Vorher-Nachher: Vom tristen Reihenhaus zum Schmuckstück
Eine junge Familie hat einem Anwesen im Münchner Westen neues Leben eingehaucht – und es zum mehrfach ausgezeichneten Bauprojekt gemacht.
Von Nicole Golombek
Links das Reihenhaus vor dem Umbau – rechts danach.
(Fotos: Stefan Müller-Naumann/ A. Prestel)
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„Kairos“ nennt man den günstigen Zeitpunkt einer Entscheidung, dessen ungenutztes Verstreichen nachteilig sein kann. In der griechischen Mythologie wurde Kairos als Gott personifiziert. Vielgötterei ist passé, Kairos noch aktuell, zumal bei der Suche nach einem Zuhause.
Anne und Martin Prestel hatten zwei Jahre lang immer wieder mal nach einem Haus geschaut. Schon vor Jahren war es in München so teuer wie heute in vielen Großstädten. Ein bezahlbares Haus in der teuersten Stadt Deutschlands fand Anne Prestel schließlich durch Zufall: „Ich hatte gerade Zeit und entdeckte das Inserat im Internet.“ Die berühmte Stecknadel im Heuhaufen, es gibt sie also doch. Wenige Stunden später hatte die vermittelnde Bank das Objekt wieder aus dem Online-Angebot genommen, weil in kürzester Zeit Dutzende Anfragen eingegangen waren.
Reihenhaus war hässlich, aber die Bausubstanz gut
Und das, obwohl das Reihenendhaus von 1964 in München-Obermenzing schmal und klein wirkte, ja geradezu hässlich. Ein Fremdkörper in der im 19. Jahrhundert als Gartenstadt entworfenen Siedlung. Die wurde im Westen der Stadt angelegt seit 1892 vom Architekten August Exter mit der Idee einer „Villen-Colonie“ für den „gehobenen Mittelstand“.
Links das Reihenhaus vor dem Umbau – rechts danach. Fotos: Stefan Müller-Naumann/ A. Prestel
Ein Durchbruch zwischen Küche und Wohnzimmer schafft Weite und Licht. Foto: Stefan Müller-Naumann
Im Kinderzimmer im Dachgeschoss sorgen Gauben für mehr Platz zum Spielen. Foto: Stefan Müller-Naumann
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Längst ist Obermenzing nah an die Stadt herangerückt. Das Haus liegt an der Grenze zu München-Pasing. Grün ist es hier immer noch ein bisschen (jüngst hat ein Bauer ein großes Feld verkauft, das nun mit einer Wohnanlage bebaut wird). Aber es gibt eben auch eine ICE-Bahnstation und einen eigenen Viktualienmarkt. „Man muss nicht wirklich nach München, wir haben hier alles“, sagt Anne Prestel.
Doch was tun mit einem Reihenhaus mit asbesthaltigen Platten an der Außenwand, Fliesenterrasse, Plastikwindschutz über der Eingangstür? Gut, wenn man weiß, was sich aus einem Mauerblümchen machen lässt. Anne Prestel ist Innenarchitektin, ihr Vater Architekt, er hatte die Baupläne und das Gebäude angeschaut und für gut befunden.
Heute strahlt das Haus in Weiß, dazu schicke Holzlamellen als Schiebe-Fensterläden. „Eine Fassade braucht ein Gesicht“, sagt Anne Prestel. Auch der Zaun und der überdachte seitliche Vorplatz aus demselben Material sowie die Läden werten die Häuserreihe auf.Der alte Windschutz aus dem Baumarkt ist verschwunden. Und die horizontale Holzlatten-Optik der Fensterläden findet bei der Haustür eine konsequente Fortsetzung.
Die Hausherrin öffnet die Tür und jeder, der Reihenhäuser kennt, staunt: statt eines dunklen schmalen Flurs – Weite und Licht.
„Wir haben die Wand zwischen Flur und der sehr kleinen Küche herausgenommen“, sagt Anne Prestel. Die 1986 geborene Innenarchitektin hat ein Möbel entworfen, das beidseitig bespielbar ist. „Der Block sollte nicht raumhoch sein, damit man das offene Raumgefühl hat.“ Das bedeutet Stauraum auf der Flurseite und Küchenmöbel auf der anderen Seite. Ein Durchbruch in der Wand gibt die Sicht frei auf den Ess- und Wohnbereich bis in den Garten. Noch mehr Licht kommt in den Essbereich durch einen neuen Erker mit bodentiefen Fenstern.
