1945: Breslaus Untergang

Archivfoto: wikimedia

Erst am 6. Mai 1945 kapitulierte die schlesische Metropole. Tausende Zivilisten starben in der von der Wehrmacht gesprengten Stadt.

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. Berlin und Dresden stehen für Zusammenbruch und Zerstörung des Nazireiches im Jahr 1945. Doch auch die schlesische Hauptstadt Breslau wurde ausgelöscht. Erst am 6. Mai 1945 kapitulierte die zur „Festung“ erklärte Stadt, Tausende starben.

Der Angriff der Sowjets Richtung Breslau begann schon im Januar 1945. Die Wehrmacht hatte die vorherige Kampfpause genutzt und ein teils tiefgestaffeltes Verteidigungssystem aufgebaut. Städte wurden zu Festungen erklärt, deren Kapitulation bei Androhung der Todesstrafe verboten wurde. Am Vorabend des sowjetischen Angriffs umfassten die deutschen Truppen 400 000 Mann, die über 1200 moderne Panzer und Sturmgeschütze verfügten und von 500 Flugzeugen unterstützt wurden. Die Steigerung der deutschen Waffenproduktion im Jahr 1944 durch den rücksichtslosen Einsatz von Millionen Zwangsarbeitern führte dazu, dass die Wehrmacht Anfang 1945 trotz ihrer hohen Verluste über ihren höchsten Waffenbestand des Krieges verfügte. Der Schwachpunkt der Wehrmacht war die unzulängliche Versorgung mit Treibstoff. Trotz der verheerenden Niederlagen war die militärische Schlagkraft der Wehrmacht hoch.

Zwei Millionen sowjetische Soldaten mit 7000 Panzern, 36 000 Geschützen und rund 7000 Kampfflugzeugen eröffneten vom 12. bis 14. Januar 1945 auf einer 500 km langen Front den Angriff auf die deutschen Truppen. Das heftige Trommelfeuer und der massive Einsatz der Panzerdivisionen brachten die deutsche Abwehrfront bereits in den ersten Tagen der Offensive zum Einsturz.

Am 17. Januar wurde das zerstörte Warschau befreit, danach Krakau. Die sich abzeichnende Niederlage der deutschen Truppen in Schlesien sollte nun der fanatische Nazi, Generaloberst Ferdinand Schörner, im Auftrag Hitlers abwenden. Schörner befahl, die schlesische Hauptstadt Breslau als Festung „bis zum letzten Mann zu verteidigen“. Damit wurde die Selbstvernichtung, das „Halten um jeden Preis“ und die Opferung von Soldaten und Zivilisten in Kauf genommen. Mehr als 450 000 deutsche Soldaten starben nach Schätzungen des Militärhistorikers Rüdiger Overmanns im Januar 1945. Auf die Monate Februar bis April entfielen jeweils über 280 000 Gefallene, im Mai gab es noch einmal 95 000 Tote. Diese Politik der Selbstvernichtung wurde auch bei der nun beginnenden Verteidigung Breslaus praktiziert. Der Gauleiter Karl Hanke ordnete am 19. Januar an, dass „waffenuntaugliche Zivilisten“ die Stadt zu verlassen hätten. In Breslau, das bisher nicht bombardiert worden war, befanden sich zu diesem Zeitpunkt etwa 700 000 Zivilisten. Ein Transport so vieler Menschen per Eisenbahn war kaum möglich. Am 20. Januar wurden mehrere Hunderttausend Menschen, auch unter Einsatz von Gewalt, in Kolonnen zu Fuß aus der Stadt in die tödliche Kälte Richtung Westen getrieben. Zehntausende erfroren und starben an Erschöpfung. „Viele Kinder und Erwachsene sind in der strengen Winterkälte erfroren und blieben im Straßengraben liegen“, schreibt der katholische Domvikar Paul Peikert in seiner Chronik der Zerstörung Breslaus. „Suchkommandos für solche Toten konnten auf ihren Lastwagen die Zahl der Toten nicht bergen, so viele fanden sie.“ Trotzdem blieb die NS-Herrschaft in der Stadt intakt. Bei den letzten freien Wahlen hatten im März 1933 über 50 Prozent der Wähler für die NSDAP gestimmt. Die Machtübernahme der Rechtsradikalen war mit einer zügellosen Gewalt gegen die Breslauer Arbeiterbewegung und städtische Demokratie verbunden. Die 20 000 Menschen umfassende jüdische Gemeinde wurde einem wachsendem Terror unterworfen. Sie wurden zugunsten der Breslauer „Volksgemeinschaft“ enteignet. Der Hass entlud sich am 9. November 1938, als fast sämtliche Breslauer Synagogen brannten, Hunderte Geschäfte und Wohnungen geplündert und Tausende jüdische Männer in Konzentrationslager deportiert wurden. Zwischen November 1941 und April 1944 wurden dann über 7 000 jüdische Breslauer in den Vernichtungslagern ermordet. Als zentraler Eisenbahnknotenpunkt, Standort wichtiger Rüstungsfabriken und großer Lazarette war die Stadt seit dem Beginn des deutschen Überfalls auf die Sowjetunion am 22. Juni 1941 wichtiger Bestandteil der deutschen Kriegsführung im Osten.

