Krankenkasse: Höhere Beiträge sind auf Dauer keine Lösung

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Die höheren Beiträge drohen wegen des nächsten erwarteten Milliardenlochs bei den gesetzlichen Krankenkassen.
© Jan Woitas/dpa

Die gesetzlichen Krankenversicherungen erwarten 2024 wieder ein Defizit. Der Vorstand der IKK Südwest erläutert, wie Beitragszahler dennoch spürbar entlastet werden könnten.

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Herr Professor Dr. Loth für das nächste Jahr erwarten die Kassen ein Minus von 3,5 bis sieben Milliarden Euro. Woher kommt dieses Defizit? 

Wir haben ein stetiges Problem, was die Finanzierung der GKV angeht. Es gibt Studien, die für die Jahre ab 2025 ein Defizit von über 25 Milliarden Euro prognostizieren. Ich glaube, diese Entwicklung muss man sehr ernst nehmen, weil die Ausgaben in der gesetzlichen Krankenversicherung stärker steigen als die Einnahmen. 

Woran liegt das?

Zum einen liegt es am demografischen Wandel: Es werden immer weniger Menschen abhängig beschäftigt sein und in die Solidarsysteme einzahlen. Zukünftig werden Maschinen und Künstliche Intelligenz die Arbeit verrichten, für die heute noch Menschen im Einsatz sind. Auch werden die Menschen immer älter und behandlungsbedürftiger. 

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Letztes Jahr haben sich die Einnahmen und Ausgaben aber ungefähr die Waage gehalten.

Da darf man sich nicht täuschen lassen. Wir hatten im letzten Jahr einen Überschuss von 385 Millionen Euro. Ausschlaggebend dafür war ein Bundeszuschuss in Höhe von 14 Milliarden Euro, den der Bund für das kommende Jahr nicht zur Verfügung stellt. Wir müssen im Herbst eines jeden Jahres planen, wie viele Ausgaben und Einnahmen wir fürs Folgejahr erwarten. Und dann wird der Zusatzbeitragssatz, den jede Kasse individuell erhebt, entsprechend angepasst, damit die Ausgaben gedeckt werden können. Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass das eine halbwegs gute Punktladung geworden ist. Das heißt aber auch: Mit jedem Zehntel Zusatzbeitragssatz, den wir erhöhen müssen – und das macht keine Kasse gerne – wird der Versicherte und der Arbeitgeber belastet, weil er die Beiträge hälftig trägt. Deshalb sagen wir, es ist keine Lösung, jedes Jahr die Zusatzbeitragssätze zu erhöhen und die Versicherten, die Arbeitgeber und damit auch die Wirtschaft zu belasten. 

Was schlagen Sie vor?

Wir müssen zunächst schauen, wo wir Effizienzen im System haben, die es zu betrachten gilt. Beispielsweise hat die Bertelsmann-Studie schon vor Jahren gesagt, dass mehrere zehntausend Röntgen- oder CT-Untersuchungen zumindest fragwürdig sind. Das ist ein Volumen von bis zu 100 Millionen Euro. Dann ist das Thema Blutdruck- oder Cholesterinsenker mit ein paar Fragezeichen versehen: Ob das in der Intensität notwendig ist? Die Ersatzkassen haben in einer Studie herausgefunden, dass 87 Prozent der Rücken-OPs zumindest fragwürdig sind. Die Kollegen der DAK sagen, jede zehnte Kniearthrose-OP und ein damit einhergehender Gelenkersatz könnte zumindest aufgeschoben werden – im Sinne der Patientensicherheit. Denn wenn ich bereits mit 70 die erste OP habe, ist davon auszugehen, dass es vermutlich im hohen Alter noch eine zweite OP geben wird. 

Es gibt aber noch weitere Punkte auf der Ausgabenseite …

In den letzten Jahren wurden zahlreiche Gesetze erlassen, die mit Mehrkosten von bis zu acht Milliarden Euro pro Jahr zu Buche schlagen: zum Beispiel das Pflegepersonalstärkungsgesetz und das Terminservice-Gesetz. Und davon spürt der Versicherte nicht unmittelbar etwas. Natürlich ist es wichtig, dass auch eine Krankenhausstation ordentlich besetzt ist und dass der Personalschlüssel dort passt – gar keine Frage. Aber man muss mit Blick auf die Ausgabenseite auch sehen, dass hier Gesetze erlassen wurden, die ein Preisschild haben und für die die Beitragszahler am Ende des Tages aufkommen. Und zum Thema Arzneimittel: Auf der einen Seite ist es ein Segen, dass es hier eine Weiterentwicklung, dass es Forschung gibt. Auf der anderen Seite müssen wir zur Kenntnis nehmen, dass diese Arzneimittel auch mit erheblichen Mehrkosten einhergehen. 

