Untersuchungsausschuss zu Behördenpannen im Mordfall Lübcke
Zu möglichen Behördenpannen rund um den Mordfall Lübcke wird es im hessischen Landtag einen Untersuchungsausschuss geben. Den entsprechenden Antrag stellten die...
WIESBADEN. Zum Mordfall Lübcke und möglichen Behördenpannen wird es im hessischen Landtag einen Untersuchungsausschuss geben. Die Oppositionsfraktionen von SPD, FDP und Linken stellten am Donnerstag in Wiesbaden ihren gemeinsamen Antrag vor, der voraussichtlich in der Plenarsitzung kommende Woche verabschiedet wird. Die Regierungsfraktionen von CDU und Grünen erklärten, dem Antrag zustimmen zu wollen. Eine erste konstituierende Sitzung des U-Ausschusses könnte es nach den Vorstellungen der Antragsteller noch vor der Sommerpause geben.
Der Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke war im Juni 2019 auf der Terrasse seines Hauses mit einem Kopfschuss getötet worden. Der Generalbundesanwalt geht bei dem Mord von einem rechtsextremen Hintergrund aus. Im Zusammenhang mit den Ermittlungen hatte es wiederholt Kritik an den Sicherheitsbehörden gegeben. Im Fokus steht dabei, dass der mutmaßliche Haupttäter, der Deutsche Stephan Ernst, zwar als Rechtsextremist aktenkundig, aber zum Tatzeitpunkt nicht mehr unter besonderer Beobachtung des Verfassungsschutzes war.
Als "abgekühlt" gegolten
Der 46 Jahre alte Ernst steht seit Dienstag wegen Mordes vor dem Oberlandesgericht Frankfurt, dem Mitangeklagten Markus H. wird Beihilfe zum Mord vorgeworfen. Der 44-Jährige ist ebenfalls als Rechtsextremist bekannt und galt auch als "abgekühlt". Einträge über bestimmte Personen beim Verfassungsschutz müssen nach Ablauf gesetzlicher Fristen überprüft und gelöscht werden, damit eine radikale Vergangenheit Menschen nicht auf ewig anhängt.
"Ein Mann, der seit seiner Jugend immer wieder als gewalttätiger Rechtsextremist straffällig geworden ist und der in den Akten des Landesamtes für Verfassungsschutz als "brandgefährlich" bezeichnet wurde, wird nicht über Nacht zu einem harmlosen Bürger", erklärte der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Fraktion, Günter Rudolph. Die Sicherheitsbehörden hätten es offenkundig nicht verstanden, welches Gefährdungspotenzial rechtsextreme Gewalttäter in sich tragen.
Der FDP-Innenpolitiker Stefan Müller sagte, es gehe bei dem Untersuchungsausschuss im Wesentlichen darum, mögliche Fehler des Verfassungsschutzes und der Ermittlungsbehörden aufzuklären, "insbesondere warum Stephan E. aus dem Fokus des Verfassungsschutzes geraten ist". Ziel müsse es sein, Abläufe und Strukturen weiter zu verbessern, um in Zukunft solche Situationen möglichst auszuschließen.
Der innenpolitische Sprecher der Linksfraktion, Hermann Schaus, erklärte, Hinweise auf rechtsradikale Aktivitäten von Stephan Ernst und Markus H. nach 2009 seien von den Behörden "ignoriert oder falsch eingeordnet" worden. Zudem seien die Akten gesperrt und dem damaligen NSU-Untersuchungsausschuss nicht übergeben worden. "Beide Neonazis konnten sich ab spätestens 2014 bewaffnen – im Fall von Markus H. sogar im Wissen der Behörden", kritisierte Schaus. "Aus Sicht der Linken brauchen wir deshalb endlich weitreichende strukturelle, aber auch personelle Konsequenzen."
Der Landtag hatte sich bereits im NSU-Untersuchungsausschuss mit Rechtsextremismus beschäftigt. Das Gremium sollte herausfinden, ob bei der Aufklärung des Mordes an dem Kasseler Internetcafé-Betreiber Halit Yozgat 2006 in hessischen Behörden Fehler gemacht wurden. Die Tat im Jahr 2006 wird dem "Nationalsozialistischen Untergrund" zugerechnet. Der U-Ausschuss blieb 2018 nach rund vierjähriger Arbeit ohne gemeinsames Abschlusspapier.
Das Parlament muss nach einer vor kurzem beschlossenen Neuregelung einen U-Ausschuss einsetzen, wenn ein Fünftel der Abgeordneten dies beantragen, das entspricht bei 137 Mandaten einer Zahl von 27. Allein die SPD-Fraktion verfügt über 29 Mandate. Hessens Innenminister Peter Beuth (CDU) erklärte: "Der Kampf gegen Fremdenfeindlichkeit, Rassenwahn und rechten Hass ist konstituierend für den Schutz unserer gemeinsamen Werte." Es sei daher eine demokratische Pflicht, dass sich auch das Parlament mit diesem mutmaßlich rechtsextremistisch motivierten Mord an einem Repräsentanten des Staates befasse. "Ein Untersuchungsausschuss ist zwar in erster Linie ein Instrument der Opposition und dient daher allzu oft der reinen parteipolitischen Profilierung", erläuterte Beuth. "Doch parteipolitische Interessen haben angesichts der Tat in den Hintergrund zu treten."
Von dpa