Online aufs Amt – bis auf Weiteres ein schöner Traum

Es ist ja nicht so, dass nichts passiert: Digitale Akten zum Beispiel halten in immer mehr Behörden Einzug und sollen ein Schritt zu einer durchgehend elektronischen Verwaltungsarbeit sein.

Ab 2023 sollten alle Verwaltungsleistungen digital verfügbar sein, so fordert es das Onlinezugangsgesetz (OZG). In Hessen und Rheinland-Pfalz ist man noch nicht so weit.

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Wiesbaden/Mainz. Schon mal etwas vom „Onlinezugangsgesetz” gehört? Das Gesetz mit dem Kürzel OZG gibt es seit 2017 und sollte dafür sorgen, dass bis zum 31. Dezember 2022 alle Verwaltungsleistungen digital abrufbar sind. Seit Jahren arbeiten Bund, Länder und Kommunen emsig an der Erfüllung dieses Versprechens – mit überschaubarem Erfolg, wie ein Blick nach Hessen und Rheinland-Pfalz zeigt. Behördengänge komplett online erledigen – sei es die Anmeldung einer Trauung, die Ausstellung einer Geburtsurkunde, eine Ummeldung des Wohnsitzes oder die Beantragung einer Sozialleistung – ist oft noch Zukunftsmusik. Das liegt nicht zuletzt an den Schwächen des OZG.

Beide Landesregierungen haben kürzlich Zwischenstände vermeldet. Die hessische Digitalministerin Kristina Sinemus (CDU) berichtet, dass 483 von 695 Verwaltungsleistungen im Rahmen der OZG-Umsetzung inzwischen digitalisiert seien, also gut zwei Drittel. Eine Planerfüllung ist das nicht. Es gehe um „ein Mega-Modernisierungsprojekt”, das nur durch Zusammenarbeit über Ländergrenzen und Verwaltungsebenen hinweg gelingen könne, sagt Sinemus. „Diese Grundsteine sind inzwischen gelegt und gute Prozesse etabliert”, resümiert sie den Stand der Dinge. Bis Ende 2023 werde man den Rest geschafft haben.

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Nur ein „Startschuss” für eine umfassende Verwaltungsmodernisierung

In Mainz hat Digitalisierungsminister Alexander Schweitzer (SPD) schon Anfang Dezember via Pressemitteilung erklärt: „Rheinland-Pfalz ist OZG ready”. Nach dieser vollmundig klingenden Überschrift folgt eine durchaus selbstkritische Analyse des Ist-Zustands. Zwar ist auch hier von einer Erfüllung der Vorgaben zu zwei Dritteln die Rede. Jedoch heißt es in einer Bestandsaufnahme von Landesministerium und kommunalen Spitzenverbänden, man habe nun „die technischen, rechtlichen und finanziellen Voraussetzungen geschaffen”, um den Prozess weiter voranzutreiben. Das OZG verstehe man als „Startschuss für eine umfassende Verwaltungsmodernisierung”.

Rheinland-Pfalz ist OZG ready.

Alexander Schweitzer Rheinland-pfälzischer Digitalisierungsminister

Dass man nicht schon weiter sei, liege an der Komplexität der Sache, an fehlenden Geldmitteln des Bundes und an langen Diskussionen zwischen den Verwaltungsebenen, heißt es in Mainz. So hätten Bund und Länder sich erst 2020 auf das Prinzip „Einer für Alle” geeinigt. Das bedeutet: Vergleichbare Leistungen werden von einem Akteur entwickelt und dann von allen übernommen. „So wurde zwar eine kluge Lösung gefunden, aber eben auch wichtige Zeit verloren, die Länder und Kommunen zur Umsetzung gebraucht hätten.” Für „OZG finished” brauche man deshalb noch „mindestens die Jahre 2023 und 2024”.

Wertvolle Zeit ging verloren

Die Anmerkungen aus Mainz legen die Schwächen des OZG offen. Es beginnt mit der Definition, was eine digitale Verwaltung ist. Das OZG verlangt nur den digitalen Zugang zu den Leistungen, sagt aber nichts darüber, was danach zu geschehen hat. „Es reicht nicht, wenn die Bürger ein Formular online aufrufen können, dann ausfüllen und per Post an die Verwaltung schicken“, betont Walter Wallmann, Präsident des Landesrechnungshofs Hessen. Genau dies ist aber in vielen Fällen der Stand der Dinge. Inzwischen haben Bund und Länder sich auf sogenannte „Reifegrade” geeinigt. Erst wenn eine Leistung einschließlich aller Nachweise vollständig digital abgewickelt und der Bescheid online zugestellt werde (Reifegrad 3 von 4), könne man von einem digitalisierten Verwaltungsakt sprechen. Legt man diesen Maßstab an, dürfte die OZG-Erfüllungsquote deutlich unter den gemeldeten zwei Dritteln liegen.