Die Entstehungszeit des Gebäudes hat Anne Prestel mit bedacht, viele Um- und Einbauten in dem Haus wurden zurückgenommen. Die geschwungene Treppe mit dem jetzt wieder in Mode gekommenen Terrazzoboden durfte bleiben. Damals üblich waren auch tiefe Fenstersimse.
Also kam vors Fenster eine Bank, die zudem Stauraum für Kinderkram und Sitzmöglichkeiten bietet, auch wenn die Hausherren gerade eher weniger Zeit haben, im Fenster zu sitzen. Unmittelbar nach dem ein halbes Jahr dauernden Umbau, bei dem auch die Elektrik erneuert und Rohre neu verlegt werden mussten, kam der zweite Sohn zur Welt.
„Wir wollen nicht ständig aufräumen, damit alles superschick ist“, sagt Anne Prestel. Das betrifft Innen- und Außenraum: Dort hat die Innenarchitektin eine Holzterrasse auf die alten braun-orangefarbenen Fliesen gelegt, eine grau gestrichene Nische an der Wand setzt einen eleganten Akzent. Das Grün drum herum ist kinderfreundlich: ein Hochbeet, Bambus, Schmetterlingsstrauch, Apfelbaum – und Rasenfläche zum Spielen. Am Zaun wachsen neu gepflanzte Büsche. „Die alte Hecke war verholzt“, sagt Anne Prestel, „jetzt blüht in jeder Jahreszeit etwas hier.“
Klar war: „Bunt wird es hier schon durch die beiden Kinder.“ Daher ist die Gestaltung klar, geradlinig und farblich zurückhaltend. „Unser Wunsch war, es soll schlicht, langlebig und gemütlich sein.“ Die Kunststofffenster wurden gegen Holzfenster eingetauscht, dazu passen die Böden aus Eiche geweißt, weiße Einbaumöbel, dezentes Graubraun an der Wand. Anne Prestel: „Je weniger Material man verwendet, desto freier ist man. Man schafft eine schöne Bühne für alles, was man gestalterisch vorhat.“
Dezente Farbgebung bei der Gestaltung
Die dezente Farbgebung setzt sich fort, Farbtupfer sind blaue Sternchen auf Weiß bei den Fliesen an der Wand in der Küche. „Die hatte ich schon seit Jahren auf dem Arbeitstisch liegen.“ Nicht jede Entscheidung sei so leicht gefallen. „Für sich selbst zu gestalten ist schwieriger, weil man keine Vorgaben vom Bauherren hat und aber weiß, wie groß der Markt ist, wie unendlich viele Möglichkeiten es gibt.“
Bei den baulichen Arbeiten hatte der Vater als Architekt einige Vorschläge. Etwa in einem Kinderzimmer die Gauben zu vergrößern, damit die Schrägen nicht so extrem sind. „Ich habe hier viel für meinen Beruf gelernt“, sagt Anne Prestel. Zugleich ist so ein Projekt auch eine gute Möglichkeit zu zeigen, was machbar ist.“
Die Innenarchitektin hat die Umbauten inszeniert
Gesehen wurde das auch schon und ausgezeichnet: mit dem „German Design Award Special“ und dem „Iconic Award“ vom Rat für Formgebung, die Jury des Callwey-Verlags nahm den Umbau auf in die schönsten Interior-Designs 2018. Dazu kam eine Auszeichnung vom Bund Deutscher Innenarchitekten.
Eindruck gemacht hat dabei sicher auch die Entscheidung, Umbauten nicht zu verstecken, sondern zu inszenieren. „Alles aus Metall, Stahl ist schwarz“, sagt Anne Prestel, der Stahlträger im Erdgeschoss und das Schmuckstück, das vom Arbeitszimmer im ersten Stock unters Dach führt: eine Stahlspindeltreppe. Ein Rückzugsraum ist da oben entstanden, mit Platz zum Lesen und Gitarrespielen.
Ein bodentiefes Fenster gibt den Blick frei auf Lindenbäume. Sohn Moritz ist begeistert von den Kränen, die er durch die neu angeordneten Dachfenster erblickt. Auf einem freien Feld in der Umgebung entsteht eine Wohnsiedlung. Um da ein neues Daheim zu finden, werden potenzielle Käufer und Mieter auch eines haben müssen: Kairos.