Ausbildungspilot Cord Becker erläutert, warum er Computersysteme für unverzichtbar im Cockpit hält – trotz der aktuellen Diskussion um Macht und Fehleranfälligkeit von Software.
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MAINZ - Mensch oder Maschine: Wer hat im Cockpit das letzte Wort? Der Pilot, sollte man meinen. Doch nicht erst seit dem Nachrichtengewitter um Boeings 737 Max 8 wird deutlich, dass die Computer, egal ob in Boeing- oder Airbus-Jets, mitunter zumindest mitentscheiden. Ausbildungspilot Cord Becker erläutert im Interview, wo die Chancen und die Risiken der Automatisierung in der Luftfahrt liegen.
Herr Becker, an Bord moderner Jets gibt es immer mehr Computersysteme, die in bestimmten Situationen sogar die Befehle des Piloten ignorieren können. Ist das eine gute oder eine schlechte Entwicklung?
Eines steht für mich fest: Die moderne Technik an Bord eines Jets macht das Fliegen sehr viel sicherer. Eine Nebellandung mit einem Großraumflugzeug wäre beispielsweise rein manuell gar nicht mehr möglich. Aber natürlich muss der Pilot der letzte Entscheider im Cockpit bleiben.
ZUR PERSON
Flugkapitän Cord Becker, Jahrgang 1949, flog fast 40 Jahre in Cockpits der Deutschen Lufthansa. Nach seiner Ernennung zum Kapitän 1985 war Becker nicht nur im Liniendienst unterwegs, sondern hat auch mehr als 20 Jahre lang Piloten ausgebildet sowie als Check- und Trainingskapitän gearbeitet. Heute ist Becker unter anderem als lizenzierter Ausbildungskapitän für die Großraumflugzeuge Airbus A 330 und A 340 tätig, als Medienberater für Luftfahrtthemen sowie als selbstständiger Berater in der Luftfahrtindustrie. Foto: Chowanetz
Aber ist er das denn auch?
Zumindest was die Steuerung angeht, kann der Pilot aus dem Überwachungsmodus, in dem er beaufsichtigt, wie die Computersysteme ihre Arbeit erledigen, jederzeit in die Rolle des aktiv fliegenden Piloten wechseln. Dazu schaltet er den Autopiloten aus. Der Knopf dafür ist nicht umsonst an einer Stelle positioniert, in deren Nähe sich die Hand des Piloten ohnehin befindet. Richtig ist aber auch, dass die Rechner an Bord eines Jets bestimmte Flugmanöver nicht erlauben. So wird es dem Piloten beispielsweise unmöglich gemacht, das Flugzeug in einen Bereich zu bringen, in dem es zum gefährlichen Strömungsabriss, dem sogenannten „Stall“, käme und in dem der Jet nur schwer beherrschbar wäre.
Warum gibt es bei so viel technischer Unterstützung dann, plakativ gefragt, überhaupt noch Flugzeugabstürze?
Tatsächlich ist festzustellen, dass sich die Ursachen für Unglücke verlagern. Es kommt – auch dank technischer Unterstützung – viel seltener als früher zum „Controlled Flight Into Terrain“ (übersetzt: kontrollierter Flug ins Gelände), bei dem ein Jet ohne technische Probleme zum Beispiel gegen einen Berg fliegt. Umgekehrt gibt es weiterhin Abstürze, bei denen es den Piloten nicht gelang, eine außergewöhnliche Flugsituation, wie auch immer es zu dieser kam, zu entschärfen.
Und was ist hier aus Ihrer Sicht zu tun?
Vereinfacht gesagt, muss die Kommunikation zwischen Technik und Mensch beherrschbar bleiben. Der Pilot oder die Pilotin müssen wissen, was eine bestimmte Fehlermeldung des Systems im Cockpit aussagt oder anzeigt und wie man darauf reagiert. Sicherheit muss trainiert, trainiert, trainiert werden. Im Simulator üben die Flugzeugführer mehrmals jährlich, wie sie mit außergewöhnlichen Situationen umgehen. Außerdem darf man bei allem, was die Computersysteme an Bord tun und entscheiden, den Menschen nicht außen vor lassen. Bei „Klassikern“ wie einem Triebwerksausfall gehen die Abläufe zur Problembehebung den Piloten in Fleisch und Blut über. Airbus hat dazu die sogenannten Golden Rules (goldene Regeln) für Krisensituationen formuliert. Erstens: Fliege zunächst das Flugzeug, also lasse dich von dieser Aufgabe nicht ablenken, sondern halte den Jet sicher in der Luft. Zweitens: Nutze anschließend alle Computersysteme, zum Beispiel den Autopiloten. Die Entlastung des Piloten bringt die Kapazität, sich mit dem Problem auseinanderzusetzen und eine Lösung im Cockpit-Team zu erarbeiten.
Eine gute Ausbildung und intensives Training kosten Geld. Könnten Fluggesellschaften nicht in Versuchung geraten, angesichts automatisierter Cockpits hier zu sparen – nach dem Motto: Den Job machen ja sowieso die Computer?
Die Gefahr besteht natürlich und ist oft die öffentliche Meinung. Aber die Realität sieht anders aus. Kaufmännisch betrachtet sind Piloten ein Kostenfaktor. Sie sind aber vor allem Sicherheitsgaranten, genauso wie Techniker, Fluglotsen und andere, die an einem reibungslosen Flugbetrieb ihren Anteil haben. Passagiere bewerten die Qualität eines Fluges doch meist nach Sitzabstand und Bordverpflegung. Über die Sicherheit – und dazu zählt der Ausbildungsstand der Piloten – machen sie sich keine Gedanken, sondern setzen sie als gegeben voraus. Dieses Vertrauen in die Fähigkeiten von Mensch und Maschine muss ständig neu erarbeitet werden – leider auch nach tragischen Unfällen.