Durfte Jan Böhmermann die NSU-Akten veröffentlichen?

Geheime Akten für jeden zugänglich im Netz: Unsere Montage zeigt Jan Böhmermann und das Deckblatt der „NSU-Akten“, wie es von dem TV-Journalistien und der Internetplattform „Frag den Staat“ am Freitag veröffentlicht wurde.
© dpa/Ralf Hirschberger, Christophe Gateau, Montage: VRM/kl

Der Mainzer Journalistik-Professor Tanjev Schultz nimmt den TV-Entertainer im Interview gegen Kritik in Schutz. Die NSU-Akten dokumentieren das Versagen des Verfassungsschutzes.

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Herr Professor Schultz, haben Sie in den sogenannten „NSU-Akten“, die seit dem Wochenende im Internet stehen, schon gelesen?

Ja. Manches ist für mich im Detail interessant, einiges kannte ich schon.

Was ist für Sie interessant?

Es gibt alle möglichen Hinweise, die für den NSU selbst nicht relevant sind, aber einen Einblick geben in die damalige Arbeit des Verfassungsschutzes und in die Größe und die Aktivitäten der rechtsextremen Szene in Hessen.

Ist das Dokument ein weiterer Beleg dafür, dass der hessische Verfassungsschutz mindestens bis 2011 komplett überfordert war mit der Aufgabe, die rechte Szene effektiv zu überwachen?

Ja. Es mag die Hessen beruhigen, muss uns alle aber absolut beunruhigen: Dieser desaströse Zustand des Verfassungsschutzes war keineswegs eine hessische Besonderheit, sondern zieht sich durch sämtliche Behörden, soweit wir das in der NSU-Aufarbeitung gesehen haben. Überall sind ähnliche strukturelle Probleme aufgetaucht.

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Welche Probleme sind das konkret?

Das betrifft erstens den teilweise chaotischen Umgang mit Akten, vor allem in der sogenannten Beschaffung, bei der man mit vertraulichen Quellen zu tun hat. Zweitens die völlig unzureichende Auswertung und Bearbeitung von teilweise vielleicht brisanten Informationen.

Haben Sie eine Erklärung dafür? Warum ist das vorher Niemandem aufgefallen?

Auf der politischen Ebene muss man sagen, dass der Rechtsextremismus über Jahrzehnte unterschätzt oder verharmlost worden ist und deshalb auch der politische Druck nicht da war. In den Ämtern gab es wohl die Illusion, man habe dank der vielen Spitzel in der Szene alles unter Kontrolle. Mit dem gewonnenen Material ist man aber nicht sorgsam umgegangen. Außerdem sind die Geheimdienste bürokratische Apparate, die sich einer Kontrolle gerne entziehen. Die Ämter folgen ihrer eigenen Logik und ihren eigenen Interessen – und ihrer eigenen Schlamperei.

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Es gibt parlamentarische Kontrollgremien.

Die sind nach den Erfahrungen mit dem NSU zwar ein bisschen gestärkt worden, aber nicht in dem Maße, dass sie rechtzeitig in all die geheimen Dinge Einblick haben.

Zurück zu den hessischen Akten. Sie zeigen, dass offenbar keine Bezüge zum NSU hergestellt werden konnten. Sie zeigen aber auch, wie sehr es in der damaligen rechten Szene um Waffen, Sprengstoff, Schießtrainings und Umsturzfantasien ging. Und man gewinnt den Eindruck, dass sich der Verfassungsschutz aufs Beobachten beschränkte.

Das passt ins Bild. Wir haben schon vorher häufig den Eindruck gewonnen, dass solche Erkenntnisse nicht in einer Gesamtschau ausgewertet werden und auch nicht vernünftig mit Polizeibehörden zur Strafverfolgung zusammengearbeitet wird. Der Verfassungsschutz sitzt auf einem Berg von Material und Erkenntnissen, aber damit passiert nicht viel. Im Nachhinein ist man dann entsetzt, was man eigentlich schon alles wusste. Dazu passt der Fall Stephan Ernst, des späteren Mörders des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke. Ernst war als militanter Rechtsextremist aufgefallen, aber man hat ihn wieder aus dem Auge verloren.

Tanjev Schultz ist Journalistik-Professor in Mainz.
Tanjev Schultz ist Journalistik-Professor in Mainz.
© JS Mainz

In Ihrem Buch zum NSU zitieren Sie aus einem alten BKA-Bericht, der die Arbeit des Verfassungsschutzes mit V-Leuten grundsätzlich kritisiert und von einem „Brandstiftereffekt“ spricht: Die Szene werde nicht geschwächt, sondern im Gegenteil gestärkt – mit Geld und Schutz vor Fahndung.

Der hessische Bericht bestätigt das: Es gab sehr viele V-Leute, die alles Mögliche berichtet, aber auch munter weiter in der Szene agiert haben, mit Steuergeld versorgt. Das bedeutet letztlich, dass wir Bürgerinnen und Bürger gefährliche Neonazis finanzieren, damit sie uns Informationen liefern, mit denen dann niemand etwas anfängt. Das ist eine verheerende Erkenntnis, vor allem auch für die Angehörigen von Opfern rechter Gewalt.

