Noch gibt es in Deutschland Gaslaternen. Aber nicht mehr lange. Allein in der Hauptstadt stehen rund 100 unterschiedliche Modelle, darunter eine Lampe aus der hessischen Kurstadt.
Gaslaternen im London des 19. Jahrhunderts und im Berliner Tiergarten der Gegenwart. Vor dem Kurhaus in Baden-Baden wird das Licht per Hand entzündet.
(Fotos: dpa)
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Es war im Jahr 1807: Da erleuchtete zum ersten Mal eine Gaslaterne eine Straße. Und zwar die ehrwürdige Pall Mall in der City of Westminster in London. Dies war einem Mann namens Friedrich Albrecht Winzer zu verdanken. Der Erfinder der Gasbeleuchtung war allerdings ein Schotte namens William Murdoch. Er erfand die Gasbeleuchtung im Jahr 1792. Nicht viel später wurde die erste Gasgesellschaft gegründet, und bald darauf trat die Gaslaterne ihren Siegeszug durch die zivilisierte Welt an. In Deutschland leuchteten die ersten Gaslaternen am Straßenrand in Dresden, und zwar am Schlossplatz, an der Hofkirche und am Platz zwischen Zwinger und Kathedrale. Diese Laternen mussten damals von Hand entzündet werden, und so entstand ein neuer Beruf: der Laternenanzünder. Jeden Abend zog er mit einer langen Zündstange durch die Straßen und entzündete jede Straßenleuchte einzeln. Die Lichtausbeute war relativ gering, erst nach 1850 kam der Glühstrumpf zum Einsatz, der das Licht heller machte. In Breslau kann man einen Laternenanzünder noch heute jeden Abend bei seiner Arbeit beobachten: Auf der Dominsel werden die historischen Gaslaternen von einem Mann im schwarzen Talar, zur Freude der Touristen, angezündet.
Ein Pfund, mit dem die Stadt wuchern könnte
Das alte Berlin – zumindest vom Ambiente her – aufleben zu lassen, dafür wird in der Hauptstadt zurzeit viel Geld ausgegeben. 595 Millionen Euro soll der umstrittene Wiederaufbau des Berliner Stadtschlosses kosten. Während für derartige Bauten genug Geld vorhanden zu sein scheint, ist für die historische Berliner Straßenbeleuchtung kein Cent mehr übrig. Dabei sind die alten Berliner Gaslaternen, die in Verbindung mit Kopfsteinpflaster das alte Berlin wie kaum an einer anderen Stelle verkörpern, ein Pfund, mit dem die Stadt wuchern könnte. „Aktuell gibt es in Berlin noch 31 300 Gaslaternen, übrigens mehr als die Hälfte aller weltweit noch funktionierenden Gaslaternen“, sagt Bertold Kujath vom Verein zur Förderung des Kulturgutes Berliner Gas-Straßenbeleuchtung. Dabei gibt es verschiedene Modelle. Etwa die Modellleuchte am Chamissoplatz in Kreuzberg, die Aufsatzleuchte, die an der Leonhardtstraße in Charlottenburg steht, die Hängeleuchte an der Schlossstraße in Charlottenburg, die Reihenleuchte an der Dernburgstraße am Lietzensee oder die Zylinderleuchte an der Jürgen-Schramm-Straße in Gatow.
In Zusammenarbeit mit dem Landesdenkmalamt ist es Kujaths Verein vor zwei Jahren gelungen, rund 3300 Gaslaternen unter Denkmalschutz zu stellen. Diese sind zunächst vom Abriss ausgenommen. Berlin weiß anscheinend nicht, welche Bedeutung die alten Lampen tatsächlich haben. Der World Monuments Fund (WMF) in New York hat das Gaslicht und die Gasleuchten Berlins auf seine „Watch List“ gesetzt. Damit soll von Untergang oder Vernichtung bedrohtes kulturelles Welterbe in das öffentliche Bewusstsein gerückt werden. Die Gasleuchten sind übrigens der einzige Punkt der Liste, der aus Deutschland stammt. Auch renommierte Denkmalschutzorganisationen wie Europa Nostra, das Deutsche Nationalkomitee für Denkmalschutz und die Deutsche Stiftung Denkmalschutz fordern, die historischen Gasleuchten zu erhalten.
Gaslaternen im London des 19. Jahrhunderts und im Berliner Tiergarten der Gegenwart. Vor dem Kurhaus in Baden-Baden wird das Licht per Hand entzündet. Fotos: dpa
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Kujath hat außerdem ein Gutachten eines britischen Welterbeexperten in der Schublade, wonach die Gesamtheit der Berliner Gas-Straßenbeleuchtung ein hohes Potenzial hat, als Weltkulturerbe anerkannt zu werden. „Auch von der Unesco selbst gibt es Entscheidungen, die das unterstreichen“, so Kujath. Doch das rührt die Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz wenig: „Alle Gasleuchten außer denen, die unter Denkmalschutz stehen, werden durch LED-Leuchten ersetzt. Dabei werden die kompletten Gasleuchten demontiert und elektrische Leuchten errichtet“, teilt Dorothee Winden von der Senatsverwaltung ungerührt mit. Die Senatsverwaltung behauptet, dass die LED eine dem Gaslicht nahezu identische Lichtfarbe habe. Die Umbaukosten pro Gasleuchte sind relativ hoch: zwischen 4400 und 5250 Euro pro Gasleuchte. Doch laut Senatsverwaltung haben sich diese Kosten durch die wesentlich niedrigeren Betriebskosten innerhalb von neun Jahren amortisiert. Außerdem seien die LED-Lichter besser fürs Klima: durch die Umrüstung werde Berlin rund 24 600 Tonnen Kohlendioxid einsparen.
