In Italien weitgehend unbekannt, in Deutschland ein Klassiker: Vor 50 Jahren erfindet Dario Fontanella in Mannheim das beliebte Vanille-Eis mit Erdbeer-Soße.
Von Florian Gann
Allein am 50. Geburtstag des Spaghetti-Eises gingen in der Eisdiele Fontanella 2000 Portionen über den Tresen.
(Foto: Axel Heiter Fotodesign)
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Der Eisdielen-Mitarbeiter stochert mit einem Plastiklöffelchen im Karamell-Eis mit Himalaja-Salz. Aber er findet nicht die richtige Stelle. „Sotto, sotto – darunter“, weist Dario Fontanella seinen Mitarbeiter auf Italienisch an. Der Chef hat eine genaue Vorstellung, wo man das perfekte Eis erwischt, um den Gast probieren zu lassen. Danach schaut Fontanella einen mit seinen blauen Augen an. „Und?“, scheinen sie zu sagen, er achtet genau auf die Reaktion. Karamell-Himalaja-Salz schmeckt großartig, genauso wie Gurke-Zitrone-Dill, Erdbeer-Basilikum, Zitrone-Minze und die etwa 20 anderen Sorten, die Fontanella vorher schon über den Tresen gereicht hat.
Die Idee hat Fontanella bei einem Skirennen
380 Eissorten hat Fontanella nach eigenen Angaben schon ausgetüftelt. Bekannt ist er aber vor allem für seine erste Kreation: Spaghetti-Eis. Vor 50 Jahren war das. Dass daraus der meistverkaufte Eisbecher Deutschlands werden würde, ahnte damals keiner.
Bevor man mit Dario Fontanella über die Geschichte des Eises reden kann, bekommt man erst mal eine Einführung, wie Eis richtig hergestellt wird. Der 67-Jährige sitzt vor seiner Eisdiele in Mannheim, hinter ihm rauscht die Straßenbahn vorbei. Er geht ins Detail, eineinhalb Stunden lang: Wie viel Fruchtanteil brauche ich beim Fruchteis (38 bis 45 Prozent), wo bekommt man die beste Sahne für das Eis her (aus Bad Kissingen, „Die ist bei der Blindverkostung hervorragend“), welche Temperatur braucht das Eis in den Behältern der Diele (minus 14 Grad) und warum dürfen sie nicht zu stark gefüllt sein (weil es dann an der Oberfläche zu warm wird und die Textur nicht mehr stimmt). Immer wieder folgt sein Blick während dieses Qualitätseis-Crashkurses seinen Mitarbeitern. „Ich bin Perfektionist”, sagt Fontanella. Er ist aber auch Tüftler, das war schon immer so.
Allein am 50. Geburtstag des Spaghetti-Eises gingen in der Eisdiele Fontanella 2000 Portionen über den Tresen. Foto: Axel Heiter Fotodesign
Die Eisdiele wurde 1952 eröffnet. Foto: Axel Heiter Fotodesign
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Fontanella, damals 17 Jahre alt, bestellt sich im Februar 1969 bei einem Skirennen in Cortina d’Ampezzo das Dessert „Mont Blanc“, dünne Fäden von Esskastanien-Püree, die sich wie der höchste Berg Europas auftürmen. Da kommt Fontanella auf die Idee, das in der Eisdiele seines Vaters mit Eis zu probieren, aber in den Farben der italienischen Nationalflagge. Er verwendet dazu, nach Vorbild des „Mont Blanc“-Desserts, eine Spätzlepresse. Bei den ersten Versuchen zu Ostern 1969 kommt nur Eissoße heraus. Erst als er die Presse stark kühlt, schafft es der junge Fontanella, die Fäden zu ziehen.
Die Reaktion seines Vaters fällt nüchtern aus: „Ich habe noch nie bunte Nudeln gesehen“, sagt Fontanella senior, den der Junior „mein Mentor, mein Alles“ nennt. Er solle doch Vanille-Eis nehmen, rät der Vater, das hätte die Farbe des Nudelteigs. Dabei war das mit den Nudeln gar keine Absicht. Fontanella machte noch Erdbeerpüree dazu – die Soße für die Nudeln. Dann schnappte er sich eine Parmesanreibe – „die in keinem italienischen Haushalt fehlen darf“ – und raspelte ein weißes Schoko-Osterei drüber: der Parmiggiano. Und fertig war das Nudelgericht in Eisform.
