Warum Medien in einer Demokratie systemrelevant sind

aus Coronavirus-Pandemie

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Stefan Schröder. Foto: Harald Kaster

Kritische Medien sind ein Stützpfeiler funktionierender Demokratien. Das gilt erst recht in Krisenzeiten. Und deswegen darf ihre Bewegungsfreiheit nicht bedroht werden.

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REGION. „Nichts ist verblüffender als die einfache Wahrheit, nichts ist exotischer als unsere Umwelt, nichts ist phantasievoller als die Sachlichkeit.“ Dieses Glaubensbekenntnis des klassischen Journalismus hat die Reporterlegende Egon Erwin Kisch verfasst – vor fast 100 Jahren. Kisch war ein unliebsamer Publizist für die Nationalsozialisten. Sie verjagten ihn 1933 ins Exil. Mit Wahrheit wollten sie nichts zu tun haben.

Das Dritte Reich, der Untergang von Weimar haben die Mütter und Väter des Grundgesetzes zu Artikel 5 bewegt. In dessen Absatz 1 heißt es: „Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.“

Als die westlichen Alliierten 1945 Deutschland eroberten, ließen sie Zeitungen gründen. Die meisten deutschen Blätter sind damit älter als das Grundgesetz. Das demokratische System wäre ohne sie so nicht denkbar.

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Andernorts werden die Spielregeln verbogen

Keine Angst, dies soll keine Geschichtsstunde werden. Von bösen Mächten ist der Journalismus in Deutschland aktuell nicht bedroht. Die Kombination aus öffentlich-rechtlichem – nicht staatlichem – Rundfunk und privatwirtschaftlicher Presse- sowie Rundfunklandschaft sucht in der Welt ihresgleichen. Anderswo sieht es immer häufiger anders aus.

Wo sich Regime, auch demokratische daran machen, die Spielregeln in einem Staat zu verbiegen, alternative Fakten zu schaffen oder bürgerliche Rechte einzuschränken, demontieren sie zuerst die Medien. Man kauft sich Verlage wie in der Türkei oder in Ungarn, man dreht ihnen den öffentlichen Geldhahn zu, wie der BBC in Großbritannien, oder man beschimpft sie als Fakenews wie in den USA. Kollegen bezahlen mit ihrem Leben: auf Malta in die Luft gesprengt, in der Slowakei erschossen. Einen saudischen Kollegen hat man zerstückelt und dann in Salzsäure aufgelöst.

Freie Bahn – unabhängig von jeder Lage

So gefährlich die Presse für autokratische Unterdrücker ist, so konstruktiv arbeitet sie für die Demokratie. Man muss es nicht so pathetisch sehen wie US-Präsident Thomas Jefferson, der lieber ein Land mit Zeitung und ohne Regierung gehabt hätte als umgekehrt. Auch ein Sturmgeschütz der Demokratie, wie Spiegel-Gründer Rudolf Augstein sein Blatt gerne nannte, will heute kein Medium mehr sein.

Zeitungen und Rundfunk sind systemrelevant für die Demokratie, weil sie nicht als Ausspielkanal für Regierungen dienen, sondern kritisch reflektieren, was „die da oben“ gerade machen. Das angelsächsische Prinzip der Trennung von Meinung und Bericht garantiert wiederum den Regierenden ein Mindestmaß an Fairness seitens der Medien. Aber noch mehr: Die vermeintlich belanglosen Berichte über Vereine, Kommunalpolitik oder Bebauungspläne sind der Kitt, der die Gesellschaft zusammenhält. Es ist kein Zufall, dass immer dort, wo die Beteiligung an Wahlen hoch ausfällt, die Zahl der Abonnenten und die digitalen Reichweiten überdurchschnittlich ausfallen. Menschen, die sich für das Gemeinwesen interessieren, das auf einem System der Repräsentation basiert, wollen unabhängig informiert sein.

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Den befristeten Verzicht auf Grundrechte im Blick

Das gilt besonders während einer grundstürzenden Krise, wie wir sie durchleben. Die Bankenwelt erhielt das Etikett Systemrelevanz, wenig später erhob die Autoindustrie Anspruch darauf. Beide Branchen verdienten das Attribut wegen ihrer Bedeutung für die Marktwirtschaft. Für eine funktionierende Demokratie verdienen die Medien dieses Prädikat. Deren wirtschaftliche Bedrohung ist beträchtlich, aber nicht ausschlaggebend. Anzeigenumsätze brechen ein, die Belegschaften müssen trotz Covid-19 den Betrieb aufrechterhalten. Einschränkungen des öffentlichen Lebens dürfen daher nicht auch die Bewegungsfreiheit der Medien bedrohen. Vielen ist nicht bewusst, dass beispielsweise ein Verlagsunternehmen multiple Fertigungsstufen benötigt, bis das gedruckte Produkt oder die digitale Nachricht im Netz vorliegen. Der Druckbetrieb, der Vertrieb, die EDV, nicht zuletzt die Recherchefreiheit der Journalisten in Wort, Ton und Bild brauchen freie Bahn – unabhängig von jeder Lage. Nur so können die Bürger sich eine Vorstellung davon machen, was ihr Opfer in schwierigen Zeiten bedeutet. Ob der befristete Verzicht auf Grundrechte etwas bringt und wo Regierungen falsch liegen oder sogar Missbrauch treiben.

Hier geht es zur ständig aktualisierten Übersicht zur Lage in Hessen und Rheinland-Pfalz.

Von Stefan Schröder