menschen zu ändern, sind unterschiedlich groß und im Einzelfall durchaus begrenzt. Die Erwartungen sind zu hoch, auch angesichts der finanziellen Möglichkeiten des Strafvollzugs.

Wie stark hat das Problem der Unterbringung von psychisch kranken Straftätern zugenommen? 

Der Anteil der Gefangenen mit psychischen Auffälligkeiten hat im Laufe der Jahre zugenommen – das wird auch sichtbar an den steigenden Ausgaben für Psychopharmaka in den Anstalten. Zum einen ist eine solche Zunahme der psychischen Auffälligkeiten ja in der gesamten Gesellschaft zu beobachten. Zum anderen werden psychiatrische Erkrankungen auch durch den langjährigen Konsum von härteren Drogen verursacht. Zudem sind psychiatrische Auffälligkeiten auch häufig bei Gefangenen mit Migrationshintergrund zu sehen: Viele bringen Kriegserfahrungen oder traumatische Erlebnisse von der Flucht mit, hatten vielleicht auch schon in der Heimat Schwierigkeiten. Bei einigen Asylbewerbern kommt noch die psychische Belastung durch die häufig langanhaltende, unsichere Situation hinzu, ob man in Deutschland bleiben darf oder nicht.

Sind die Migranten in deutschen Gefängnissen auch Ausdruck gescheiterter Integration?

Ja, das kann man so sehen. Wir hatten auch sehr viele Russlanddeutsche, die schon mit einem Kriminalitätshintergrund nach Deutschland gekommen sind. Wir haben viele erlebt, die aus diesem Umfeld herauswollen – das ist aber häufig schwierig. Hier müsste man mehr tun, auch wenn man nicht alle erreichen wird. Gutgemeinte Sprachkurse in Gefängnissen setzen hier aber viel zu spät an. Deutschkurse in den JVAs sind dennoch wichtig, denn viele bleiben ja nach der Haft hier.

Wären psychisch kranke Straftäter nicht besser in der Forensik aufgehoben als in der JVA?

Das ist Sache der Gerichte: Wenn ein Gefangener zum Zeitpunkt der Tat nicht schuldunfähig ist, wird eine Freiheitsstrafe verhängt. Und dann ist es Sache des Vollzuges, für die adäquate Behandlung zu sorgen. Das war sehr lange schwierig, es wurde aber in Rheinland-Pfalz mittlerweile eine psychiatrische Abteilung im Justizvollzugskrankenhaus Wittlich geschaffen. Das ist zwar nur eine kleine Abteilung mit 20 Plätzen, aber dort können Gefangene mit psychischen Auffälligkeiten in Akutphasen behandelt und eventuell medikamentös eingestellt werden. Da hat sich schon einiges getan – um auch die Bediensteten zu entlasten, die mit den kranken Gefangenen umgehen müssen.

Sie fordern die Abschaffung von Ersatzfreiheitsstrafen, die verbüßt werden müssen, wenn Geldstrafen nicht gezahlt werden. Warum? 

Nicht bei allen, aber bei den klassischen Armutsdelikten, wie Schwarzfahren. Der Abschreckungseffekt ist hier gering und eine Behandlungsarbeit im Sinne einer Crashkurs-Resozialisierung ist hier aufgrund der Kürze nicht gegeben. Wir beobachten hier häufig den ‘Drehtür-Effekt´. Da würde es mehr Sinn machen, die Randständigen unserer Gesellschaft draußen vor den Gefängnismauern zu unterstützen. Für durchaus sinnvoll halte ich den Abschreckungseffekt bei Jugendarrest: Wenn ein Jugendlicher wiederholt beim Ladendiebstahl erwischt wird, kann ein Wochenende Arrest als Warnung durchaus funktionieren.

Ein Strafvollzugsbeamter geht durch die Gänge in der Justizvollzugsanstalt Rohrbach im rheinhessischen Wöllstein.
Ein Strafvollzugsbeamter geht durch die Gänge in der Justizvollzugsanstalt Rohrbach im rheinhessischen Wöllstein.
© dpa

Was halten Sie von der Abschaffung der Arbeitspflicht in den JVAs der meisten Bundesländer?

Ich habe mich damit am Anfang schwergetan. Denn es ist einerseits sinnvoll, dass die Gefangenen eine feste Tagesstruktur, eine Beschäftigung und Kontakt zu anderen Menschen haben oder gar eine Ausbildung absolvieren. Es ist auch gut, wenn die Gefangenen trainieren, regelmäßig bestimmte Anforderungen zu erfüllen, durchhalten und dadurch den Effekt haben, sich Dinge zusätzlich zu kaufen. Aber in der Anstaltsrealität ging die Arbeitspflicht eh ins Leere, weil es gar nicht ausreichend Arbeitsplätze für alle gab. Und wenn jemand zur Arbeit gezwungen wurde, wurde oft nur mäßig motiviert gearbeitet.