Für die Polizei haben die neuen elektrischen Leuchten einen weiteren Vorteil: Ihr Licht ist heller und soll dabei in Problemkiezen helfen, die Kriminalität zu bekämpfen. Wer sich wundert, warum viele alte Gasleuchten nicht nur nachts, sondern auch tagsüber brennen: Hier sind die sogenannten „Dämmerungsschalter“ kaputt, die die Leuchten abends einschalten. Um die Verkehrssicherheit zu garantieren, bleiben die Gasleuchten dann eben immer angeschaltet – die Alternative wäre nur, sie dauerhaft auszuschalten.
In Mainz und Darmstadt ging das Gaslicht schon früher aus
Andere Städte knipsten schon vor längerer Zeit die Leuchten aus. In Darmstadt begannen die Gaslaternen im Jahr 1906 zu leuchten; die letzte wurde im Jahr 1971 abgeschaltet. In Wiesbaden waren 1953 noch 3864 Gasleuchten in Betrieb, darunter der „Sachsenhäuser Kandelaber“, sogenannte Rundmantellaternen und Modellleuchten. In den 60er Jahren wurden alle historischen Gasleuchten abgebaut, während sie in der Kurstadt Baden-Baden die Altstadt auch heute noch in warmes Licht tauchen.
In Mainz gab es in den 90er Jahren noch rund 3600 Gaslaternen. Die Stadtverordneten beschlossen allerdings den Abriss aller Gasleuchten beziehungsweise den Umbau auf elektrische Leuchten. „Für den Denkmalschutz und die Touristen sollen lediglich 30 alte Gasleuchten rund um die Stephanskirche erhalten bleiben“, teilt Wolfram Hauptmann von Mainzer Netze mit.
In Frankfurt war die Umrüstung auf LED-Straßenleuchten eigentlich beschlossene Sache, doch die Umrüstung erwies sich schwieriger als gedacht. Vor 2025 werden die rund 5500 verbleibenden Laternen nicht umgerüstet. Nur in der Anzengruberstraße im Stadtteil Dornbusch sollen historische Gasleuchten als Denkmal erhalten bleiben. Nicht bei allen Anwohnern stößt die neue, grelle LED-Beleuchtung auf Gegenliebe: „Es tut den Augen weh“, sagt Hildegard Marhold im Magazin „Zündfunke“, „ich bin froh, wenn ich in die gasbeleuchtete Eysseneckstraße einbiege.“
Schlimm steht es auch um die historische Gasleuchten-Ausstellung im Berliner Tiergarten, wo einmal rund 100 verschiedene Gasleuchten aus Deutschland und anderen Ländern entlang eines Parkweges standen. Unter ihnen ist auch die Auer-Glocke „Modell Wiesbaden“, eine seltene Leuchte aus dem Jahr 1951. Vandalen haben viele von den Laternen „geköpft“ und verhökert, andere sind stark beschädigt und leuchten nicht mehr. Die Gasleuchtenausstellung steht in vielen Berlin-Reiseführern als Attraktion – wer sich jedoch die Mühe macht, sie im Tiergarten anzuschauen, wird enttäuscht. Fast an allen verbliebenen Laternen sind die Gläser kaputt, einige hat sich die Fauna sogar erobert, Vögel haben Nester in den Lampen gebaut.
Für die Wartung hat der Berliner Senat nichts übrig, dort besteht anscheinend keine Priorität. Dies ist umso weniger verständlich, als nicht nur Besucher die Gasleuchten-Ausstellung vermissen, sondern auch die Kriminalität im Tiergarten nachts zunimmt – unbeleuchtete Wege sind da nicht besonders förderlich. Die Wiederherstellung der ungewöhnlichen Gasleuchtensammlung soll nach Senatsangaben rund 200.000 Euro kosten – also weniger als 0,001 Prozent der Stadtschlosskosten!
Einen Lichtblick im doppelten Wortsinn eröffnet das Technische Museum, das sich bereit erklärt hat, die Ausstellung in sein Gelände zu integrieren. Nachteil: Das Gelände ist nachts, wenn die Gasleuchten brennen, abgeschlossen. Auch ist nicht klar, wann der Umzug geschehen soll. Dorothee Winden formuliert so klar wie Ulbricht vor dem Mauerbau: „Es ist unverändert das Ziel, das Gaslaternen-Freilichtmuseum in das Technikmuseum zu überführen“.