Weltumseglung – vom Abenteuer zum Massentourismus: zwei Wiesbadener erzählen

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Die letzten Sonnenstrahlen glitzern auf der glatten Wasseroberfläche. Die weißen Segel leuchten. Ein Mann und eine Frau sitzen auf ihrer Yacht und genießen den Sonnenuntergang. In der Ferne tauchen die Umrisse einer paradiesischen Insel auf. Kein Mensch weit und breit. Nur Wind, Freiheit und Glück. So oder so ähnlich sieht der Traum vom Weltumsegeln aus.
Doktorarbeit zum Thema Weltumsegler
Wer aber ein bisschen Ahnung vom Segeln hat, weiß, dass die Realität oft anders aussieht, erklärt Martina Kleinert. Die Kulturanthropologin und Filmemacherin durchsegelte mit ihrem Partner für Dreharbeiten in der Südsee den halben Pazifik und schrieb ihre Doktorarbeit über das Thema Weltumsegler. „Zum Segeln gehört eben auch, seekrank zu werden. Eine Yacht ist verdammt unbequem und einengend. Und man kann nicht, wie mit dem Auto, einfach am Straßenrand anhalten, wenn man keine Lust mehr hat“, schildert sie. Auf dem Wasser ist man vom Wetter abhängig, das Boot schaukelt, alles ist nass. „Es gab oft Situationen, bei denen ich mich gefragt habe: ,Warum tue ich mir das an?‘“
Und trotzdem wagen immer mehr Menschen, die Welt zu umsegeln. Eine Weltumseglung scheint keine große Herausforderung mehr zu sein: Die Boote sind mit modernster Technik ausgestattet, es gibt zahlreiche Anbieter für Ausrüstung, es werden Kurse und organisierte Segelreisen angeboten. Und so werden die Yachthäfen in der Karibik oder in der Südsee immer voller.
Das liegt zum einen am technischen Fortschritt, erklärt Kleinert. Denn seit der Entwicklung der GPS-Technologie in den 90ern wurde es möglich, die eigene Position bis auf wenige Meter genau zu bestimmen. Gleichzeitig verbreiteten sich die Satelliten-Telefonie und das Internet. Der Sextant und die astronomische Navigation wurden verdrängt.
Dadurch änderten sich die Anforderungen an die Segler. Stefan Schollmayer hat diese Entwicklungen selbst miterlebt. Der 58-jährige gebürtige Mainzer, der in Wiesbaden wohnt, segelt seit seiner frühen Kindheit. „Wir hatten schon immer ein Segelboot in der Familie.“ Zahlreiche Fahrten, Regatten und gewonnene Meisterschaften hat er schon hinter sich. Vor einigen Jahren brach er mit seiner Frau Christine Kriese auf – diesmal, um die Welt zu umsegeln.
Zunächst segelten sie gemeinsam mit etwa 30 weiteren Booten als Teil einer als Teil einer organisierten Yacht-Rallye. Nach etwa der Hälfte der Strecke verließen die beiden die Formation. „Wir waren im Südpazifik und wollten dort mehr Zeit verbringen, weil uns die Gegend unheimlich gut gefiel. Dort kann man der Vorstellung vom Südseetraum auch heute noch ganz nah kommen“, sagt Christine Kriese. Nach einer Pause in Deutschland sind sie Ende vergangenen Jahres zu einer weiteren Etappe der Weltumseglung gestartet.
Schollmayer und Kriese bestätigen die Beobachtungen von Martina Kleinert. Ein Abenteuer ist das Segeln nur noch selten. Einen Sextanten braucht man mit den modernen GPS-Geräten nicht mehr. Die Kommunikation per Satelliten-Telefon ist viel sicherer als früher. Auf den Booten gibt es heutzutage Kühlschränke, Solarstrom, ausreichend Stauraum und Wasseraufbereitungssysteme. Und auch die Preise der Boote sind gesunken.
Leichtsinn kann lebensbedrohlich werden
All dies führt dazu, dass sich immer mehr Menschen trauen, aufzubrechen. Durch die moderne Technik ist die Navigation viel einfacher geworden. „Dadurch ist sie leichter zu erlernen. Aber diese trügerische Sicherheit verleitet dazu, schneller leichtsinnig zu werden und die Gewalt der Natur zu unterschätzen. Und das darf nicht passieren“, sagt Schollmayer. Weil im offenen Meer so eine Leichtsinnigkeit schnell lebensbedrohlich werden kann.
Er selbst könnte, wenn nötig, immer noch „analog“ zurechtkommen. „Die jahrelange Erfahrung und das technische Verständnis helfen mir oft auch heute“, so Schollmayer. Die moderne Technik habe aber viele Vorteile: „Die Wettervorhersage ist sehr viel genauer als früher. Die digitalen Karten, besonders für abgelegene Regionen der Welt, sind deutlich präziser“, zählt er auf. Und auf einem gut ausgestatteten Boot wie ihrem ist es möglich, drei Monate lang autark zu bleiben, ohne an Land zu gehen.
Wie weit die beiden diesmal kommen, wissen sie noch nicht. Sie genießen es, unterwegs immer wieder zu verweilen und neue Menschen kennenzulernen. Denn Segeln ist viel mehr als eine reine Fortbewegung auf dem Wasser, sagt Christine Kriese: „Man bekommt ein Gefühl für Entfernung und verschiedene Klimazonen, lernt immer wieder neue Kulturen kennen und lebt im Einklang mit der Natur.“