Augen, Mund, Nase, Penis: Aufklärung für Kleinkinder

Viele Eltern scheuen sich, die Geschlechtsteile ihrer Kinder zu benennen. Pädagogen warnen: Sprachlosigkeit kann gefährlich sein.

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. Interessiert schaut das kleine Mädchen den nackten Gestalten auf der Bank zwischen die Beine und berührt sie. „Der hat einen Penis wie mein Bruder und die andere eine Scheide wie ich.“ Mann und Frau also, ist doch logisch. Das Mädchen winkt dem Skulpturen-Pärchen noch zu. Dann läuft es zufrieden weiter. Zwei ältere Damen aber tuscheln empört. Es fallen Sätze wie „Die ist doch höchstens drei“, „Diese frühe Sexualisierung schadet den Kindern“. Und natürlich: „Früher hat es so was nicht gegeben.“ Die Mutter erntet abschätzige Blicke.

In Elternforen toben hitzige Diskussionen

Dabei haben das kleine Mädchen und seine Eltern alles richtig gemacht. „Die Sexualerziehung gehört von Geburt an in den Familien dazu“, sagt Konrad Weller, Professor für Sexualwissenschaft an der Hochschule Merseburg. Denn sobald Eltern ihre Babys wickeln und baden, werden sie natürlich auch mit deren Geschlechtsteilen konfrontiert - und mit der Frage: Wie nennen wir das eigentlich, was sich da zwischen den Oberschenkeln verbirgt oder baumelt?

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In einschlägigen Elternforen im Internet lassen sich drei Fraktionen ausmachen: Die Vermeider bezeichnen alles unscharf als „Popo“ oder „untenrum“, werden dafür aber hart kritisiert. Schließlich ist es für ein Kind, spätestens wenn es aufs Klo gehen soll, nicht unerheblich, etwas genauer darüber Bescheid zu wissen, wie das mit dem Ausscheiden von Urin und Stuhl so funktioniert.

„Maus“, „Strullerliese“ und „Spardöschen

Die den Beiträgen nach größte Fraktion, die Kreativen, denkt sich kindgerechte Begriffe für die Geschlechtsteile aus. Bei Jungs stehen Pullermann, Schniedel, Zipfel oder Pipimann hoch im Kurs. Es fallen aber auch Synonyme wie Regenwurm oder Gießkanne. Bei alternativen Wörtern für die weibliche Scheide tun sich die kreativen Eltern etwas schwerer. Mumu, Muschi, Pflaume oder Pipiline? Oder doch lieber Strullerliese oder gar Spardöschen?

Für die dritte Fraktion, die Realisten, ist das alles Quatsch. Sie fordern: „Nennt die Dinge beim Namen, also Scheide oder Vagina, Penis oder Glied.“ Eine Mutter schreibt: „Der Mund ist ja auch nicht der Essi und die Nase der Riechi!“ Es melden sich auch Erzieherinnen zu Wort, die im Kindergarten erlebt haben, wie Kinder ausgelacht werden, wenn sie zur Scheide „Maus“ sagen. Oder zunächst nicht verstanden haben, wo es einem Kind wehtut, wenn es „Aua am Schmetterling“ hat.

Konrad Weller rät Eltern, den Weg zu gehen, der für sie selbst am angenehmsten ist. „Wer sich mit den Begriffen Penis und Scheide nicht wohlfühlt, erfindet besser einen anderen Namen. Wer das vom Schamgefühl her nicht braucht, sollte Kindern ruhig von Anfang an die biologisch korrekten Begriffe beibringen.“

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Wichtig ist nur, dass Eltern die Geschlechtsteile überhaupt irgendwie benennen und darüber reden. „Ich erlebe immer wieder Eltern, die alle Körperteile bis zum Bauchnabel sehr genau bezeichnen und dann wird es plötzlich sehr schwammig“, sagt Michael Hummert, Dozent am Institut für Sozialpädagogik in Münster.

Tabus und Sprachlosigkeit vonseiten der Eltern führten aber immer dazu, dass für die Kinder Raum geschaffen wird für beunruhigende Fantasien und Ängste. Sie trauen sich dann auch nicht unbedingt zu fragen, wenn sie etwas über ihre Geschlechtsteile wissen möchten, weil sie merken: Den Eltern scheint das unangenehm zu sein.

Michael Hummert rät solchen Eltern trotzdem, unbedingt über ihren Schatten zu springen. Denn herrscht in diesem Bereich Sprachlosigkeit in den Familien, „werden sich die Kinder vermutlich auch keine Hilfe bei ihren Eltern holen, wenn sie mal schlechte Erfahrungen machen“, sagt Hummert und spricht damit Fälle von sexuellem Missbrauch an.

Was seiner Erfahrung nach vielen Eltern hilft, sind Bilderbücher über den Körper. „Man muss diese auch nicht zwanghaft anschauen. Sie können einfach herumliegen wie andere Bücher auch. Das Kind wird sie dann bei Interesse schon hervorholen“, sagt Michael Hummert. Dann könne man dem Kind auch genau so viel erzählen, wie es wissen möchte. „Es geht ja nicht darum, Zweijährige komplett aufzuklären. Aber sie sollen wissen, dass sie auf ihren gesamten Körper stolz sein können, so wie er ist.“

Ohnehin hat kindliche Sexualität nichts mit dem zu tun, was wir Erwachsenen darunter verstehen. Vielmehr geht es um Neugier und Körpergefühl. Am besten beobachten lässt sich das bei Doktorspielen, welche beinahe alle Kindergartenkinder irgendwann mal begeistern. Sich nackig ausziehen und schauen, ob der andere auch so einen lustigen Bauchnabel, einen Leberfleck am Po oder eben einen Penis hat, ist für Kinder genauso spannend zu erforschen wie eine Wasserpfütze oder die Funktionsweise der Klospülung.

Entdecken Kinder gemeinsam ihre Körper, lernen sie dabei noch etwas ganz Entscheidendes: nicht nur die Achtung vor dem eigenen Körper, sondern auch vor dem der anderen. „Ich muss Nein sagen, wenn mir etwas nicht gefällt, und umgekehrt die Grenzen des anderen respektieren“, sagt Sexualwissenschaftler Konrad Weller. Da Kindergärten angesichts von Missbrauchs- und Pädophilie-Vorfällen sehr vorsichtig geworden seien, Kinder nackig herumspringen zu lassen, empfiehlt er Eltern, dies im geschützten familiären Umfeld zu ermöglichen.

Von Sandra Markert