Sie halten Corona für Propaganda, die Regeln für zu hart. Tausende Menschen demonstrierten am Samstag in Berlin gegen Auflagen. Bis die Polizei einschritt.
BERLIN. Tausende Corona-Leugner, Verschwörungsideologen, rechte Esoteriker und Rechtsextremisten aus dem ganzen Bundesgebiet sind am Samstag durch die Berliner City gezogen. An dem Aufzug beteiligten sich nach Angaben der Polizei in Spitzenzeiten bis zu 20.000 Teilnehmer. Die Veranstalter selbst sprachen von 1,3 Millionen Menschen. Das Motto lautete "Das Ende der Pandemie - Tag der Freiheit". Der Zug ging vom Brandenburger Tor über die Straße Unter den Linden und Leipziger Straße zur Straße des 17. Juni, wo am Nachmittag eine weitere Kundgebung stattfand.
Kaum einer der Demonstranten trug Mund-Nasen-Schutz, die meisten hielten die Abstandsregeln nicht ein. In dem Aufzug waren Flaggen des Deutschen Reiches und Symbole der verschwörungsideologischen QAnon-Bewegung neben Fahnen der Friedensbewegung zu sehen. Aktivisten verteilten das rechte Compact-Magazin, andere Teilnehmer warben für Homöophatie, für die Verteidigung des Grundgesetzes und warnten vor einem Impfzwang. Auf einem Transparent wurde gefordert, Politiker wie Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU), Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU), Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und den Charité-Chefvirologen Christian Drosten "wegzusperren". Menschen mit Mund-Nasen-Schutz und Journalisten wurden wiederholt von Demonstranten angepöbelt.
Das Motto der Demonstration lautete "Das Ende der Pandemie - Tag der Freiheit". Den Titel "Tag der Freiheit" trägt auch ein Propagandafilm der Nazi-Ikone Leni Riefenstahl über den Parteitag der NSDAP 1935.
Während die Polizei bei dem stundenlangen Umzug zunächst nicht eingriff oder laut Beobachtern an vielen Orten auch gar nicht präsent war, wurde die spätere Kundgebung unweit der Siegessäule kurz vor 17 Uhr von der Polizei unter lautstarkem und aggressivem Protest aufgelöst. Zur Begründung hieß es, der Versammlungsleiter könne Abstand und das Tragen von Schutzmasken nicht gewährleisten. Bereits zuvor hatte die Polizei auf Twitter erklärt, "eine Kundgebung ohne Mund-Nasen-Schutz und Abstand werden unsere Kollegen nicht zulassen". Zur Absicherung wurden behelmte Einsatzhundertschaften eingesetzt. Die Lage war aber bis zum frühen Abend unübersichtlich.
Stuttgarter Initiative hatte zu Demo aufgerufen
Nach Angaben einer Polizeisprecherin wurde gegen den Veranstalter des Aufzuges vom Vormittag, einer Privatperson, wegen der nicht eingehaltenen Demonstrationsauflagen ein Ermittlungsverfahren eingeleitet. Veranstalter der anschließenden Kundgebung war die Initiative "Querdenken 711" aus Stuttgart und die Berliner "Kommunikationsstelle Demokratischer Widerstand" (KDW).
Verschiedene Initiativen und linke Gruppe hatten unter dem Motto "Abstand halten gegen rechts" zu Protesten gegen den "rechtsoffenen" Aufzug aufgerufen darunter die "Omas gegen Rechts". An den insgesamt acht Gegenkundgebungen beteiligten sich einige Hundert Menschen. Eine Verharmlosung der Covid-19-Pandemie "ist fahrlässig und hochgefährlich - nicht nur für Risiko-Gruppen, sondern auch für eine solidarische Gesellschaft der Rücksichtnahme", hieß es. Die Polizei war mit etwa 1.500 Beamten im Einsatz. Insgesamt waren nach ihren Angaben über das Wochenende in Berlin 80 Versammlungen zu verschiedenen Anliegen angemeldet.
Unverständnis auch bei Gesundheitsminister
Unverständnis für die Demo gab es von politischer Seite. Die SPD-Vorsitzende Saskia Esken schrieb auf Twitter: "Tausende #Covidioten feiern sich in #Berlin als "die zweite Welle", ohne Abstand, ohne Maske. Sie gefährden damit nicht nur unsere Gesundheit, sie gefährden unsere Erfolge gegen die Pandemie und für die Belebung von Wirtschaft, Bildung und Gesellschaft. Unverantwortlich!"
Brandenburgs CDU-Landtagsfraktionschef Jan Redmann schrieb auf Twitter: "Wieder 1000 Neuinfektionen/Tag und in Berlin wird gegen Coronaauflagen demonstriert? Diesen gefährlichen Blödsinn können wir uns nicht mehr leisten."
Auch Bundesgesundheitsminister Jens Spahn hat das Demonstrationsrecht unterstrichen, zugleich aber harsche Kritik am Protestzug geäußert. "Ja, Demonstrationen müssen auch in Corona-Zeiten möglich sein. Aber nicht so", schrieb der CDU-Politiker am späten Samstagnachmittag auf Twitter.
Von epd und dpa