Auch das Thema Mehrwertsteuer wird immer wieder diskutiert.

Das haben wir schon so häufig angeprangert: Warum zahlen wir in Deutschland für Arzneimittel 19 Prozent Mehrwertsteuer, während in anderen Ländern, beispielsweise Schweden, gar keine Mehrwertsteuer auf Arznei erhoben wird. Die Franzosen zahlen nur 2,1 Prozent. Wenn man die Mehrwertsteuer auf sieben Prozent senken würde, haben wir ein Einsparvolumen von rund acht Milliarden Euro. Damit hätten wir das Defizit des Jahres 2024 ausgeglichen, ohne dass wir die Versicherten damit belasten müssten.

Die Kassen kritisieren auch, dass sie Leistungen für Bürgergeldempfänger finanzieren müssen.

Das ist echt ärgerlich, denn wir erbringen diese Leistung im Auftrag des Staates. Das mindeste, was man erwarten kann, ist, dass die Aufwendungen, die man für den anderen treuhänderisch übernimmt, auch erstattet werden. Wir bekommen für einen Bürgergeldempfänger im Schnitt 110 Euro im Monat, wir benötigen zur Kostendeckung aber 270 Euro. Das heißt, wir haben jeden Monat eine Differenz von 160 Euro pro Bürgergeldempfänger. Und wer schultert das? Die Solidargemeinschaft! 

Weiteres Stichwort: Investitionskosten. 

Für die Investitionskosten im Krankenhaus sind die Bundesländer zuständig – zum Beispiel für die Beschaffung von Geräten, die Ausstattung der Krankenzimmer, den Anstrich oder eine wärmedämmende Fassade. Die Bundesländer erbringen allerdings diese Investitionskosten maximal zu einem Bruchteil dessen, was sie leisten müssen. Was ist die Folge? Die Klinik muss mehr Menge, sprich Behandlungen, durchführen, um den Betrieb am Laufen zu halten, diese Investitionen stemmen zu können. Das bietet einen Anreiz zur Überversorgung, und so schließt sich dieser Teufelskreis, den wir eben sozusagen geöffnet haben – mit teils verheerenden gesundheitlichen Folgen für die Patienten. 

Und wie wollen Sie die Einnahmebasis verbreitern?

Die Kassen haben zur Versorgung und Bekämpfung von Zivilisationskrankheiten, wie Adipositas, Diabetes mellitus Typ II und Herz-Kreislauf-Erkrankungen, die durch Alkohol und Nikotin zumindest begünstigt werden, jedes Jahr einen großen Aufwand zu schultern. Deshalb ist unser Vorschlag, dass die gesetzlichen Krankenversicherungen ganz ziel- und zweckgerichtet an den Einnahmen des Staates aus den Genusssteuern beteiligt werden – also aus Alkohol-, Bier-, Schaumwein-Spirituosensteuer. Wenn die Bundesregierung 50 Prozent dieser Genusssteuern der gesetzlichen Krankenversicherung zuführt, sind das im Jahr acht Milliarden Euro, die dem System zusätzlich an Einnahmen zukämen und wir hätten an der Stelle dann auch eine gewisse Lenkungsfunktion: Sie würden dort verausgabt, wo die Ursache der Leistung ist. 

Aber ist es nicht letztlich egal, aus welchem Topf des Bundes die Mittel kommen? 

Wir wissen, dass Steuern grundsätzlich nicht zweckgebunden sind. Natürlich könnte man auch sagen, dass der Bundeszuschuss erhöht wird. Das diskutieren wir jedes Jahr aufs Neue – mit allen Problemen mit Blick auf die Verlässlichkeit und die Planungssicherheit. Gerade bei der Heranziehung von Genusssteuern gibt es zu den Zivilisationskrankheiten einen unmittelbaren Begründungszusammenhang: Zivilisationserkrankungen mit ihren oft schweren Folgeerkrankungen verursachen einen großen Teil der Kosten. Und die Einnahmen, die der Staat daraus erzielt, dass die Menschen ungesund leben, dass sie rauchen, dass sie trinken, diese Steuern könnte man zweckgebunden dem Gesundheitssystem zur Verfügung stellen. Denn diese Erkrankungen verursachen immer mehr Kosten, weil auch immer mehr jüngere Menschen davon betroffen sind.