Giuseppe Conte, der Ministerpräsident Italiens, besucht am Montag Bundeskanzlerin Angela Merkel in Berlin. Klingt nach Routine, ist es aber nicht. Ein Italiener trifft eine...
. Giuseppe Conte, der Ministerpräsident Italiens, besucht am Montag Bundeskanzlerin Angela Merkel in Berlin. Klingt nach Routine, ist es aber nicht. Ein Italiener trifft eine Deutsche. Es geht um Geld, sagt die Deutsche. Es geht um Gerechtigkeit, sagt der Italiener. Kaum ein Verhältnis zwischen zwei Völkern ist so emotional beladen, von Vorurteilen verzerrt und von Missverständnissen geprägt. Schon der römische Schriftsteller Tacitus schilderte die Germanen als Tag und Nacht saufende Wilde, aber als ein Volk "frei von Falsch und Trug". Goethe, der Vater aller Italien-Schwärmer, warf sich 1786 in eine Kutsche und eilte über die Alpen zum "Ziel meiner innigsten Sehnsucht, deren Qual mein ganzes Inneres erfüllte".
Eine Spruchweisheit: Die Deutschen lieben die Italiener, achten sie aber nicht; die Italiener achten die Deutschen, lieben sie aber nicht. Was ist da dran? Jeder kennt Schlager wie "Komm ein bisschen mit nach Italien" oder "Ciao ciao, bambina (Du darfst nicht weinen!)". Die Gefühle der Italiener für Wolfsburg oder Sindelfingen lassen sich eher mit Geldnoten beschreiben. Verständlich. Suchen wir an der Basis aller Gesellschaften: der Familie. Rund 85 000 deutsch-italienische Ehen zählt das Statistische Bundesamt; die Scheidungsrate liege höher als bei nationalen Verbindungen. Eine Zählung aus Baden-Württemberg lässt aufhorchen: Dort führten die Italiener doppelt so häufig eine deutsche Ehefrau zum Altar wie Italienerinnen einen deutschen Ehepartner. Bei allen anderen binationalen Ehen ist das Verhältnis ausgeglichen.
Nun also kommt Conte, im Gepäck die "Mutter aller Reformen", wie es heißt, zur Mutter Europas, wie man Angela Merkel in Brüssel respektvoll nennt. Beide werden über ungelegte Eier reden. Der Europäische Unterstützungsfonds in Höhe von 750 Milliarden Euro ist nicht unter Dach und Fach. 170 Milliarden Euro würde Italien erhalten, das von der Virus-Pandemie am stärksten gebeutelte Land der EU. Dafür muss der italienische Regierungschef Hausaufgaben machen. Sein Reformpaket soll sicherstellen, dass die Milliarden schnell und unbürokratisch in die Infrastruktur fließen, Bildung und Gesundheit fördern und nicht alte verkrustete Organisationen am Leben halten. Zwar passierte das Paket die Regierung, den genauen Inhalt kennt aber kaum einer, entschieden hat das Parlament auch noch nicht.
"Wir merken uns das", hatte die Zeitung La Repubblica auf dem Höhepunkt der Covid-19-Pandemie getitelt. Da hatten die Deutschen gerade verkündet, ihre Masken und Beamtungsgeräte für sich behalten zu wollen. Stattdessen posierten chinesische und russische Soldaten neben Tonnen von Hilfslieferungen auf italienischen Flughäfen. Das hat sich geändert: Schwerstkranke Patienten wurden aus der Toskana in deutsche Kliniken geflogen, Material landete im Übermaß bei Partnerstädten und -kreisen. Der italienische Botschafter in Berlin nahm gerührt handgemalte Plakate deutscher Sympathisanten entgegen. Da war sie wieder, die Liebe der Deutschen.
Und die Achtung? Bereits zwei Jahre nach ihrem Zusammenbruch werde die Autobahnbrücke von Genua Anfang August eröffnet, titelten diese Woche deutsche Zeitungen. Giuseppe Conte wird voraussichtlich noch auf dem Flughafen Tegel landen.
Von Stefan Schröder