Das große Werben um FDP und Grüne hat begonnen

aus Bundestagswahl 2021

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Während Scholz und Laschet weiter im Rennen um das Kanzleramt sind, bereiten sich die Parteien auf Koalitionsberatungen vor. Eine Ampelkoalition, vertreten durch die Parteien auf dem Foto, ist im Gespräch. Foto: Michael Teager
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Sowohl SPD als auch Union halten am Tag nach der Bundestagswahl an dem Anspruch fest, die künftige Regierung anzuführen. Die SPD will mit sechs Spitzenpolitikern in die...

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BERLIN . Unmittelbar nach der Bundestagswahl mit dem Unionsdebakel und einem großen SPD-Erfolg hat das Tauziehen um die Bildung der nächsten Bundesregierung begonnen. Trotz des historisch schlechten Ergebnisses der Union warb der CDU-Vorsitzende Armin Laschet am Montag für eine Jamaika-Koalition mit Grünen und FDP. Beide Parteien werden auch von der SPD für die Bildung einer Ampel-Koalition umworben. SPD, Grüne und FDP seien gestärkt, sagte Kanzlerkandidat Olaf Scholz mit Blick auf die Zugewinne aller drei Parteien. Scholz, dessen Partei nach dem vorläufigen Ergebnis als stärkste Kraft aus der Wahl hervorgegangen ist, bekräftigte am Montag erneut den Anspruch der SPD auf die Führung der kommenden Bundesregierung.

Die SPD will mit sechs Spitzenpolitikern aus Bund und Ländern in die Sondierungsgespräche mit Grünen und FDP nach der Bundestagswahl gehen. Wie die Deutsche Presse-Agentur am Montag aus einer Parteivorstandssitzung erfuhr, sollen neben Kanzlerkandidat Olaf Scholz nicht nur die Parteichefs Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans am Verhandlungstisch sitzen. Mitsondieren werden auch Generalsekretär Lars Klingbeil, Fraktionschef Rolf Mützenich und die Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz, Malu Dreyer.

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Nach dem Auszählungsergebnis aller Wahlkreise landet die SPD mit 25,7 Prozent der Stimmen auf Platz eins, die Union erhebt trotz einer historischen Niederlage ebenfalls weiterhin den Anspruch, die kommende Regierung anzuführen.

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Grüne und FDP, die jeweils als dritt- und viertstärkste Kraft aus der Bundestagswahl am Sonntag hervorgegangen sind, wollen zunächst bilateral beraten. Die Parteiführung der FDP habe beschlossen, "Vorsondierungen" mit den Grünen aufzunehmen, sagte der Vorsitzende Christian Lindner am Montag in Berlin nach den Beratungen von Bundesvorstand und Präsidium.

"Zwischen Grünen und FDP gibt es die größten inhaltlichen Unterschiede bei den Parteien des demokratischen Zentrums, die jetzt über eine Regierungsbildung miteinander sprechen könnten", erläuterte er. "Deshalb macht es Sinn, angesichts dieser bisweilen bestehenden Polarisierung den gemeinsamen Grund zu suchen." Nach diesen Gesprächen mit den Grünen sei die FDP offen, "Einladungen von CDU/CSU oder SPD anzunehmen, wenn sie denn kommen.

Grünen-Vorsitzender Robert Habeck wies darauf hin, dass die SPD als stärkste Kraft eher dazu berechtigt sei, zuerst zu Sondierungen einzuladen. "Das hat der Souverän so gemacht, und das muss man auch ernst nehmen", sagte er in Berlin.

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Die Wahlergebnisse

Nach dem vorläufigen Ergebnis verbessert sich die SPD auf 25,7 Prozent (2017: 20,5 Prozent). Die CDU/CSU fällt auf 24,1 Prozent (32,9). Die Grünen klettern mit Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock auf 14,8 Prozent (8,9). Die FDP legt auf 11,5 Prozent (10,7) zu. Die AfD, bisher drittstärkste Kraft, kommt auf 10,3 Prozent (12,6), wird aber in Thüringen und Sachsen stärkste Kraft. Die Linke rutscht auf 4,9 Prozent ab (9,2). Da sie aber drei ihrer zuletzt fünf Direktmandate verteidigt, kann sie laut Grundmandatsklausel trotzdem entsprechend ihres Zweitstimmenergebnisses im Bundestag bleiben.

