Der Malerin Ursula Wieland saßen schon Stephen Hawking, Sir Peter Ustinov und Papst Johannes Paul II. Modell.
. Alles fing mit einem glücklichen Zufall an: 1968 traf Ursula Wieland im Wiener Konzerthaus den Dirigenten Herbert von Karajan und fragte ihn, ob sie Skizzen von ihm anfertigen dürfte. Die gefielen dem Maestro so sehr, dass er sie anschließend ins Konzert einlud. Später kreuzte der Komponist Leonard Bernstein ihren Weg. Sie sprach ihn auf der Straße an und prompt landete auch sein Konterfei in ihren Skizzenbüchern.
Ihre Glückssträhne riss nicht ab. Bei einem Sitznachbarn im Flugzeug handelte es sich ausgerechnet um den berühmten Schweizer Maler und Bildhauer Jean Tinguely. „Ich kenne Sie, aber Sie kennen mich nicht“, sagte die Wieland, die 1950 in Heidelberg zur Welt kam, zu ihm – und durfte ihn zeichnen. Daraus entstand später ein Ölgemälde und Tinguely schrieb seinem Freund George William Staempfli, einem legendären New Yorker Galeristen: „Da gibt es eine Malerin, die Sie unbedingt kennenlernen müssen.“
Viele weitere Berühmtheiten saßen der Malerin seitdem Modell, darunter der Komponist Philip Glass, Peter Ustinov, die Schriftsteller Tschingis Aitmatow und Elie Wiesel, der Physiker Stephen Hawking oder Papst Johannes Paul II.
Dabei sollte sie eigentlich einen medizinischen Beruf ergreifen. Zu ihrer Jugendzeit gab es noch viele Vorurteile gegen Künstler, berichtet Wieland. Die Großmutter riet ihr sogar: „Sag niemandem, dass du malst!“ Dem Vater zuliebe studierte die gebürtige Heidelbergerin zunächst Pharmazie, bald darauf Sprachen. Vom Malen konnte sie dennoch nicht lassen. Schließlich studierte sie doch Kunst. Der Durchbruch kam in London dank ihrem Mentor, dem abstrakt-surrealistisch arbeitenden Maler Graham Sutherland. Nach dem Studium promovierte sie in Kunstgeschichte. Sie lebte unter anderem in Madrid, Washington, Santo Domingo, Paris und Genf.
Beim Malen hört Ursula Wieland am liebsten Brahms, manchmal setzt sie selbst sich an den Flügel und spielt Bach oder Schumann. Im Radio in ihrer Berliner Altbauwohnung erklingt leise klassische Musik. Wieland hat Mariendisteltee gekocht. Das silberne Tablett ihrer Großeltern mit feinem Gebäck und Weintrauben stellt sie vorsichtig auf die Stapel, die sich auf dem Tisch im Salon angesammelt haben: Publikationen von Künstlern, eigene Bücher und Kataloge.
Überall liegen Bilder und Entwürfe. Zuletzt wurde von ihr in Stuttgart ein zwei Meter großes Triptychon des einstigen Pariser Erzbischofs Jean-Marie Lustiger und den ihm Nahestehenden aller Religionen gezeigt – im Rahmen der Sammelausstellung „Fremd-vertraut“ des Künstlersonderbundes, einem Zusammenschluss von Kreativen, die sich dem gegenständlich-figurativen Realismus verpflichtet fühlen wie einst die „Berliner Secessionisten“. Die Künstlergruppe unter der Leitung von Max Liebermann und Lovis Corinth forderte zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Unterstützung junger Künstler – der späteren Expressionisten. Längst vergangene Zeiten, die in Wielands Wohnung in Gestalt des Mobiliars von Ursula Wielands Vorfahren wieder lebendig werden. Ihre Korrespondenz erledigt die Porträtmalerin mit ihrem Laptop an einem Sekretär aus dem 17. Jahrhundert.
Schon früh war Wieland fasziniert von der Mimik der Menschen – besonders dann, wenn sie eine schlechte Nachricht erhielten. Als Kind durfte sie ihren Vater, einen Arzt, häufig auf Krankenbesuchen begleiten. Bisweilen musste dieser den Angehörigen sagen: „Es geht nicht mehr lange.“ Fasziniert beobachtete das Mädchen dann die Bewegung ihrer Gesichtsmuskeln und die Veränderung des Ausdrucks.
Schon im Vorfeld beschäftigt sich Ursula Wieland intensiv mit den Personen, die sie auf der Leinwand verewigen will: mit ihrem Leben, mit ihrer Art zu sein, mit ihren Gesichtsausdrücken und Haltungen. Viele Menschen hätten verschiedene Gesichter. Sie beobachtet ihr Gegenüber ganz genau. Dieses zeige ihr unbewusst, wie es gemalt werden wolle. Sie selbst ist mit einem Porträt nur zufrieden, wenn es ihr gelungen ist, „die Essenz eines ganzen Lebens aufs Papier zu bringen“, wie sie sagt.
Es ist „die geistig-seelische Ausstrahlung eines Menschen“, die sie interessiert und nicht die „geschminkte Schönheit“. Wenn sie Frauen malt, macht sie diese nicht jünger und die Augen oder Lippen nicht größer. Anders als viele Maler, die ihre Modelle schöner dargestellt haben, als sie sind. „Mit den Augen der Liebe kann man Falten und Fett abstrahieren“, lacht Ursula Wieland.
Besonders aufschlussreich sei der Blick in den Spiegel. „Haben Sie schon mal Menschen dabei beobachtet? Sie machen dann nämlich genau das Gesicht, das sie sehen wollen.“ Auch das Selbstporträt verrate viel. Oftmals sei es zu schmeichelhaft oder zu kritisch. Mit ihrer hohen, wackeligen Leiter holt sie ein unter der Zimmerdecke verstautes 20 Jahre altes Selbstbildnis hervor. „Zu kühl“ urteilten ihre Freunde. Sie selbst dagegen findet: „Das bin ich. Ich sehe mich so. Man sieht sich selbst ja ganz anders als andere einen sehen.“
Möglicherweise sieht man andere genauer als sich selbst? Oftmals weiß sie auf den ersten Blick, mit wem sie es zu tun hat. Aber da gibt es auch so viel, was sie nicht weiß. Sie ist fasziniert von dem Geheimnis, das den Menschen umgibt. Jeden zeichnet sie so, wie sie ihn wahrnimmt. Dabei hilft ihr der Glaube, „dass jeder Mensch in sich gut ist“. Vielleicht kann sie deshalb auch guten Gewissens sagen: „Es hat noch niemanden gegeben, den ich nicht gerne gemalt habe.“
Der große Geiger Yehudi Menuhin (1916 - 1999) beeindruckte sie mit Menschlichkeit und der 2018 verstorbene Stephen Hawking punktete mit Humor. Der unter der Nervenkrankheit ALS leidende geniale Physiker kommunizierte per Sprachcomputer mit ihr und begrüßte sie mit den Worten: „Ich bin gar nicht so großartig und auch nicht so intelligent“. Das war 1992. Später wurde das Bild zugunsten der Internationalen Behindertenstiftung der Vereinten Nationen versteigert. Auch der Erlös vieler anderer Bilder ging an wohltätige Zwecke. Welchen Marktwert ihre Bilder haben, darüber spricht sie nicht.
Was Wieland wirklich antreibt, sind nicht große Namen. Es ist ihre „ewige Neugier“ und die gilt auch den ganz normalen Individuen aus ihrer 50 Ölbilder umfassenden Serie „Die Welt der Flugreisenden“. Menschen, die unterwegs sind, faszinieren die vielgereiste promovierte Kunsthistorikerin seit jeher. Aus den Skizzen, die sie in Flugzeugen und -häfen angefertigt hat, entstanden Ölgemälde, die Wartende, Schlafende und bisweilen Gestrandete zeigen: eine sich auf der Flugzeugtoilette schminkende Frau oder einen Geschäftsmann am Telefon. Fast fotorealistische Stimmungsbilder von auf sich zurückgeworfenen Geschöpfen. Ursula Wielands Neugier ist weiter ungebrochen. Da gibt es noch einige, die sie unbedingt zeichnen möchte. Wen, verrät sie nicht. Solange ein Bild noch nicht fertig ist, lautet ihre Devise: bloß keine Namen!
Von Daniela Noack