Gastbeitrag: Warum sich ein Zivildienst wieder lohnen würde

Friedrich Küppersbusch Foto: dpa
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Unser Gastautor Friedrich Küppersbusch hat in seinem Zivildienst einiges gelernt. Und erklärt, warum und wo überall die „Zivis“ heute fehlen. Ein Plädoyer.

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. Wenn Sie einem Rollifahrer helfen wollen – und er das wünscht! – packen Sie die Handgriffe, kippen den Rolli auf die Hinterräder und überwinden so Bordstein oder Treppe. Möchte er in einen bequemen Sessel wechseln und bittet um Hilfe, greifen Sie unter seinen Achseln durch, umgreifen seinen quer gelegten Unterarm und so haben Sie den besten Hebel, ihn hochzuheben. Wissen Sie Bescheid. Von meinem „Großen Latinum“ habe ich deutlich weniger behalten, mein Zivildienst hat sich gelohnt.

In Deutschland fehlen heute hundert, zweihundert, – eine Bertelsmann-Studie sagt: bald 300.000 Pflegekräfte. Der Job fängt bei 1700 Euro Tarif an und mit abgeschlossener Berufsausbildung bei 2150 Euro. Zahlen, die sich eher sperrig vom Balkon singen lassen. Da ist auch die Tariferhöhung von 2019 schon drin. Nun entflammt eine krude Mischung aus Rührung, Begeisterung und schlechtem Gewissen gegenüber dem Lumpenproletariat des Gesundheitswesens. Bis zu 1500 Euro Bonus winkt die Bundesregierung jetzt durch, Härtezuschlag.

„Ersatzdienst im Vorbeirempeln abgeräumt“

Das sind Profis, keine zwangsverpflichteten Jungs frisch von der Schulbank. „Kriegsdienstverweigerer“, wie sie nach dem Grundgesetz heißen, hatten ihre moralischen Gründe, viel guten Willen und meist keine Ahnung. In starken Jahrgängen wurden über 100.000 auf Fahrdienst, Altenheim, Jugendherberge und Krankenhaus gestreut. Gesetzliche Vorgabe: Kein Zivi durfte einen Arbeitsplatz ersetzen. Lange wurden sie als „Drückeberger“ verspottet, in der DDR als „Bausoldaten“ schikaniert. Im Westen war der Zivildienst länger als die Wehrpflicht, in der Spitze mal 20 Monate. Viele Jungs landeten in Jobs, in die vor ihnen kein Mann einen Fuß gesetzt hatte: „Krankenschwester“, „Kindergärtnerin“. Wo heute auch Männer pflegen, kümmern, helfen – wirkt der „Klebe-Effekt“ des Zivildienstes nach.

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2011 setzte ein übel beleumundeter Urkundenfälscher die Wehrpflicht aus. Verteidigungsminister Guttenberg vollstreckte den Wunsch der Militärs nach Profis. Denn der Amateur, der „Bürger in Uniform“, mault rum, läuft im Ernstfall weg und belohnt viel Ausbildung mit wenig Dienstzeit. Im Vorbeirempeln räumte die Politik auch den „Ersatzdienst“ ab. Eine Erfolgsgeschichte, die 2,5 Millionen junge Menschen einmal im Leben gründlich mit frischem Gemeinwohl abgeduscht hatte. Und ein für die deutsche Geschichte sehr irritierendes Denkmal. Vorbei.

2018 überraschte eine CDU-Generalsekretärin mit dem Vorschlag, ein „Soziales Pflichtjahr“ einzuführen. Zur Strafe musste AKK bald drauf Verteidigungsministerin werden. In der Union ist die Wehrpflicht unvergessen, das mag ein konservatives Moment sein: „Hat mir auch nicht geschadet, mein Junge.“ Kramp-Karrenbauers Vorschlag galt Jungs und Mädchen, sollte obligat sein – und war unmöglich. Denn die Verfassung verbietet jeden anderen Zwangsdienst. Man hätte die Wehrpflicht wieder einführen müssen, um als Beifang Friedensdienst zu ernten. Die Jahrgänge der Volljährigkeit sind an die 700.000 Menschen stark – selbst der Pflegesektor wüsste nicht, wohin mit allen.

Klebe-Effekt : Viele blieben in einem solchen Job hängen

Der würde sich auch bedanken. Statt mehr Lohn nun auch noch Stümper ausbilden, die der Ärztin im Weg rumstehen oder Kranke unsachgemäß behandeln. Doch da ist Formularkram, Fahrdienst, Essen bringen, da sind uferlose Aufgaben im sozialen, pflegerischen und auch Umweltsektor. Da ist der Klebe-Effekt : Viele blieben in einem solchen Job hängen. Da ist der gesellschaftliche Effekt: Respekt für die Profis der kleinen, alltäglichen Menschlichkeit. Von der Armee sprach man gern als „Schule der Nation“, und wie eine so geschulte Nation dann aussieht, kann man in der jüngeren deutschen Geschichte eindrucksvoll besichtigen. Der andere Weg ins Erwachsensein wäre also auch eine andere Schule.

Keine falsche Schwärmerei: Ich habe im Zivildienst vor allem gelernt, dass guter Wille und schlechte Ausbildung nur ein Anfang sind. Dass man am besten an der Stelle hilft, wo man es auch einigermaßen drauf hat. Und doch auch, dass eine Gesellschaft mehr ist als ein Supermarkt, wo man grapscht, zahlt und den anderen vom Regal rempelt.

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Von Friedrich Küppersbusch