Freitag,
22.11.2019 - 09:00
6 min
Kunst auf dem Küchentisch

Von Denise Kopyciok
Volontärin

Foto: Schott
Ein Hauch von Revolution liegt in der Luft, wenn der Name Walter Gropius aufkommt: Bauhaus. Das klingt nach Weimar, Dessau und Berlin – nach großen Künstlern in der Provinz, nach Mythos, Aufbruch und Architektur-Ikonen. An Jena und Mainz denken Design-Fans nicht zwangsläufig zuerst, wenn die Welt 100 Jahre Bauhaus feiert. Doch der Ruf nach Einklang von Form und Funktion breitete sich schnell aus. Und bald spiegelte sich die Bauhaus-Idee in Firmengebäuden, Wohnblöcken und Einfamilienhäusern – und auf dem Küchentisch. Während die Künstlerin Trude Petri der Königlichen Porzellan-Manufaktur in Berlin zum Sprung in die Moderne verhalf, waren es Gerhard Marcks und Wilhelm Wagenfeld, die für das Glasunternehmen Schott dieses Verkaufssegment eröffneten.
Der Spezialglashersteller, damals mit Sitz in Jena, hatte in den 1920er Jahren erste Kontakte zu Bauhaus-Vertretern geknüpft. Durch den Deutschen Werkbund kannten sich die Industriellen des Landes. Auch Gropius war Mitglied und nutzte die regelmäßigen Treffen, Ausstellungen und Kontakte, um seine Bauhaus-Idee zu verbreiten. Einer seiner Gesprächspartner kam aus Jena und hieß Erich Schott.
„Haushaltsgeschirr war für Schott ein komplett neues Geschäftsfeld“, erklärt Dr. Jürgen Steiner, Pressesprecher der Schott AG. Das Unternehmen setzte von Beginn an einen Fokus auf Spezialglas: Feuerfest sollte es sein. Doch mit dem Ende des Ersten Weltkrieges fiel für Schott ein Großteil der Auslandsmärkte weg. Das Unternehmen musste neue Geschäftsmodelle finden, um weiter existieren zu können.
Vom Laborglas zum Haushaltsgeschirr
1918 wagte Schott den Schritt vom Laborglas zum Haushaltsgeschirr. Wenige Jahre später statteten sie das Bauhaus-Musterhaus „Am Horn“ in Weimar aus – mit Gläsern und Backgefäßen. Es war „Vitamin B“, das Schott verhalf, sein Backgeschirr in die Kunst- und Gewerbeszene einzubringen. „Man hat sich eben gekannt“, umschreibt Steiner die guten Beziehungen zwischen dem Glashersteller und der Bauhaus-Familie.
Carl Jakob Jucker und Wilhelm Wagenfeld nutzten das Jenaer Glas für ihre weltberühmten Tischlampen. Die Lampe stand wie das Glasgeschirr im Weimarer Musterhaus. Mit dem Glasgeschirr tat sich Wolfgang Gropius schwerer. Der Bauhaus-Gründer kritisierte „formale Schwächen“ des Schott-Designs und bot eine Zusammenarbeit an. Tassen, Kannen und Glasformen für den Auflauf und den Braten im Ofen sollten eine elegante Form erhalten – ganz in der Bauhaus-Tradition.
Für Architekten und Designer war das Bauhaus eine wichtige Reformbewegung. Dr. Eva Brachert, stellvertretende Direktorin des Mainzer Landesmuseums und eine der Kuratoren der aktuellen Bauhaus-Ausstellung, erklärt: „Der Alltag sollte gezielt gestaltet werden.“ Drei Formen standen im Vordergrund: Kubus, Zylinder und Pyramide. „Mit diesen Formen wurde jongliert“, erklärt Brachert. Die Funktion sollte die Form bedingen – ohne Dekor, Ornamente oder Reliefs. Gläsernes Bauhaus-Design sollte auch in der Küche Einzug halten.
Als die Bauhaus-Schule nach Dessau wanderte, hinterließ sie etliche Designer in Thüringen. Darunter auch Wilhelm Wagenfeld, der zur Staatlichen Bauhochschule ging. Doch als 1930 die Nationalsozialisten in Thürigen die Macht erlangten, wurde auch diese geschlossen. Über den Jenaer Kunstverein kam Wagenfeld in Kontakt mit Erich Schott. Der freiberuflicher Formgestalter hatte die Aufgabe, das Schott-Haushaltssortiment neu zu gestalten. Für das Unternehmen war es ein Experiment, denn Wagenfeld wurde als Künstler direkt in den Entwicklungsprozess miteinbezogen. Das Koch- und Backgeschirr brauchte eine neue Gestalt, das Design der Glasteller, Kaffeetassen, Backschüsseln und Eierkocher musste überarbeitet werden. Es galt, die perfekte Form für eine industrielle Serienproduktion zu finden.
Wagenfeld entwickelte die Idee, dass bei der Auflaufform der Deckel als eigene Backform genutzt werden konnte. Auch die bekannte Wagenfeld-Teekanne entstand in dieser Zeit. Die gläserne, runde Kanne mit dem geschwungenen Griff und dem herausnehmbaren Sieb wurde zu einem bedeutenden Designbeispiel der Bauhaus-Tradition. Das feine Glas wurde so geblasen, dass der fertig gebrühte Tee in einem perfekten Halbstrahl aus der Kanne in die Tasse gegossen wird. Die Teller und Untertassen waren dünn, fein, elegant – und konnten ganz einfach gepresst in Massen produziert werden.