Was muss sich beim Verfassungsschutz ändern, damit er wirklich funktioniert?

Manche sagen, das geht gar nicht, man muss ihn abschaffen. Darüber kann man diskutieren, aber was wäre dann der Ersatz? In irgendeiner Form muss der Staat militante Verfassungsfeinde beobachten und auch bekämpfen. Auf jeden Fall müssen die Kontrollmechanismen weiter verstärkt werden. Man sollte darüber nachdenken, das V-Leute-System massiv einzuschränken und Evaluationspflichten einziehen. Man muss die heutigen Geheimhaltungsexzesse reformieren. Die Art und Weise, wie die Behörden ihre eigenen Arbeitsweisen unter Verschluss halten, kann so nicht bleiben; hier wären zum Beispiel externe Beiräte denkbar.

Warum hat die hessische Landesregierung dieses Dokument so lange unter Verschluss halten wollen? So brisant ist der Inhalt ja gar nicht.

Eine sehr berechtigte Frage. Ich würde sagen: erstmal aus Prinzip. Die Sicherheitsbehörden sind extrem unglücklich darüber, was im Zuge der NSU-Aufklärung schon alles ans Licht gekommen ist, etwa über die Art, wie sie arbeiten. Vieles davon hat die Dienste sehr schlecht aussehen lassen, das hat die Politik teilweise sehr offenherzig eingeräumt. Vielleicht wollte man verhindern, dass die Defizite in dieser Drastik erneut nachzulesen sind.

Das Landesamt selbst argumentiert, dass die Art der Arbeit und die Beteiligten durch Geheimhaltung geschützt werden müssten, damit die Verfassungsfeinde nicht zu viel wissen.

Ich kann die Gefährdung in diesem Fall nicht erkennen, zumal das Team Böhmermann in dem Dokument viele Schwärzungen vorgenommen oder dringelassen hat.

Die Warnung, das Staatswohl sei gefährdet, wenn zu viel an die Öffentlichkeit dringt, lassen Sie nicht gelten?

Das Staatswohl ist auch dann und noch viel mehr gefährdet, wenn das Vertrauen in diese Sicherheitsbehörden immer weiter absinkt und wenn die Aufklärung in solchen schlimmen Fällen wie beim NSU blockiert wird. Eines muss man allerdings auch sagen: Wenn man Geheimdienste hat, dann ist klar, dass die nicht alles veröffentlichen wollen, was sie haben. Das liegt in der Natur der Sache. Natürlich gibt es sensible Informationen und Vertraulichkeitszusagen. Im Journalismus kennen wir das auch: Wenn wir einer Person Quellenschutz zusichern, dann gehen wir davon aus, dass wir diese Vertraulichkeit, wenn es hart auf hart kommt, auch vor Gericht nicht brechen.

War es journalistisches Gebot, die Akten komplett zu veröffentlichen?

Ein Gebot sicher nicht. Aber es war hilfreich für die Diskussion, in der das Misstrauen auf allen Seiten groß ist, um nun Transparenz zu schaffen. Gerade diese Akte aus Hessen hat seit Jahren alle möglichen Ideen befeuert, was da drinstehen könnte. Insofern ist das Leak vom öffentlichen Interesse klar gedeckt, außerdem wurde offensichtlich sauber gearbeitet. Trotzdem muss man aufpassen. Wir sollten nicht in den Zustand geraten, dass der Journalismus sozusagen alles raushaut, was er in die Finger bekommt. Er muss sehr sorgfältig abwägen und auf Persönlichkeitsrechte Rücksicht nehmen.

Auffällig ist, wer diese Dokumente veröffentlicht hat – kein klassisches Investigativ-Medium wie der „Spiegel“ oder die „Süddeutsche Zeitung“, sondern ein TV-Entertainer. Wie bewerten Sie die Rolle Böhmermanns? Steht er für einen neuen Stil des investigativen Journalismus?

Ich glaube schon. Böhmermann ist nicht der einzige, auch die Satiresendung „Die Anstalt“ geht manchmal in diese Richtung. Oder Portale wie BuzzFeed und T-Online. Der Vorteil im Sinne der Aufklärung ist, dass Böhmermann durch seine Showelemente eine viel größere Wucht hat als eine nüchterne Publikation in einer Zeitschrift. Auch werden andere Zielgruppen, viele jüngere Menschen erreicht. Da stecken große Chancen drin.

Sehen Sie auch Gefahren?

Durchaus. Das Amalgam aus Entertainment, Satire und ernsthafter Information kann beim Publikum falsche Eindrücke hinterlassen, das Thema trivialisiert werden. Man kann solche Formate auch für Populismus instrumentalisieren. Das ist hier aber nicht passiert. Böhmermann hat in seiner Sendung das Leak faktentreu und einordnend gerahmt. Und er hat es nicht größer gemacht, als es ist.