Al-Wazir: „Alle ziehen mit“

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In Hessens Ministerien herrscht Hochbetrieb. Vor welchen Herausforderungen die Verwaltung in der Corona-Krise steht, erklärt Wirtschaftsminister Al-Wazir.

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WIESBADEN. Hessen ist im Krisenmodus. Wie die Landesverwaltung mit dieser Belastung umgeht, schildert Hessens Wirtschaftsminister Tarek Al-Wazir (Grüne) im Interview.

Herr Minister, Teile der Landesverwaltung, vor allem das Sozialministerium, sind durch die Corona-Krise sehr belastet.

Ja, vor allem das Sozialministerium ist seit dem ersten Rückkehrer-Flug aus Wuhan voll dabei. Die sind Tag und Nacht am Arbeiten.

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Ihr Wirtschaftsministerium ist zuständig für Soforthilfe für Selbstständige, Freiberufler und kleine Betriebe. Müssen auch Ihre Mitarbeiter Überstunden machen?

Große Teile der Verwaltung insgesamt, nicht nur unser Ministerium, sind sehr belastet. Vor fünf Wochen hat der Bund angekündigt, dass es diese Soforthilfen geben wird. In Rekordzeit haben Bundestag, Bundesrat und Landtag die Grundlagen geschaffen und die Länder die Umsetzung organisiert. Alleine in Hessen haben wir jetzt über hunderttausend Anträge. Wir mussten es binnen weniger Tage möglich machen, dass nicht nur die Anträge gestellt, sondern auch die Gelder ausgezahlt werden konnten. Insgesamt sind allein in den Regierungspräsidien über 700 Mitarbeiter mit diesen Verfahren beschäftigt, dazu kommen die IT-Spezialisten von ekom 21 und der Hessischen Zentrale für Datenverarbeitung. Auch in meinem Ministerium und der HTAI, der „Hessen Trade & Invest“, sind 50 Leute unter anderem damit beschäftigt, die Anrufe entgegenzunehmen, die über die Hotline des Landes zu Wirtschaftsfragen eingehen.

Wie viele Anträge sind schon beschieden?

Über die Hälfte.

Sind Betrügereien aufgefallen?

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Einerseits wird gefordert, ganz schnell und ganz unbürokratisch auszuzahlen, andererseits aber natürlich nur an die Richtigen. Das ist ein klassischer Zielkonflikt. Wir helfen, so schnell es geht, aber wir wollen uns auch nicht hereinlegen lassen. Uns wurde von manchen gesagt: Macht es doch wie Nordrhein-Westfalen, da muss man nichts hochladen, das ist einfacher. Inzwischen sehen wir, dass dort Schnelligkeit und Einfachheit dazu geführt haben, dass man leicht betrügen konnte. Deshalb sind wir zwar so schnell wie irgend möglich, aber die Antragsteller müssen auch noch Informationen liefern. Das läuft ganz gut.

Es gab noch keine Beanstandungen?

Bisher nicht. Jeder Antragsteller unterschreibt, dass er bereit ist, seine Unterlagen auch später noch offenzulegen. Natürlich muss man diesen Zuschuss dann auch bei der Steuererklärung angeben. Das heißt: Das Finanzamt schaut sich jeden Einzelnen später nochmals genauer an.

Darf jeder Antragsteller hoffen, Geld zu bekommen, egal ob Friseurladen oder Bordellbetreiber?

Wenn er einen corona-bedingten Liquiditätsengpass hat: Ja. Dann bekommt auch der Bordellbetreiber Soforthilfe, sofern er einen angemeldeten Betrieb und Steuern gezahlt hat. Doch ein Betrieb, der schon im Februar wirtschaftliche Probleme hatte, kann seinen Antrag auf Soforthilfe nicht mit Corona begründen. Den wenigsten Leuten ist klar, welche Arbeit mit der Bearbeitung der Anträge verbunden ist. Wir haben keine Osterpause eingelegt. Zehntausend Anträge wurden von Karfreitag bis Ostermontag geprüft und bewilligt. 300 Leute haben freiwillig weitergearbeitet. Viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Landesverwaltung haben sich bereit erklärt, auch Aufgaben zu übernehmen, die nicht zu ihrem Kerngeschäft gehören. Ich bin dankbar und stolz, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mitziehen.

Sorgen Sie als Wirtschaftsminister dafür, dass Landesbetriebe wie Hessen Mobil jetzt noch besser ausgelastet sind, weil es in Zeiten geringen Verkehrsaufkommens leichter ist, Straßen zu sanieren?