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Ein weiteres Problem: Man hat quasi am falschen Ende begonnen. Rechnungshofpräsident Wallmann: „Wir brauchen einen Digitalcheck unserer Gesetze. Andere haben mit diesem Schritt begonnen. Wir haben das Pferd von hinten aufgezäumt.“ Der SPD-Bundestagsabgeordnete Robin Mesarosch, Mitglied im Digitalausschuss des Parlaments, stößt ins gleiche Horn: „Entscheidend wäre zuerst die Digitalisierung und Vernetzung der zahlreichen Datenregister in den Behörden.” Die Folgen der fehlenden Vernetzung haben gerade Millionen Grundeigentümer zu spüren bekommen. Weil die Kataster nicht mit den Finanzämtern verkoppelt sind, sind sie zur Neufestsetzung der Grundsteuer aufgefordert, die Daten aus den Grundbüchern per Hand mühsam in die Anträge einzupflegen – eigentlich eine Arbeit der Verwaltung.

Das Positivbeispiel Norwegen

Wie es auch laufen könnte, verdeutlicht Wallmann an einem Beispiel: „In Norwegen kommt die fertige Steuererklärung jedes Jahr am 1. April zu den Menschen. Und wenn alle Angaben stimmen, reicht ein Klick zur Bestätigung.” Überhaupt Norwegen. Dort habe man vor 20 Jahren mit der digitalen Ertüchtigung der Verwaltung begonnen, nun sei man am Ziel, schwärmt Wallmann. Mit Norwegen pflegen die hessischen Rechnungsprüfer einen Erfahrungsaustausch, weil das Land strukturell in vielen Dingen mit Hessen vergleichbar sei.

Wir brauchen einen Digitalcheck unserer Gesetze. Andere haben mit diesem Schritt begonnen. Wir haben das Pferd von hinten aufgezäumt.

Walter Wallmann Präsident des Landesrechnungshofs Hessen

Ein anderes Problem: die digitale Unterschrift. In Norwegen gibt es ein für alle Behördengänge gültiges Authentifizierungskonzept, hierzulande nicht einmal in Ansätzen. Zwar habe man mit dem digital-tauglichen Personalausweis recht früh angefangen, „doch ist das Ganze steckengeblieben”, sagt SPD-Mann Mesarosch. Das Interesse sei bei Bürgern wie bei App-Entwicklern nur gering. Und wenn die physische Unterschrift mal nicht gebraucht wird? „Viele Verwaltungsstellen fordern sie ein, obwohl sie darauf verzichten könnten. Hier agiert die Verwaltung – auch aus Gewohnheit – oft zu vorsichtig“, weiß Ulrich Keilmann, Leiter der überörtlichen Prüfung beim hessischen Rechnungshof, zu berichten. Keilmann treibt das Thema nicht nur mit Blick auf mehr Bürgernähe um: „Wir haben gar keine andere Chance. Die Verwaltung muss schlanker, effizienter werden. Sonst kann sie schon bald nicht mehr ihre Aufgaben erfüllen, und zwar deshalb, weil das Personal schon aus demografischen Gründen schrumpfen wird.“

Der Weg zu einer digitalen Verwaltung ist also steinig. „Ich hoffe, wir sind in Hessen in fünf Jahren deutlich weiter als heute. Wir müssen ein gewisses internationales Niveau erreichen”, sagt Wallmann. Inzwischen hätten das aber alle begriffen – „die Politik gibt Gas“. Mesarosch bestätigt das. Im Januar werde Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) eine umfassende Novelle des OZG vorlegen. In Hessen marschieren derweil 15 Modellkommunen voran, unter ihnen Darmstadt, Wiesbaden, Wetzlar und der Landkreis Groß-Gerau. „In Wiesbaden und Bad Homburg können Paare seit Dezember fast alle Vorbereitungen für ihre Hochzeit online erledigen”, meldet Digitalministerin Sinemus stolz. Für das Jawort ist allerdings immer noch der Besuch des Standesamts erforderlich.