Iris Berben über ihre Rolle einer Sterbenden, tätowierte Fans der Rolling Stones im Altenheim und Annalena Baerbock.
Frau Berben, Sie haben bei der Verleihung des Ordens wider den tierischen Ernst in Anlehnung an John F. Kennedy gesagt, „Ich bin eine Baerbock“. War das Laudatio-Sprech oder war es Ihnen tierisch ernst damit?
Wohl beides. Ich finde, dass man dort alles überspitzen muss, aber eine Laudatio ist natürlich auch etwas, das mit Anerkennung zu tun hat. Fatalerweise ist man als Preisträgerin verpflichtet, eine Rede auf den Nachfolger zu halten – was passiert eigentlich, wenn da jemand steht, wo jede Empathie weit weg ist? Deshalb habe ich Glück gehabt und diese Rede wirklich gerne gehalten, weil ich finde, dass Annalena Baerbock uns in der Welt gut vertritt und in dieser Phase unendlicher Herausforderung eine große Menschlichkeit ausstrahlt. Sie handelt die Dinge nicht einfach ab – bei aller Professionalität. Das bringt sie mir persönlich sehr nahe.
Als Sie selbst den Orden erhielten, haben Sie Frauen an die Macht gefordert. Was haben Frauen, das Männer nicht haben?
Es ist ja ein simples Rechenexempel: Die Hälfte der Weltbevölkerung sind Frauen. Und ich denke, dass Frauen aufgrund ihres Wesens und der Fähigkeit, Leben zu schenken und manche Dinge mit mehr Weitsicht und weniger Kalkül zu betrachten, in der Lage sind, rational zu handeln. Deshalb sind Frauen genauso in der Lage, diese Ämter und Aufgaben zu erfüllen, wie Männer.
Wie weit sind wir denn auf dem Weg zur Gleichberechtigung?
Wir sind im Jahr 2023 lange noch nicht da, wo wir sein müssten. Wir müssen aber gemeinsam mit den Männern kämpfen. Das habe ich immer schon gedacht: Man kann sich nur miteinander emanzipieren und nicht gegen etwas. Und wir haben immer mehr sehr kluge Männer auf unserer Seite, die um diese Notwendigkeit wissen.
Wie wichtig auf dem Weg zur Gleichberechtigung ist das Gendern?
Dazu habe ich eine differenzierte Haltung. Die Absicht ist richtig, aber nicht der Weg. Ich finde, dass diese Verordnung – so würde ich es bezeichnen – sehr aus einer intellektuell-arroganten Blase kommt. Es ist doch kontraproduktiv, auf diese Art und Weise Menschen schon wieder auszugrenzen, die sich dem Sprachgebrauch noch nicht fügen können. Es ist immer so gewesen, dass sich Dinge und auch die Sprache verändern. Aber die Sprache verändert sich aus der Normalität dessen, wie sich etwas entwickelt hat. Natürlich muss das Bewusstsein dafür geschaffen werden, dass jede Lebensform ihre Berechtigung hat. Aber nicht auf diese fast arrogante Art.
Für Ihre Rollen legen Sie Ihr Äußeres immer wieder ab. Mit Hemmung oder mit Freude an der Verwandlung?
Mit Freude an der Möglichkeit, Figuren möglichst wahrhaftig darzustellen und ihnen ein Eigenleben zu geben. Man darf als Schauspielerin nicht die Eitelkeit haben, dass man immer erkannt werden möchte. Als ich „Die Protokollantin“ gespielt habe, sagten Leute zu mir, dass sie mich anfangs nicht erkannt hätten – besser geht’s doch nicht.
Für „Und dann steht einer auf und öffnet das Fenster“ haben Sie sich in eine Frau verwandelt, die nur noch wenige Wochen zu leben hat. Eine schwierige Verwandlung?
Nicht erst jetzt mit 72, schon als junger Mensch habe ich das Thema Endlichkeit wahrgenommen, als mein von mir sehr geliebter Großvater starb. Die Momente, in denen man mit dem Tod konfrontiert wird, führen ja dazu, dass man sich auch mit seinem eigenen Status quo auseinandersetzt. Wie viel Leben hat man noch? Aber je älter man wird, umso weniger ist es eine Vorstellung, von der man das Gefühl hat, sie liege noch in weiter Ferne. Ich mochte diese Filmfigur, weil es fast etwas Rotziges hat, wie sie mit dem Tod umgeht.
Sie sagten mal, das Thema Tod mache Sie wütend. Haben Sie das auf die Figur Karla übertragen?
Ja, weil ich gern am Leben teilnehme. Auch bei all diesen Komplikationen, die es momentan gibt und die mich belasten. Es ist nicht so, dass ich meine Schritte mit derselben Selbstverständlichkeit mache wie früher. Ich stelle vieles infrage. Sollte ich den nächsten Film machen? Was können Filme überhaupt erreichen, wenn man all diese Katastrophen sieht? Wenn man aber trotzdem so gerne lebt wie ich, dann ist der Tod ein Störenfried.
Hat es Sie Überwindung gekostet, die Rolle anzunehmen?
Nein. Es ist zwar ein Film über das Sterben, aber er feiert das Leben. Er ist unsentimental, oft ironisch, das hat mir gefallen. Eine meiner Lieblingsszenen spielt in einem Urnenladen, in der ich sage: „Kann man mich nicht einfach wegfegen?“ Das sind Momente, die so nah an mir sind, dass ich gesagt habe: Ja, das mache ich.
Aber es kommt irgendwann der Tag, da sieht man als Schauspielerin den fertigen Film – und Sie sehen sich selbst quasi beim Sterben zu.
Das ist eine sehr intime Frage. Natürlich tut es weh. Weil man sich vor Augen hält: Das ist ja nicht in 50, 60 Jahren. Das Gute daran ist, dass ich teilweise wirklich vergesse, dass ich es bin. Ich schau jemand anderem dabei zu.
Wie kommt man am Ende eines Drehtages aus dieser Rolle raus?
Ich höre häufiger von Kolleginnen und Kollegen, dass sie ihre Rolle nach Hause tragen – das tue ich nicht. Natürlich ist ein Teil der Rolle immer da, weil man sich mit dem Text beschäftigt. Ich bin jemand, der gerne alleine ist, wenn er dreht, also auch meinen Partner nicht habe, weil ich mit dem sehr frühen Aufstehen meinen eigenen Rhythmus habe.
Es heißt, gerade bei ernsten Filmen werde am Set viel gelacht.
Wir haben schon auch gelacht. Godehard Giese, der meinen Sterbebegleiter spielt, ist ein toller Kollege und hat einen wunderbaren Humor. Aber insgesamt war es schon eher ruhig, weil man sich ja auch immer wieder in diese Stimmung bringen musste.
Als Karla ihre Diagnose Bauchspeicheldrüsenkrebs bekommt, geht sie nach Hause und legt „Sympathy for the Devil“ auf.
Ich habe für die Stones gekämpft. Man muss ja auch den Kontext ihres Lebens sehen – eine Frau, die mit den Rockstars rumgezogen ist und wenig ausgelassen hat. Das muss man dieser Figur mitgeben, und da ist „Sympathy for the Devil“ eine tolle Metapher.
Die musikalische Wirklichkeit in Pflege- und Altenheimen ist eine andere. Da laufen immer noch Richard Clayderman und André Rieu.
Da halten sich wohl Rituale, die nicht mehr hinterfragt werden. Alten Menschen wird etwas vorgesetzt, von dem man glaubt, dass alte Menschen so etwas mögen. Jetzt kommen eben die tätowierten Stones-Fans ins Pflegeheim, das sollte man berücksichtigen.
Sie selbst sind Schirmherrin eines Hamburger Hospizes – die Karla sagt: „Hospiz? Nur über meine Leiche.“
Der Hospizgedanke ist ein guter. Ich habe auch in Landshut die Patenschaft für ein Kinder-Palliativ-Krankenhaus. Das sind tolle Einrichtungen, weil man dort geschützt ist und versucht wird, noch so viel Leben wie möglich zuzulassen. Man hat nicht diese strikten Vorschriften mit Besuchszeiten. Klaras Satz ist kein Affront gegen Hospize im Allgemeinen, sondern nur Ausdruck ihrer Eigenart: Das erledige ich für mich alleine.
Viele Menschen sagen, Sie hätten keine Angst vor dem Tod, aber vor dem Sterben.
Wenn man das so sagt, bedeutet Sterben ein langes Leiden. Das würde ich dann aber auch so benennen: Ich möchte nicht lange leiden. Mir geht es nicht darum, unsterblich oder forever young zu sein. Aber ich bin wahnsinnig neugierig, wie das Leben weitergeht. Was ich allein in diesen Jahrzehnten erlebt habe an Veränderungen und Entwicklungen, das ist doch so spannend. Und es ärgert mich, dass ich nicht mitkriege, wie es in 100, 500 oder 2000 Jahren aussieht. Das ist es, was mich am Tod so wütend macht. Ich habe keine Angst vor dem Tod, sondern eine Wut über den Tod. Ich will wissen, wie es weitergeht.
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