DAS KOMMT INS SPAGHETTI-EIS
Vier Zutaten, mehr braucht es nicht für das Spaghetti-Eis: Aus dem Vanille-Eis werden die Nudeln gepresst, Erdbeermus stellt die Tomatensoße dar, geraspelte weiße Schokolade gibt den Parmiggiano. Die vierte Zutat – Schlagsahne – kam übrigens erst später hinzu, weil die deutschen Eisliebhaber immer danach fragten. Damit sie die Spaghetti-Optik nicht zerstört, versteckte Fontanella die Sahne unter dem Eis.
Um das Vanille-Eis in Nudelform zu bekommen, wird es durch eine Spätzlepresse gedrückt, die eiskalt sein muss, damit das Eis nicht schmilzt.
Mit einem Patent wäre er heute Millionär
Im Frühjahr 1969 stand es dann auf der Karte im Eissalon Fontanella – das Spaghetti-Eis war erfunden Irgendwann war die Optik so perfekt, dass Kinder weinten, wenn sie Spaghetti-Eis vorgesetzt bekamen, weil sie glaubten, Nudeln mit Tomatensoße vor sich zu haben. So geht die Fontanella-Legende. Heute steht Spaghetti-Eis hierzulande in fast jeder italienischen Eisdiele auf der Karte. 23 bis 25 Millionen Portionen Spaghetti-Eis werden in Deutschland jährlich verkauft, schätzen Fontanella und der Verband Uniteis. So viele wie von keinem anderen Eisbecher.
Hätte Fontanella das Eis patentieren lassen, könnte er Millionär sein. Sein Vater und dessen Anwalt hielten ein Patent jedoch für eine Schnapsidee – und mit 300 Mark für zu teuer. Anders als oft behauptet, trauert er dem aber nicht nach: „Wenn es geschützt gewesen wäre, hätte es heute nicht diesen Erfolg.“ Wäre Spaghetti-Eis auch so erfolgreich gewesen, wenn er es in Italien erfunden hätte? „Ich glaube nicht.“ Bis heute gibt es Spaghetti-Eis in Italien nur dort, wo deutsche Touristen sind.
Klar, „die Geschmacksrichtung ist perfekt“, und dass Vanille und Erdbeere gemeinsam funktionieren, sei ja bekannt. Auch der Name ist wichtig. Spaghetti klingt italienisch, „fast wie ein Mikro-Urlaub“. Das Erfolgsrezept italienisches Urlaubsfeeling funktioniert in Deutschland noch immer. Allein am 6. April, dem 50. Geburtstag des Eises, gingen bei Fontanella 2000 Portionen raus. Der Name Fontanella prangte aber schon auf Eisbuden, lange bevor im Haus das Spaghetti-Eis erfunden wurde. 1906 eröffnete Michelangelo Fontanella in Conegliano im italienischen Treviso eine Gelateria. Dort ging dann auch Mario Fontanella, Darios Vater, durch harte Lehrjahre. Mit dem Wissen aus den Lehrjahren im Gepäck wanderte Fontanella 1931 nach Deutschland aus, 1933 folgte er dem Ratschlag von Freunden und zog nach Mannheim – mildes Klima, Weinberge und Deutschlands schönste Frauen solle es hier geben. Im selben Jahr eröffnete er den ersten italienischen Eis-Salon in Mannheim, seit 1952 – dem Geburtsjahr Dario Fontanellas – ist man im heutigen Stammhaus. Seit 1970 ist der jetzige Chef offiziell Teil des Betriebes.
Der Traum von einer Karriere als Rennfahrer
Eigentlich wollte Fontanella Rennfahrer werden, er ist immer noch großer Fan des jüngst verstorbenen Niki Lauda. „Lauda und Ferrari waren die perfekte Kombination.“ Perfekt, dieses Adjektiv verwendet er oft. Auch deswegen benutzt er in seiner Eis-Manufaktur immer noch eine modifizierte Spätzlepresse. Per Handkraft wird das Vanilleeis zu Fäden gepresst, das sei anstrengender, aber damit könne man auf die Konsistenz des Eises reagieren. „Letztendlich ist wichtig, dass das Spaghetti-Eis perfekt ist.“