Ein einsames Haus am Waldrand oder eine Hütte in den Bergen: Seit jeher träumen vor allem Stadtmenschen von einem Rückzugsort in der Natur. Eine schöne, aber teure Illusion.
Region. Interpretiert man das frei stehende Haus als ein in der Freiheit stehendes Haus, ist das die Potenzierung des Traums vom eigenen Daheim. Der Nachbar ist dann nicht ein Typ mit Laubbläser, der nach nervtötender Arbeit pfeifend ins Haus trottet, sondern das Eichhörnchen auf dem Baum, ein Reh im Garten, der Schwan auf dem ans Grundstück grenzenden See.
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Wohnen mit freiem Blick auf die Natur ist der Traum vieler Städter – höchstens noch in der Ferne die lärmige Zivilisation, die hier in der Abgeschiedenheit aber nicht stört. Sie vermittelt höchstens das wohlige Gefühl, dem Treiben der Menge im selbst gewählten Exil entkommen zu sein. Die Römer haben das schon so gehalten und sich Zweit- und Drittvillen errichten lassen, der Philosoph Cicero soll sieben Landhäuser besessen haben. Und die in die Antike vernarrten Renaissancemenschen griffen das Teilzeitleben auf dem Land wieder auf. Bis heute sind jene Villen, die Andrea Palladio in Italien entworfen hat, Pilgerstätten für Architekturfans – mitsamt der anspruchsvoll gestalteten Landschaft. Ganz so wild sollte es in der Natur dann doch nicht zugehen.
Dies ist stets die Frage: Fügt sich die Architektur in die Natur ein oder beherrscht sie die Landschaft? Frank Lloyd Wright bettete 1939 in den USA sein „Fallingwater“-Haus für den Warenhausbesitzer Edgar J. Kaufmann am Wasser in die Natur, die Bewohner sollten mit dem Wasserfall leben, nicht mit dem distanzierten Blick darauf. Die Bauherren der hoch auf dem Hügel von Hyères gelegenen Villa Noailles mit Blick auf die Côte d’Azur in den 1920ern lebten ihre Naturvernarrtheit auch mit Leibesübungen auf der Terrasse aus. Mit Blick aufs Mittelmeer und die pittoreske Altstadt turnt es sich freilich noch schöner.
Geduscht wird mit Regenwasser
Heute setzen Architekten und Bauherren auf Nachhaltigkeit, wiewohl es am nachhaltigsten wäre, das Bauen gleich ganz bleiben zu lassen. In Dänemark wurde für ein Haus im Wald von Kattegat Natur verwendet: Holz, Stampflehm, Schild, Reet und Seetang, um den CO2-Fußabdruck möglichst gering zu halten. Ein Haus in den Dünen von Neuseeland lässt sich mit einem Traktor wegbewegen, geduscht wird mit Regenwasser aus einer Tonne. Und dass ein Schweden-Häuschen nicht im klassisch rot gestrichenen Holzgewand daherkommt, sondern aus Beton, geht insofern in Ordnung, als es auf felsigem Grund steht. Der Erdaushub für zwei Häuser in Island wurde als Windschutzwall verwendet, die abgetragene Vegetation wächst nun auf den grünen Dächern weiter. Architektur duckt sich in die Natur.
Anders im Hochadel des 18. Jahrhunderts. Die Gestaltungslust müßiggängerischer Herrschaften gipfelte in „pittoresken Urhütten aller Art“, wie der Architekt Jakob Schoof in dem reich bebilderten Buch „Bewohnte Natur“ (Edition Detail) schreibt: „Nicht selten ließen sie diese Eremitagen sogar von bezahlten Einsiedlern bewohnen.“ Die französische Königin Marie-Antoinette ließ im Schlosspark von Versailles in einem „Hameau de la Reine“ (Weiler der Königin) bäuerliche Gebäude errichten, um sich hier als Landmädchen verkleidet zu amüsieren.
An Luxus hat es dennoch nicht gefehlt, wie Schoof weiß: „Sehr im Gegensatz zum rustikalen Äußeren besaßen die Bauten ein elaboriertes Rokoko-Interieur.“ Auch die Cottage-Manie im England des 19. Jahrhunderts und William Morris’ Kunsthandwerksbewegung Arts & Crafts, die im „Red House“ gebaute Gestalt annahm, feierte das idyllisch ländliche Dasein, doch waren die Häuser keineswegs primitive Bauernhütten.
Außen einfach, innen hochmodern
Daran hat sich bis heute nichts geändert, wie die im Bildband gezeigten Wohnbauten in der Natur zeigen. Von außen eine original belassene Hütte in den Schweizer Alpen, im Inneren eine hochmoderne Küche samt Kamin; Reste verfallener Vulkanhäuser auf den Azoren umhüllen nun strenge Sichtbetonbauten. Gemeinsam ist den Projekten die Lust am radikalen Naturerlebnis. So wie die 2,4 mal 4,90 Meter winzige, dabei neun Schlafstätten (und einen Hirschkopf an der Wand) fassende Hütte auf 2260 Meter Höhe mitten im Kanin-Massiv an der slowenisch-italienischen Grenze. Und das Refugium mit Pool mitten in der Dschungelvegetation in Brasilien.
Das freilich sind bis auf wenige Projekte Hütten für Gutverdienende. Berg- und Waldeinsamkeit muss man sich leisten können.
Von Nicole Golombek