Elf Millionen Tonnen Lebensmittel landen in Deutschland jedes Jahr im Müll. Dies zu reduzieren, ist dringend nötig, um schädliche Treibhausgase zu vermeiden. Wie kann das gehen?
Berlin. Das Ausmaß der weltweiten Lebensmittelverschwendung ist gigantisch. In der Europäischen Union wurden im vergangenen Jahr mehr Lebensmittel weggeworfen als importiert: So wurden 138 Millionen Tonnen landwirtschaftliche Erzeugnisse in die EU eingeführt, 153,5 Millionen Tonnen Lebensmittel wurden vernichtet. Das geht aus einem aktuellen Bericht von „Global Feedback“, einer britischen Wohltätigkeitsorganisation für Umweltkampagnen, hervor.
Treibhausgase durch verschwendete Lebensmittel
Demnach wird pro Jahr weltweit ein Drittel der Lebensmittel verschwendet, während gleichzeitig etwa zehn Prozent der Weltbevölkerung hungert. Das Ausmaß der Lebensmittelverschwendung ist auch deshalb besorgniserregend, weil die Produktion von Lebensmitteln die Umwelt belastet.
Würde weniger Nahrung weggeworfen, müssten weniger Fläche und Wasser beansprucht werden. Zudem werden beim Transport, für die Weiterverarbeitung, Verpackung und Zubereitung tonnenweise Treibhausgase freigesetzt – und zwar völlig umsonst, wenn die Lebensmittel nie gegessen werden. Laut der Welthungerhilfe landen rund 4,4 Milliarden Tonnen Treibhausgase jedes Jahr durch verschwendete Lebensmittel in der Atmosphäre.
Laut „Global Feedback“ machen Lebensmittelabfälle mindestens sechs Prozent der gesamten Treibhausgasemissionen der EU aus und kosten über 143 Milliarden Euro pro Jahr. Die Reduzierung von Lebensmittelverschwendung ist daher eine wichtige Maßnahme – auch, um die Klimakrise zu bekämpfen. Zumal sich die EU mit dem European Green Deal verpflichtet hat, die Treibhausgasemissionen bis 2030 um mindestens 55 Prozent im Vergleich zu 1990 und bis 2050 auf null zu reduzieren.
Großteil der Lebensmittelabfälle im Privaten
Bereits vor sieben Jahren unterzeichnete die EU-Kommission die Ziele für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals, SDGs) der Vereinten Nationen. Unter SDG 12.3 ist darin festgelegt, die Lebensmittelabfälle bis 2030 um 50 Prozent zu reduzieren. Allerdings sind die Mitgliedsstaaten noch weit davon entfernt, dieses Ziel zu erfüllen.
Ein Großteil der Lebensmittelabfälle entsteht in privaten Haushalten: In Deutschland fallen 59 Prozent (6,5 Mio. Tonnen) in diesem Bereich an. Laut Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) wirft jeder Verbraucher etwa 78 Kilogramm Lebensmittel im Jahr weg. Insgesamt wurden im Jahr 2020 in Deutschland knapp elf Millionen Tonnen Lebensmittel weggeworfen.
Verschwendung findet schon auf dem Acker statt
Die Primärproduktion hat an der Gesamtabfallmenge einen Anteil von zwei Prozent (0,2 Mio. Tonnen). Bei der Verarbeitung fallen 15 Prozent (1,6 Mio. Tonnen) der Lebensmittelabfälle an, im Handel sieben Prozent (0,8 Mio. Tonnen) und bei der Außer-Haus-Verpflegung 17 Prozent (1,9 Mio. Tonnen).
Streiten lässt sich über den Anteil der Primärproduktion. Denn laut der EU-Verordnung werden Pflanzen, die vor der Ernte, vernichtet werden, bei der Berechnung ausgeschlossen. Dies sei in ernstes Problem, so „Global Feedback“, da Lebensmittel, die ungeerntet auf dem Feld zurückgelassen werden, nicht im Reduktionsziel erfasst werden.
Vor diesem Hintergrund sei der genaue Anteil der Abfälle von landwirtschaftlichen Betrieben schwer abzuschätzen. Laut einer Studie der Umweltorganisation WWF in Zusammenarbeit mit dem Lebensmitteleinzelhändler Tesco werden jährlich weltweit allein in der Landwirtschaft 1,2 Milliarden Tonnen Lebensmittel verschwendet. Der WWF schätzt, dass 8,3 Prozent der Lebensmittelabfälle bereits vor der Ernte entstehen – zum Beispiel, weil sich die Ernte für die Landwirte nicht lohnt.
Da Pflanzen erst nach der Ernte und Tiere erst nach der Schlachtung als Lebensmittel definiert werden, werden zum Beispiel Vorernte- bzw. Ernteverluste nicht in den Daten erfasst, die von den Mitgliedsstaaten an die EU-Kommission gemeldet werden, erläutert das BMEL, warum landwirtschaftliche Produkte vor der Ernte nicht eingerechnet werden.
Einzelhändler in Frankreich dürfen Lebensmittel nicht wegschmeißen
Wenig verlässliche Daten gibt es in Deutschland auch zum Anteil von weggeworfenen Lebensmitteln in privaten Haushalten, sagt Katrin Wenz, Wissenschaftliche Mitarbeiterin Agrarpolitik beim BUND (Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland). Man habe versucht, dies anhand des Biomülls zu messen, doch die entsprechende Untersuchung dazu sei mangelhaft gewesen.
Dass insbesondere bei den privaten Haushalten der Anteil von weggeworfenen Lebensmitteln weitestgehend unverändert hoch ist, geht aus einem Bericht des „Ecologic-Instituts“ hervor, das im Rahmen der Nationalen Strategie zur Reduzierung der Lebensmittelverschwendung im Auftrag des BMEL Maßnahmen zur Reduktion erarbeitet.
Zwar wären inzwischen viele Menschen sensibler für das Thema, doch würden Kampagnen, die freiwillig sind und die sich nur an die Verbraucher richten, nicht ausreichen, sagt Wenz. „Wir brauchen entlang der gesamten Wertschöpfungskette auch einen gesetzlichen Rahmen.“
Laut der Agrar-Expertin könnte der Gesetzgeber in den Bereichen Primärproduktion, Lagerung und Handel ansetzen: Hier könnten Normen verändert werden, sodass beispielsweise auch krumme Gurken oder kleine Kartoffeln verkauft werden. „Eine Option wäre es, im Supermarkt unterschiedliche Klassen an Gemüse zu unterschiedlichen Preisen anzubieten“, schlägt Wenz vor.
Zudem könnten Supermärkte gesetzlich dazu verpflichtet werden, dass sie Produkte nicht mehr wegwerfen dürfen, wenn das Mindesthaltbarkeitsdatum abgelaufen ist. Andere EU-Mitgliedsstaaten machen das bereits vor. So ist es Lebensmitteleinzelhändlern in Frankreich untersagt, unverkaufte Lebensmittel zu vernichten.
Verantwortung nicht ans Ehrenamt abwälzen
Ein Gesetz zur Reduzierung von Lebensmittelverschwendung ist eine Option, die derzeit auch vom BMEL geprüft wird. Eine BMEL-Sprecherin verweist aber auch darauf, dass bereits heute viele Supermärkte überschüssige Lebensmittel an die Tafeln oder andere Organisationen abgeben – in deutlich größerem Umfang als in Ländern, wo eine gesetzliche Abgabepflicht bestehe. Dennoch ist eine Verpflichtung zur Kooperation Gegenstand einer Zielvereinbarung, die derzeit mit dem Handel erarbeitet werde.
Eine Option wäre es, im Supermarkt unterschiedliche Klassen an Gemüse zu unterschiedlichen Preisen anzubieten.
Einen Haken gibt es aber auch hier. In Frankreich dürfen die Lebensmittel zwar nicht vernichtet werden, aber sie dürfen kompostiert werden, berichtet die BUND-Expertin. Das sei keine optimale Lösung, da so trotzdem Ressourcen verbraucht würden. Wichtig sei mit Blick auf die Supermärkte auch, dass diese durch das Spenden ihrer überschüssigen Produkte nicht die komplette Verantwortung in ehrenamtliche Strukturen wie die Tafeln abwälzen.
Besser sei es, gesetzlich zu regeln, wie viele Lebensmittel Supermärkte vorhalten dürfen. „In vielen Läden gibt es noch bis spätabends die ganze Auswahl – zum Beispiel an Brot. Das muss ja nicht sein“, sagt die BUND-Expertin. Auch die Anpassung des Mindesthaltbarkeitsdatums (MHD) für bestimmte Produkte, wie Mehl, Honig oder Zucker, könnte ein Instrument sein, bei dem der Gesetzgeber ansetzen könnte.
Überschüsse sollen gar nicht erst entstehen
Die Vorschriften zum MHD sind allerdings EU-weit einheitlich geregelt, erläutert das Bundesernährungsministerium, das sich auch für eine Anpassung dieser Regelungen einsetzt, um Lebensmittelverschwendung zu reduzieren. Nur bestimmte Lebensmittel seien von der Angabe des MHD ausgenommen und Änderungen an dieser Ausnahmeliste könne nur die EU-Kommission vornehmen. Diese habe jedoch in ihrer „Farm to Fork“-Strategie angekündigt, dass eine Überarbeitung der EU-Vorschriften zum MHD unter Berücksichtigung der Erkenntnisse aus der Verbraucherforschung geprüft werde.
Für eine deutliche Reduzierung der Lebensmittelverschwendung werden gesetzliche Maßnahmen in der Lebensmittelversorgungskette aber nicht ausreichen, so das BMEL in einer Pressemitteilung. Es gehe vor allem darum, dass Überschüsse gar nicht erst entstehen und die Lebensmittelversorgungskette in allen Sektoren so gestaltet wird, dass Lebensmittelabfälle auf jeder Stufe vermieden werden – dafür brauche es Verhaltungsänderungen bei allen Akteuren.