So einfach ist das leider nicht. Die Baufirmen waren ja schon vor der Krise gut ausgelastet und können jetzt nicht einfach von heute auf morgen ihre Einsatzplanung umwerfen, zumal ihre Beschäftigten ja auch von den allgemeinen Beschränkungen betroffen sind. Deshalb sind wir eher damit beschäftigt, Verzögerungen zu verhindern. Bisher gelingt das ganz gut: Das, was geplant ist, wird weiter gemacht: das Wiesbadener Kreuz, die Salzbachtalbrücke bei Wiesbaden, das Mönchhofdreieck.

Wird Kurzarbeit als Mittel der Krisenbewältigung auch in Teilen der Landesverwaltung angewendet, die in Corona-Zeiten nicht ausgelastet sind?

Nein, das machen wir nicht. Leute, die krisenbedingt weniger zu tun haben, werden aber in Bereichen eingesetzt, die krisenbedingt mehr zu tun haben. Hessen Trade & Invest hat derzeit keine Messeauftritte im Ausland zu betreuen. Die Mitarbeiter dort sitzen jetzt an der Hotline und beantworten Fragen.

Gibt es keine Widerstände?

Im Gegenteil: eine hohe Motivation, den betroffenen Firmen zu helfen.

Wie viele Mitarbeiter der Landesverwaltung machen derzeit Home-Office, um eine Ansteckung mit dem Coronavirus zu entgehen?

Viele. Das geht nicht überall. Hessen Mobil kann Streckenkontrollen nicht aus dem Home-Office machen. Die Landesverwaltung verfügt aber über eine ausreichende digitale Infrastruktur, um überall dort Home-Office zu ermöglichen, wo es sinnvoll ist. Am Anfang war es ruckelig, als sehr viele Mitarbeiter gleichzeitig auf das System zugriffen. Das wurde in einer Zahl genutzt, die es vorher so noch nicht gegeben hat. Aber das funktioniert jetzt.

Polizisten und Mitarbeiter der Unikliniken gehören zu den besonders belasteten Mitarbeitern der Landesverwaltung. Gibt es für sie ausreichend Schutzkleidung?

Schutzkleidung ist ein Problem. Die Produktion, die vor allem in China stattfand, ist eingebrochen, gleichzeitig ist der Bedarf weltweit explodiert. Aber was Schutzkleidung für Polizisten, für Krankenhäuser und den Katastrophenschutz betrifft, sind wir dank riesiger Anstrengungen des Sozialministeriums und des Innenministeriums auf einem akzeptablen Niveau angekommen.

Viele Landesbedienstete sind offenkundig flexibel und engagiert. Ist denn auch in Hessen daran gedacht, ihnen – wie in Bayern – eine Prämie zu zahlen?

Vor lauter Arbeit sind wir noch nicht bei der Frage angekommen, wie wir uns bei denen bedanken, die jetzt deutlich mehr leisten. Ich bin mir aber sicher: Wir werden uns bei ihnen in vielfältiger Form bedanken. Wie genau, werden wir zu gegebener Zeit entscheiden.

Extrem betroffen von der Corona-Krise ist der Frankfurter Flughafen. Wie sehe Sie seine Zukunft?

Der Flughafen spielt trotz des Wegfalls fast aller Passagierflüge für die Luftfracht nach wie vor eine wichtige Rolle. Es ist unabdingbar, dass er geöffnet bleibt, auch wenn er gerade kein Geld verdient. Die haben 20 000 Mitarbeiter in Kurzarbeit geschickt, zwei Bahnen geschlossen. Aber der Rest muss weiterlaufen.

Die Kosten laufen auch weiter. Wie lange kann der Flughafenbetreiber Fraport das durchhalten?

Die Fraport hat durchaus gut gefüllte Kassen. Das kann noch eine gewisse Zeit so gehen. Wie 2020 am Ende wirtschaftlich ausfällt, kann derzeit keiner sagen. Doch der Luftverkehr wird sicherlich als Letztes wieder in Richtung Normalität gehen. Die Leute werden bald wieder zum Friseur gehen. Aber ich habe starke Zweifel, dass sie bald wieder in Massen Fernreisen machen. Gleichwohl ist auch der Flughafen Teil der öffentlichen Infrastruktur. Da geht es nicht nur ums Geldverdienen. Auch die Bahn fährt weiter, obwohl sie gerade keinen Gewinn macht.

Das Interview führte Christoph Cuntz.