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Am 15. Februar wurde Breslau endgültig von der „Roten Armee“ eingeschlossen. 50 000 Soldaten verteidigten die Stadt. Dort lebten zu diesem Zeitpunkt noch 200 000 Zivilisten und 30 000 Zwangsarbeiter. Die angreifende sowjetische 6. Armee war personell zu schwach, um die Stadt schnell einzunehmen. Für die Führung der Roten Armee wurde die im Hinterland der sowjetischen Front gelegene Stadt mit dem weiteren Vormarsch zur Oder und nach Berlin zum Nebenkriegsschauplatz.

Dennoch starben in Häuserkämpfen noch 13 000 sowjetische Soldaten. Zentral für die deutsche Strategie war die Verwandlung Breslaus in eine Trümmerlandschaft. Tausende von Gebäuden wurden von deutschen Kommandos in Brand gesetzt oder gesprengt, um freies Schussfeld zu erhalten. Im historischen Stadtkern wurde Mitte März mit dem Bau einer behelfsmäßigen Landebahn begonnen, über die die Luftversorgung auch nach Verlust des Flughafens sichergestellt werden sollte. Auf einer Länge von 1,3 Kilometern und einer Breite von 300 Metern wurden alle Gebäude samt Inventar angezündet oder gesprengt. Anschließend wurde das Gelände unter Einsatz Tausender Zivilisten und Gefangener eingeebnet. Mehr als 10 000 Menschen sollen beim Bau dieser „Rollbahn“ gestorben sein. Die meisten Opfer der deutschen Kampfführung gab es unter der Breslauer Zivilbevölkerung. Nach unterschiedlichen Schätzungen wurden bis zu 70 000 Menschen getötet. Die Wut der Menschen über die sinnlose Zerstörung und die Hinauszögerung der Kapitulation mündete in offene Proteste. „Je eher die Russen kommen“, notiert Paul Peikert, „desto eher kann dem Zerstörungswerk, das vor allem von unserer Führung ausgeht, ein Ende bereitet werden.“

Der Terror unter der Verantwortung des Festungskommandeurs General Niehoff sollte jede Regung von Widerstand im Keim ersticken. Mehrere Hundert Zivilisten und Soldaten wurden von der Gestapo hingerichtet oder durch Standgerichte wegen Sabotage, Zersetzung oder Feigheit vor dem Feind zum Tode verurteilt. Es formierte sich trotz des Terrors eine Widerstandsbewegung, die durch Flugblätter und bewaffneten Kampf gegen die Naziherrschaft mobilisierte. Es kam zu einer Reihe erfolgreicher militärischer Aktionen gegen Nazi-Kader und Wehrmachtseinrichtungen. „Heute kommt die Nachricht“, notiert Domvikar Peikert am 31. März „dass auf drei Ortsgruppen durch Zeitbomben ein Attentat verübt worden ist.“ Doch der Widerstand war politisch und militärisch zu schwach, um die Selbstvernichtung der Stadt zu verhindern. Erst am 6. Mai kapitulierte General Niehoff. Nach der Eroberung verschlechterte sich die Situation für die Überlebenden weiter: Krankheiten verbreiteten sich in der Trümmerstadt, sowjetische Soldaten raubten und vergewaltigten. Die im Februar 1945 noch unversehrte Stadt glich nun einer verbrannten Ruinenlandschaft.

Von Erich Später