Lkw-Streik: Fahrer wollen Druck auf Auftraggeber machen

An der Raststätte Gräfenhausen machen streikende Fahrer der polnischen Spedition Mazur öffentlich, welche großen Konzerne mit dem polnischen Unternehmen, das seine Fahrer nicht bezahlt, zusammenarbeiten.
© Sascha Lotz

DHL, Audi und Red Bull – die streikenden Fahrer in Gräfenhausen nennen erstmals Unternehmen, deren Waren die polnische Spedition Mazur transportiert.

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Gräfenhausen. Seit genau einem Monat streiken Lastwagenfahrer einer polnischen Spedition an den Raststätten Gräfenhausen-West und -Ost an der A5 zwischen Frankfurt und Darmstadt. Die rund 100 Fahrer fordern von ihrem Arbeitgeber Lukasz Mazur bisher nicht gezahlten Lohn. Zu Beginn des Streiks kam er den Forderungen noch nach, seit drei Wochen tat sich allerdings nichts mehr, wie Gewerkschafter immer wieder berichteten. Nun gehen die Trucker in die Offensive. Sie nennen Mazurs Kunden und haben zusammengerechnet, was er ihnen insgesamt schulde: 543.000 Euro.

Die Geschäftsbeziehungen

Am Freitagnachmittag geben die Fahrer an der Raststätte Einblicke in die Geschäftswelt von Mazur und seinen Kunden. Im Moment stünden auf dem Parkplatz Sattelzüge, die mit Waren für Unternehmen wie Audi, Porsche und Red Bull Energy Drink beladen seien, erzählen sie. Auch Bauhaus, Obi und Ikea seien Auftraggeber. Mehrere Lkw, beladen mit Waren von DHL und Intercargo aus Österreich befänden sich in Gräfenhausen. „Die Fahrer fahren für den größten Spediteur der Welt“, sagt der niederländische Edwin Atema auf dem Rastplatz.

Die Geschäftsbeziehungen sind allerdings kompliziert. „Zwischen dem polnischen Transportunternehmen und diesen Namen können sich noch einige andere Transport- und Logistikunternehmen befinden“, erläutert der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB), der die Fahrer bei ihrem Protest unterstützt.Die Auftraggeber könnten Mazur auch erst in zweiter oder dritter Reihe beauftragt haben, sagt Renate Sternatz, stellvertretende Vorsitzende des DGB Hessen-Thüringen. Trotzdem sagt Atema: „Ab heute kann niemand mehr sagen, ,Wir haben es nicht gewusst’, nur noch: ,Es interessiert uns nicht.’“

Unternehmen wie DHL und Red Bull machen ihren Namen gerne öffentlich bekannt, schweigen aber, wenn die Fahrer, die ihre Waren transportiert haben, ausgebeutet werden.

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Edwin Atema Gewerkschafter
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Atema, Sprecher und Vermittler der Fahrer, erzählt, dass einige kleine Unternehmen, deren Waren in Gräfenhausen stehen, sie kontaktieren und die Fahrer um Hilfe bitten würden, um die Situation zu beenden. „Wir können nur antworten: ‚Rufen Sie bitte in Polen an, denn nur Mazur und seine Spedition in Polen hat die Lösung, um die Situation zu beenden’“, sagt Atema, der für die europäische Transportarbeitergewerkschaft arbeitet. Einige dieser Unternehmen würden die Fahrer sogar bezahlen wollen. Aber die großen Unternehmen, die die Macht hätten, etwas zu ändern, meldeten sich nicht, meint er.

An der Raststätte Gräfenhausen machen streikende Fahrer der polnischen Spedition Mazur öffentlich, welche großen Konzerne mit dem polnischen Unternehmen, das seine Fahrer nicht bezahlt, zusammenarbeiten.
Viele der Fahrer harren seit Wochen an der Raststätte Gräfenhausen bei Darmstadt aus.
Ein Plakat im Fenster eines Lkw listet die Konzerne auf, deren Waren von der polnischen Spedition Mazur transportiert werden. Mazur schuldet zahlreichen Fahrern Lohn.
An der Raststätte Gräfenhausen machen streikende Fahrer der polnischen Spedition Mazur öffentlich, welche großen Konzerne mit dem polnischen Unternehmen, das seine Fahrer nicht bezahlt, zusammenarbeiten.
Die Gewerkschafter Edwin Atema und Renate Sternatz erläutern die Forderungen der streikenen Lkw-Fahrer an der Raststätte Gräfenhausen.

