Auf einem beschwingt-verträumten Gitarrenriff schwebt eine mehrstimmige Gesangszeile ein: „Here they come…“ – schon sind wir mittendrin im „Monterey Pop Festival“,...
. Auf einem beschwingt-verträumten Gitarrenriff schwebt eine mehrstimmige Gesangszeile ein: „Here they come…“ – schon sind wir mittendrin im „Monterey Pop Festival“, im Eröffnungssong „Enter The Young“ der musikhistorisch sonst nicht weiter bedeutsamen kalifornischen Sunshine-Pop-Band „The Association“. Dreißig weitere Künstler werden an diesem 16. Juni 1967 und den zwei folgenden Tagen in der Küstenkleinstadt, knapp 200 Kilometer südlich von San Francisco, auf der Bühne stehen und Geschichte schreiben: Das Spektakel gilt heute als musikalischer Höhepunkt des „Summer Of Love“ und als erstes großes Rockfestival überhaupt – die Blaupause für alle späteren Open-Air-Massenzeremonien, von Woodstock 1969 bis Wacken 2017.
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Aber Achtung – schon an diesem Punkt mischen sich Wahrheit und Legende. Denn Monterey ist nicht das erste Festival seiner Art. Genau eine Woche zuvor stehen in einem Nationalpark nördlich von San Francisco beim „KFRC Fantasy Fair and Magic Mountain Festival“ 33 Bands auf der Bühne, darunter Jefferson Airplane, The Byrds, Canned Heat und die Steve Miller Band, die auch zum Line-Up in Monterey gehören. Im Unterschied zum berühmten Nachfolger wird das Magic Mountain Festival allerdings nicht von einem professionellen Kamerateam begleitet, hat außerdem fast ausschließlich kalifornische Künstler aufzubieten – und gerät wohl deshalb schnell in Vergessenheit. Zu Unrecht, denn zum ersten Mal wagt sich hier eine vielversprechende Newcomerband aus Los Angeles vor ein größeres Publikum – ihr Name: The Doors.
Flower Power statt Black Power
Der Sommer der Liebe in San Francisco ist im Juni 1967 schon fast wieder vorbei. Er begann als Happening mitten im Winter. Mehr als 20 000 Menschen bevölkern beim Human Be-In am 14. Januar 1967 den Golden Gate Park, spielen, musizieren, singen, tanzen, malen. Auf der Bühne verkündet Drogenguru Timothy Leary sein unübersetzbares Hippie-Mantra: „Turn in, tune in, drop out.“ Die passende Musik steuern die Hausbands der Haight-Ashbury-Szene bei: Grateful Dead, Jefferson Airplane, Quicksilver Messenger Service und Big Brother & The Holding Company mit ihrer noch unbekannten Frontfrau Janis Joplin.
Haight-Ashbury: Seit Mitte der sechziger Jahre wächst in dem Viertel gleich östlich des Golden Gate Parks rund um die Kreuzung von Haight Street und Ashbury Street eine Subkultur, die mit Kunst, Mode, Musik und Drogen experimentiert, während sich der Rest von Amerika politisch auflädt. Im Oktober 1966 wird die Black Panther Party gegründet, die Bürgerrechtsbewegung um Martin Luther King schart immer mehr Anhänger um sich, an den Universitäten gärt es, Studenten protestieren gegen den Vietnamkrieg. Die Szene in San Francisco propagiert stattdessen Flower Power, zelebriert Love & Peace und erweitert ihr Bewusstsein mit LSD und Marihuana. Jerry Garcia, Sänger der Grateful Dead, formuliert es so: „Uns geht es um einen friedlichen Planeten. Um nichts anderes. Es hat nichts mit Macht oder ähnlichen Kämpfen zu tun. Auch nichts mit Revolution oder Krieg. Wir wollen einfach nur ein freies, ein einfaches, ein gutes Leben haben. Und wir wollen die menschliche Rasse ein Stück voranbringen.“
Früh zeigen sich im vermeintlichen Hippie-Idyll allerdings auch Verfallserscheinungen: Im Frühjahr karren Busse die ersten Touristen durchs Viertel.