Der damalige Leiter der Bauhaus-Keramikwerkstatt, Gerhard Marcks, entwickelte für Schott die „Sintrax“-Kaffeemaschine weiter. Später ging auch sein Design in Serien-Produktion. Bis heute steht die Sintrax wie Marcel Breuers Lattenstuhl oder der Barcelona-Sessel für den Inbegriff der Weimarer Idee. Mit Bauhaus konnte der neue Wohnstil in Serie gehen.
Doch erst mit László Moholy-Nagy wurde das Geschirr für Schott auch eine wichtige Einnahmequelle. Der Bauhaus-Lehrer kümmerte sich ums Marketing: Das Jenaer Glas erhielt die passende Bauhaus-Werbung. Nagy verstand es in den 30er Jahren, mit Plakaten, Flyern und Werbefilmen Glasgeschirr in deutsche Küchen zu bringen.
1933 zwangen die Nationalsozialisten auch die Dessauer Schule zur Schließung. Doch der Bauhaus-Gedanke blieb bestehen. Die neuen Machthaber nutzten die Designkultur zur Erziehung. Die Formsprache und die Idee der industriellen Serienfertigung habe weitergewirkt, erklärt Eva Brachert: „Arbeitskraft und Produktionsmittel sollten maximal ausgebeutet werden.“ Die Künstler rückten in den Hintergrund. In der Werbeanzeige „Die Schaulade“ von 1935 wird ein gedeckter Tisch für die Teezeit mit dem Wagenfeld-Geschirr gezeigt. Es wurde Schott und Jenaer Glas beworben, der Name Wagenfeld wurde nicht genannt. „An Hand des Schottgeschirrs wird der erzieherische Wert von gut gestaltetem funktionalem Glasgeschirr hervorgehoben“, erklärt Brachert. Auch in der Deutschen Warenkunde von 1939 sei das Bauhaus-Teeservice für den „Deutschen Haushalt“ auf einem gepflegten Tisch empfohlen worden.
Bis zum Ende der 1930er-Jahre stieg der Anteil von Jenaer Glas am Gesamtumsatz von Schott auf 18 Prozent. Formgestalter und Schott Kampagnen-Experte László Moholy-Nagy bekam davon nicht mehr viel mit. Er wanderte 1937 ins amerikanische Exil aus.
Mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges wechselte Schott den Hauptsitz nach Mainz. Das Werk in Jena, ab 1945 auf sowjetisch besetztem Gebiet, wurde enteignet und zu einem volkseigenem Betrieb umgewandelt. So wie sich das Land teilte, teilte sich auch Schott: Mit den Glas-Handwerkern zogen auch die Bauhaus-Schülern in die Mainzer Neustadt. „Mainz war damals eine Stadt, die für ihr Handwerk bekannt war”, sagt Brachert. Industriedesigner Heinrich Löffelhard entwickelte am Rhein die Wagenfeld-Designs weiter.
Die erste Nachkriegsausstellung des wiedergegründeten Deutschen Werkbundes lief 1949 unter dem Titel „neues Wohnen”. In den Großstädten eröffneten Kaufhäuser, Schaufenster mussten dekoriert werden. Die Frage nach dem „Wie sollen wir wohnen?” war in aller Munde.
In den Wirtschaftswunderjahren des vergangenen Jahrhunderts war ein leichter, moderner Lebensstil gefragt. Das Haushaltssegment wurde für Schott zu einem profitablen Markt. Der Preis spielte dabei eine wichtige Rolle. Anders als teures Porzellan oder Keramik war durch die Serienproduktion der Preis einer Wagenfeld Teetasse für fast jeden erschwinglich: Es entstand elegantes Glasgeschirr für den Otto-Normal-Verbraucher.
Doch das Geschäft mit dem Geschirr ließ nach. Pressesprecher Jürgen Steiner: „Bis in die 50er, 60er-Jahre blieb der Umsatz stabil. Doch die Konkurrenz, vor allem durch günstige Ware aus dem Osten, wurde schließlich zu groß.“ 2005 kehrte die Schott AG der Küchenware den Rücken. Die Lizenz am Jenaer Glas wurde an die Zwiesel Kristallglas AG vergeben. Teekannen und Gläser in der Tradition von Wilhelm Wagenfeld werden seitdem im Bayerischen Wald produziert.
Heute, 100 Jahre nach dem ersten Schott-Glasteller, erinnert meist nur ein Besuch auf dem Flohmarkt oder im Antiquariaten an das Jenaer Experiment „Küchengeschirr“. Die Wagenfeld-Teekanne, die 1955 für rund 16 DM im Verkaufsregal stand, kostet neu heute rund 150 Euro, gebraucht gibt es sie für knappe 80 Euro. Bei Schott selbst erinnert heute nichts mehr an die Bauhaus-Vergangenheit. „Bauhaus“ sei zu einer Form unter vielen geworden, urteilt Eva Brachert.