Auf Anfrage antwortet ein DHL-Sprecher, dass nach dem Bekanntwerden der Vorwürfe gegen Mazur beim ersten Streik in Gräfenhausen, die Spedition „umgehend“ auf eine Sperrliste gesetzt worden sei. Allerdings habe ein von DHL beauftragtes Transportunternehmen auch danach einen Auftrag weitergegeben an Mazur – und damit gegen DHL-interne Regeln verstoßen. „Wir werden den Fall gründlich intern untersuchen und aufarbeiten und werden zusätzlich die Weitergabe von Aufträgen an Dritte ohne unser Einverständnis sanktionieren“, heißt es.

Die Arbeitsbedingungen

Bei der Pressekonferenz führen drei Fahrer ein Theaterstück auf, um zu zeigen, wie ihr Arbeitgeber sie behandelt. Statt Lohn erhalten sie Strafzahlungen zwischen 2500 und 7500 Euro. „Mazur-Mafia“, rufen die umstehenden Männer.

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Um ihre Situation zu veranschaulichen, vergleicht Atema die streikenden Trucker aus Georgien, Usbekistan, Tadschikistan, der Ukraine und der Türkei mit einem Formel-1-Fahrer. Red Bull und DHL würden viel Geld für das Sponsoring ausgeben. Die Rennfahrer würden viele Millionen im Jahr verdienen, keine Abzüge erhalten, wenn sie einen Unfall verursachen. Die Gräfenhausener Fahrer würden so wenig verdienen, dass sie nicht einmal ihre Familien ernähren können, kein Geld haben, um einen Euro für einen Toilettengang auf einem deutschen Parkplatz auszugeben, sich wie Sklaven behandelt fühlen und für alle unternehmerischen und wirtschaftlichen Risiken bei Mazur Lohnabzüge erhalten. Sie leben monatelang im Führerhaus, ihr Arbeitgeber zahlt nicht den Mindestlohn, erzählt Atema.

Von Missständen im internationalen Fern- und Güterverkehr auf Deutschlands Straßen spricht auch Sternatz. „Es ist ein Skandal, wenn EU-weite Vorschriften und deutsche Gesetze massiv missachtet und die Fahrer systematisch ausgebeutet werden“, meint sie.

Der Frankfurter Europa-Abgeordnete Udo Bullmann (SPD) setzte jüngst Hoffnungen in das europäische Lieferkettengesetz, das weiter greifen soll als das deutsche, das schon in Kraft ist.

Die Verhandlungen zwischen Fahrern und Spedition

Die Verhandlungen zwischen den Fahrern und ihrem Arbeitgeber liefen anfangs gut. Nach ersten Zahlungen an etwa 20 Fahrer kamen immer mehr Kollegen nach Gräfenhausen und schlossen sich dem Streik an. Seit drei Wochen stockten die Verhandlungen. Mazur erstattete zudem eine Anzeige bei der Staatsanwaltschaft Darmstadt gegen die Streikenden. Vorwurf: Erpressung. Dazu hat die Polizei am Mittwoch die Personalien der Fahrer aufgenommen. Diese haben die Möglichkeit, Stellung zu nehmen.

Sehen Sie hier ein Video vom Lkw-Streik an der Raststätte Gräfenhausen

Der Lkw-Fahrer-Streik an der Raststätte Gräfenhausen ist nicht der erste. Bereits im April haben Fahrer derselben Spedition ebenfalls wegen nicht bezahlten Lohn dort fünf Wochen lang einen Arbeitskampf geführt. Laut DGB haben sie Petitionen an DHL und Intercargo geschickt, ihre schlechten Arbeitsbedingungen geschildert, und um Hilfe gebeten. Trotz dieser Petitionen und der kurzzeitigen Festnahme von Mazur im Aprilseien diese Unternehmen weiterhin an der Vermittlung von Transportkontakten zu Mazur beteiligt. Damit würde deutlich, dass diese Unternehmen Gesetzesbrüche in Kauf nehmen und die Anforderungen des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes verletzen. Große Logistikunternehmen der Industrie und die multinationalen Unternehmen würden noch immer nicht gesetzeskonform handeln, so der Vorwurf des DGB. „Das geht zulasten der Fahrer.“

So twitterte „Faire Mobilität“ vor ein paar Tagen: