Warum Butter besser ist als ihr Ruf

Butter erlebt in der Sterneküche ein Comeback. Foto: IGHTFIELD STUDIOS - stock.adobe

Butter gilt als ungesund. Zu Unrecht, findet unsere Autorin. Ein Loblied auf ein einfaches Lebensmittel in komplizierten Zeiten.

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. In Deutschland wird das meist aus dem Rahm von Milch hergestellte Streichfett oft verteufelt: macht dick und verursacht Schlaganfälle.

Je unsicherer die Zeiten, desto mehr sehnen sich Menschen nach einfachem Genuss: zum Beispiel einem Butterbrot. Bereits einige Monate vor der Corona-Krise und ausgerechnet in dem Jahr, in dem die Margarine 150 Jahre alt wurde, verkündete die Marketingagentur Sterling Rice Group: „Butter ist der neue Bacon.“ Nun könnte man all die schlechten Eigenschaften aufzählen, die Speck anhaften: zu viel Fett, zu wenig Vitamine, nicht vegan.

Das jedoch hat die Butter nicht verdient. Sie ist ein ehrliches, einfaches Lebensmittel und gleichzeitig bereit für Finessen. Nicht umsonst entdecken gerade zahlreiche Köche deren Potenzial.

Variationen mit Hähnchen- oder Rindfleischgeschmack

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Das Berliner Drei-Sterne-Restaurant Rutz etwa serviert seinen Gästen eine hausgemachte Version. Von zugesetzten Kräutern und Gewürzen hält Souschef Dennis Quetsch nichts, er findet: „Eine geile Butter braucht keine zusätzlichen Aromen.“ Andere sind da weniger zimperlich. Im Londoner Restaurant Frog findet man Hähnchenbutter, im „The French“ in Manchester eine Variation mit Rindfleischgeschmack. Überall dort ist Butter nicht mehr bloß Geschmacksträger einer Soße oder Brotbelag, sondern ein eigenständiges Genussmittel.

So sieht es auch Christian Jürgens, Chefkoch des mit drei Michelin-Sternen ausgezeichneten Restaurants Überfahrt am Tegernsee: „Wenn man unbeobachtet ein Stück von einer warmen Brotstange herunterreißt, mit Butter bestreicht und isst – diesen Geschmack vergisst man nie mehr im Leben.“ Was gibt es Herrlicheres als einen Menüauftakt in Form von warmem Brot und hausgemachter Butter? Deren Herstellung ist, im Gegensatz zum ebenfalls derzeit schwer angesagten Sauerteigbrot, ein Kinderspiel. Man lasse Milch so lange stehen, bis sich Rahm bildet, schöpfe diesen ab und schlage ihn zu Butter. Sie ist sahnig, mild im Geschmack und eignet sich zum Backen genauso gut wie für die Herstellung einer Beurre blanc. Komplexer – und somit für Köche spannender – wird sie durch Fermentation. Dazu fügt man dem Rahm eine Starterkultur hinzu, beispielsweise in Form von Joghurt oder Crème fraîche, und lässt die Milchsäurebakterien ihre Arbeit verrichten.

Noch geschmacksintensiver ist Rohmilchbutter aus nicht-pasteurisierter Milch, für die aus gesundheitlichen Gründen allerdings strenge Auflagen gelten. Einer EU-Verordnung zufolge muss Butter einen Milchfettanteil von mindestens 80 Prozent haben. Neben Kühen liefern auch Schafe, Ziegen und Büffel die Milch. Der Rest ist Geschmackssache.

Schon die alten Römer und Griechen kannten das Geheimnis von vergorener Milch, allerdings nicht als Nahrungsmittel, sondern als Medizin. Ähnlich hält es bis heute die ayurvedische Küche mit der geklärten Butter Ghee.

In Dänemark gibt es ein eigenes Wort für die Zahnabdrücke auf einer dicken Schicht Butter: „Tandsmø“, das ist Hygge zum Kauen. Tibetische Mönche formen Yakbutter zu heiligen Kunstwerken.

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In Deutschland wird Butter leider viel zu oft verteufelt als etwas, das dick macht und Schlaganfälle verursacht. Margarine, die 1869 in Frankreich erfunden wurde, um Soldaten billig satt zu machen, halten manche für die gesündere Alternative. Abgesehen davon, dass es sich um ein hochartifizielles Produkt handelt, schmeckt sie für viele Menschen nach Verzicht. Ein Butterbrot hingegen weckt Kindheitserinnerungen und ist das Gegenteil von einem Grünkohlshake, ein sinnlicher, jeglicher Kalorienzählerei enthobener Genuss.

Dass die so bescheidene Butter ausgerechnet jetzt der Star auf dem Tisch ist, hat gute Gründe. Seit Jahren dominiert die New Nordic Cuisine mit ihrer Rückbesinnung auf simple, saisonale Zutaten den Zeitgeist. Bei René Redzepi und Co ist ein Radieschen ein Radieschen, keine Radieschenemulsion oder eine gefriergetrocknete, anschließend zerstäubte Haselnuss. Dazu passt Butter als einfacher Genuss, als Lebensmittel gewordene Sehnsucht nach dem Bodenständigen, einem Haus auf dem Land, Wäsche, die im Wind trocknet, Milchkühen.

Stichwort Milch: Noch immer erhält ein Bauer in Deutschland nur etwa 35 Cent pro Liter. Kein Wunder, dass viele an der Tierhaltung sparen, zum Beispiel beim Futter. Das geht, wenig überraschend, zulasten der Qualität. Bekommen die Kühe Mais und Kraftfutter vorgesetzt, steigt die Anzahl ungesättigter Fettsäuren, also dem, was als gesundheitsschädigend gilt. Grünfutter hingegen erhöht den Omega-3-Gehalt.

Glückliche Wiesenkühe geben nicht nur gute Milch, sondern auch gute Butter. Das schmeckt man: Wenn im Sommer Wiesen und Wildkräuter blühen, gerät die Butter üppig, mit einer seidigen Textur. Ernährt sich die Kuh hingegen im Winter von Heu, wird die Butter dezenter im Geschmack. Das sieht man auch: Winterbutter ist körnig und blass. Eine gelbliche Färbung spricht für einen hohen Anteil an Carotin, wie etwa bei irischer Butter. Somit ist Butter, genauso wie zum Beispiel Wein, eine Frage des Terroirs.

Wann immer es um Geschmack geht, sind die Connaisseure nicht weit. Für das Genussmagazin „Saveur“ ist die in der Bretagne hergestellte Beurre de Bordier die beste Butter der Welt.

Der „Butterwikinger“ lässt das Brot gleich weg

Renommierte Restaurants wie das Pariser Georges V und Sterneköche wie Guy Savoy und Alain Passard schwören darauf. Andere schwärmen von Patrik Johansson, Beiname „der Butterwikinger“. An manchen Tagen isst der Schwede nichts anderes, und zwar pur, weil Brot seiner Meinung nach den Geschmack verdirbt. Bekannt wurde er für seine optisch an Vanilleeis erinnernde Virgin Butter. Andere Rezepturen vergräbt er monatelang im Wald. Zu Johanssons Kunden zählen Heston Blumenthal, das „Noma“ von René Redzepi und die weiterhin erfolgreichen Restaurants des 2018 gestorbenen Joël Robuchon.

Felix Schneider vom Sosein in Heroldsberg vergräbt seine Butter zwar nicht im Wald, lässt sie aber ein halbes Jahr lang mit dem japanischen Würzmittel Shiokoji reifen. Auch spannend: Butter mit Raucharoma, wie sie das Restaurant Amuse im australischen Perth seinen Gästen servierte.

Solche gastronomischen Spielereien wirken gerade etwas fehl am Platz, ähnlich wie 27-Gänge-Menüs und Hummer zum Frühstück. Belassen wir es doch bei einem Stück ofenwarmem Brot, hamsterkauf-dick bestrichen mit Butter. In Zeiten der Pandemie gibt uns das ein Gefühl von Geborgenheit. Wir lassen uns alle möglichen Freiheitsrechte nehmen – aber nicht die Butter vom Brot.

Von Eva Biringer