Während sie von bürgerlichen Amerikanern als exotische Attraktion bestaunt werden, ecken die Hippies mit ihrem Ausklinken aus der Realität bei politisch engagierten Aktivisten an. „Das Verhalten der Hippies empfanden wir als Rückzug von der von uns gewollten Revolution, nur um eines egoistischen Genusses willen“, erinnert sich später der Filmemacher Tom Luddy, in den Sechzigern Student in Berkeley. „Es gab Bezüge, aber nie eine tiefe Verbindung zwischen der politischen Linken und der Counterculture.“
Zu den Gemeinsamkeiten der Szenen zählt neben der Ablehnung gesellschaftlicher Konventionen sowie des Krieges auch die Liebe zur selben Musik. Und so finden sich am 16. Juni nicht nur Hippies auf den Monterey County Fairgrounds ein. Die Idee zu dem Festival hatte der Amateurfotograf Alan Pariser schon 1966, lange bevor John Philips, Bandleader von The Mamas & The Papas, und ihr Produzent Lou Adler die Veranstaltung an sich reißen. In das Organisationskomitee berufen die beiden einflussreiche Freunde und populäre Musiker, darunter Donovan, Mick Jagger, Paul McCartney und Beach Boy Brian Wilson, die aber selbst nicht auftreten. Nicht die etablierte Prominenz lässt das Festival zu einem denkwürdigen Ereignis werden, sondern Newcomer: Die Bühne in Monterey wird zum Startpunkt einiger Weltkarrieren.
Pete Townshend und Jimi Hendrix geraten in Ekstase
The Who und Jimi Hendrix, damals zwar Abräumer in England, in den USA jedoch bestenfalls Geheimtipps, überbieten sich mit ekstatischen, direkt aufeinander folgenden Auftritten. Im Finale von „My Generation“ schwingt Who-Gitarrist Pete Townshend sein Instrument wie eine Axt, zertrümmert es schließlich auf dem Bühnenboden. Hendrix setzt noch einen drauf, steckt, in eindeutig sexueller Pose knieend, genüsslich seine Gitarre in Brand. So etwas hatte in Amerika noch niemand gesehen. Auf subtilere Art, mit der Gelassenheit eines Buddhas, fesselt Sitar-Virtuose Ravi Shankar das Publikum. Schon Beatle George Harrison hatte sich vom Zirpen der indischen Langhalslaute hypnotisieren lassen – wie auf dem zwei Wochen zuvor in den USA erschienenen Album „Sgt. Pepper’s“ zu hören ist. Soulman Otis Redding tritt in Monterey erstmals vor ein weißes, amerikanisches Pop-Publikum und beschert der schwarzen Musik mit seiner intensiven Show einen enormen Schub. Auch die Haight-Bands trumpfen auf, allen voran Janis Joplin: Ihre hochenergetische Performance mit Big Brother zündet ihren steilen Aufstieg zum ersten weiblichen Rockstar überhaupt.
Die drei Tage von Monterey sind der Moment, in dem die Musik der Gegenkultur, der Sound von San Francisco, im Mainstream und in der Professionalität ankommt. Dort, wohin der vorher nahezu unbekannte Sänger Scott McKenzie mit dem von John Philips geschriebenen Instant-Hit „San Francisco (Be Sure To Wear Flowers in Your Hair)“ schon im Mai 1967 durchgestartet war. Mit McKenzie und The Mamas & The Papas klingt das Festival dann auch aus.
Knapp vier Monate später tragen die „Diggers“, die anarchistischen Straßenkünstler von Ashbury-Haight, die Hippie-Kultur in einem letzten Happening feierlich zu Grabe. Das im Herbst 1967 in San Francisco gegründete Magazin „Rolling Stone“ zieht in seiner ersten Nummer ein ernüchterndes Resümee: „Worte sind zu Labels geworden, Ideale zu Slogans und Kunst zu Werbung.“