Die nächste Corona-Welle ist laut Bundesgesundheitsminister Lauterbach nicht mehr aufzuhalten. Eine weitere Verschlimmerung der Lage müsse das aber nicht bedeuten.
BERLIN. Deutschland kann nach Ansicht von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) eine erneute Verschlimmerung der Corona-Pandemie durch die hoch ansteckende Omikron-Variante noch abwenden - auch ohne neuen Lockdown. "Da bin ich zuversichtlich", sagte Lauterbach am Mittwoch in Berlin. Der Präsident des Robert Koch-Instituts (RKI), Lothar Wieler, warnte vor einer Überlastung des Gesundheitssystems und einer Beeinträchtigung kritischer Versorgungsstrukturen, sollte die Omikron-Welle nicht gebremst werden können. Wieler betonte, dass jeder Einzelne gefragt sei, etwa seine Kontakte zu reduzieren.
Lauterbach sagte, die Bund-Länder-Beschlüsse vom Vortag beschleunigten nun zusätzlich das Absinken der Infektionsfälle. "Wir werden einen weiteren Rückgang der Fälle sehen, und wir werden in dieser Zeit die Booster-Kampagne fahren", so Lauterbach. "Somit versuchen wir, eine besonders schwere Omikron-Welle noch abzuwenden."
Wieler: "Noch kein Zeichen für Entspannung"
Ganz grundsätzlich könnten aber keine weiteren staatlichen Beschränkungen ausgeschlossen werden. Eine Absage erteilte Lauterbach zum jetzigen Zeitpunkt aber etwa Forderungen, die epidemische Notlage als Basis für noch weiter reichende Corona-Einschränkungen wieder einzuführen.
Wieler betonte: "In den vergangenen Wochen waren die Fallzahlen rückläufig, aber leider ist das noch kein Zeichen für eine Entspannung." Eine Inzidenz von fast 300 bundesweit sei immer noch zu hoch, viele Kliniken seien am Limit. Durch Omikron sei mit einer Infektionswelle mit noch nicht gesehener Dynamik zu rechnen.
Bund und Länder hatten am Vortag beschlossen, dass spätestens ab 28. Dezember private Zusammenkünfte für Geimpfte und Genese nur noch mit maximal zehn Personen erlaubt sind, Großveranstaltungen wieder vor leeren Rängen stattfinden müssen und Clubs und Diskotheken geschlossen werden. Die Beschlüsse sind die Reaktion auf eine Stellungnahme des neuen Expertenrats der Regierung zu Omikron, der vor einer "explosionsartigen" Verbreitung der Omikron-Variante gewarnt hatte.
Lauterbach von RKI-Empfehlungen "überrascht"
Für Aufsehen hatte gesorgt, dass das RKI noch eine eigene Stellungnahme veröffentlicht hatte. Deutschlands oberste Seuchenbehörde forderte darin auch sofortige Restaurantschließungen und eine Verlängerung der Weihnachtsferien - was die Regierungen von Bund und Ländern aber nicht aufgriffen.
Wieler sagte, er sehe "keinerlei Widerspruch" des RKI-Papiers zu der Vorlage des Expertenrats. Die Bund-Länder-Beschlüsse lobte er als "stringent". Sie würden das Infektionsgeschehen verlangsamen. Um eine Bewertung der Beschlüsse gebeten, erläuterte Wieler zu seiner Rolle als RKI-Chef: "Ob ich zufrieden oder unzufrieden bin, ist völlig irrelevant." Lauterbach bestätigte, er sei von den RKI-Empfehlungen überrascht worden. "Da wird die Abstimmung noch optimiert werden."
Wie stark Omikron derzeit verbreitet ist, ist unklar. In Deutschland seien bisher rund 540 Omikron-Fälle und rund 1850 Verdachtsfälle ans RKI übermittelt worden, sagte Wieler. Diese Daten seien überwiegend ein bis zwei Wochen alt. "Der Trend ist glasklar: Bei einer Verdopplungszeit von etwa drei Tagen könnte die neue Variante in den nächsten ein, zwei, spätestens drei Wochen bereits die Mehrzahl aller Infektionsfälle in unserem Land ausmachen." Über die Feiertage und den Jahreswechsel wird die Infektionslage laut Wieler dabei unvollständig in Meldedaten abgebildet werden. Dies sei etwa durch Urlaube, geschlossene Arztpraxen, weniger Tests und entsprechend auch weniger Erreger-Nachweise zu erklären.
Wieler und Lauterbach appellierten an die Menschen, Weihnachten im kleinen Kreis zu verbringen. "Das Weihnachtsfest soll nicht der Funke sein, der das Omikron-Feuer entfacht", sagte der RKI-Chef. Lauterbach sagte, zwar seien die Weihnachtstage keine besondere epidemische Herausforderung. Besondere Vorsicht sei aber geboten etwa bei Zusammenkünften zum Fest. "Ich rate allen, sich vorher zu testen." Bevorzugt solle man mehrere Test hintereinander machen. "Kleine Gruppen sind besser als große Gruppen", betonte Lauterbach zudem.
Die Auffrischungsimpfungen gegen Corona will Lauterbach auch über Weihnachten und den Jahreswechsel im vollen Tempo vorantreiben. Zusätzlich zu den bis Ende des Jahres angepeilten 30 Millionen Booster-Impfungen seit Mitte November sollen bis Ende Januar 30 Millionen weitere hinzukommen. Damit könne die Ausbreitung des Virus "dramatisch" entschleunigt werden. Für die Zeit zwischen dem 24. Dezember bis zum 9. Januar sollen Ärzte und Apotheker für eine Impfung durchgehend den Feiertagssatz von 36 Euro statt 28 Euro erhalten. Verwendet werden soll vor allem der Moderna-Impfstoff.
Vier Millionen Dosen Novavax bestellt
Zudem soll der Corona-Impfstoff des US-Herstellers Novavax laut Lauterbach Anfang 2022 in Deutschland erhältlich sein. Vier Millionen Dosen seien bestellt und würden bald zur Verfügung gestellt, "soweit das Werk liefern kann", sagte der SPD-Politiker am Mittwoch in Berlin. Gerechnet werde mit einer Lieferung im Januar. Eine spezielle Verteilung innerhalb Deutschlands sei zwar nicht vorgesehen. Er erwarte jedoch größere Nachfrage in einigen Bundesländern wie Sachsen, Sachsen-Anhalt, möglicherweise auch Teilen von Bayern, sagte Lauterbach.
Das Mittel von Novavax ist vor wenigen Tagen als fünfter Corona-Impfstoff in der EU zugelassen worden. Zwei Dosen werden im Abstand von etwa drei Wochen gespritzt. Es handelt sich um einen Proteinimpfstoff - er basiert also auf einer anderen Technologie als die bisher verfügbaren Corona-Präparate. Die Effektivität zum Schutz vor symptomatischen Infektionen wurde von der EU-Arzneimittelbehörde EMA mit rund 90 Prozent angegeben. Unklar ist jedoch, wie gut es um den Schutz vor der neuen Omikron-Variante bestellt ist. Experten wiesen zudem darauf hin, dass man über den neuen Impfstoff noch nicht so viel wisse wie über die Präparate, die bereits länger breit angewendet werden.
Von epd und dpa