Die Sitzplatzverteilung im Bundestag

Die Mehrheitsverhältnisse im Bundestag ändern sich damit erheblich. Die Sitzverteilung sieht so aus: SPD 206 (2017: 153), CDU/CSU 196 (2017: 246), Grüne 118 (67), FDP 92 (80), AfD 83 (94), Linke 39 (69). Der Südschleswigsche Wählerverband, als Partei der dänischen Minderheit von der Fünf-Prozent-Hürde befreit, zieht mit einem Abgeordneten in den Bundestag ein. Die Wahlbeteiligung lag mit 76,6 Prozent auf dem Niveau der vergangenen Wahl (76,2). Die Wählerinnen und Wähler hätten mit ihrem Votum drei Parteien gestärkt, sagte Scholz mit Blick auf SPD, Grüne und FDP. Dies sei ein "sichtbarer Auftrag" für eine Regierung. Die Union hingegen solle nicht mehr regieren.

Unionskanzlerkandidat Laschet unterstrich am Montag in Beratungen der engsten CDU-Führungsspitze seine Bereitschaft, Verhandlungen über eine von ihm geführte Bundesregierung zu führen. Nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur in Berlin stellte der CDU-Chef im Präsidium seiner Partei klar, niemand habe am Sonntagabend von einem Regierungsauftrag für die Union gesprochen.

Erste Bilanzen der Parteien

CSU-Chef Markus Söder betonte, dass die Union keinen zwingenden Anspruch auf die Regierungsführung erheben könne. Die Union sei auf Platz zwei und nicht eins gelandet, es gebe daraus keinen Anspruch auf die Regierungsführung - allerdings ein Angebot für Gespräche, sagte Söder nach Teilnehmerangaben am Montag in einer CSU-Vorstandssitzung in München. Ein solches Angebot mache man - aber es werde kein "Anbiedern um jeden Preis" bei Grünen und FDP geben, stellte er klar.

Annalena Baerbock, Kanzlerkandidatin und Bundesvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen, und Robert Habeck, Bundesvorsitzender, kommen bei der Wahlparty von Bündnis 90/Die Grünen auf die Bühne. Foto: dpa
Annalena Baerbock, Kanzlerkandidatin und Bundesvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen, und Robert Habeck, Bundesvorsitzender, kommen bei der Wahlparty von Bündnis 90/Die Grünen auf die Bühne.
© dpa

Grünen-Chef Robert Habeck bekräftigte, dass er wie FDP-Chef Christian Lindner Vorab-Gespräche der beiden Parteien mit Blick auf eine mögliche Regierungsbildung für sinnvoll hält. Aus seiner Erfahrung mache es Sinn, "dass die Parteien, die erstmal am weitesten voneinander entfernt sind, (...) dass die mal schauen, ob die das zusammen hinkriegen", sagte Habeck am Montag bei NDR Info. Das seien nun mal FDP und Grüne - "wir sind in sozial-, steuer-, finanzpolitischen Fragen wirklich konträr". Im Deutschlandfunk sagte Habeck, der Kurs der Grünen hänge jetzt in erster Linie von den Inhalten ab. SPD-Kandidat Olaf Scholz habe einen "deutlichen Vertrauensvorschuss der Menschen" bekommen.

"Kompromisse schließen"

Die Lage sei aber komplizierter, betonte Habeck: "Eine Ampel ist nicht Rot-Grün, sondern ein Bündnis, das nach eigenen, völlig anderen Regeln funktioniert." FDP-Generalsekretär Volker Wissing signalisierte in der Koalitionsfrage Kompromissbereitschaft. "Wenn man Vorschläge für richtig hält und man kann sie nicht sofort vollständig umsetzen, muss man es schrittweise machen", sagte Wissing am Montag nach der Bundestagswahl im ARD-"Morgenmagazin".

Die Menschen im Land hätten den Parteien mit ihrem Votum aufgetragen, Kompromisse zu schließen. "Die Menschen wollen keinen Klimaschutz zulasten des Wohlstands. Und die Menschen wollen auch keinen Wohlstand zulasten von Natur und Umwelt. Und deswegen müssen wir diese Dinge zusammenbringen", sagte der FDP-Politiker. Die AfD äußerte sich am Tag nach der Wahl trotz leichter Verluste insgesamt zufrieden mit dem Abschneiden bei der Wahl. Große Enttäuschung gab es hingegen bei der Linken, die nach dem vorläufigen Ergebnis die Fünf-Prozent-Hürde verpasst hat: "Wir haben deutlich verloren. Das kann man nicht beschönigen, das ist kein gutes Ergebnis gewesen", sagte die Fraktionsvorsitzende Amira Mohamed Ali am Montag im Deutschlandfunk.

Von dpa